Im Anschluss an das EU-Zentralasien-Forum in Bischkek sprach die Hohe Vertreterin der EU für Außen- und Sicherheitspolitik Federica Mogherini im Interview mit Radio Azattyk darüber, welche Fragen mit den Außenministern der Region diskutiert wurden. Darüber hinaus kommentierte sie die massenhaften Festnahmen in Kasachstan vom 6. Juli 2019. Der folgende Artikel erschien im russischsprachigen Original auf Radio Azattyk. Wir übersetzen ihn mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.
Am 6. Juli 2019 trafen sich die Hohe Vertreterin der EU für Außen- und Sicherheitspolitik Federica Mogherini mit den Außenministern der zentralasiatischen Länder in Bischkek zu Gesprächen. Dies fand vor dem Hintergrund von niedergeschlagenen Protesten regierungsfeindlicher Demonstranten und Massenfestnahmen in Kasachstan sowie verschärften politischen Differenzen zwischen der derzeitigen politischen Führung und dem ehemaligen Präsidenten Almasbek Atambajew in Kirgistan statt.
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Im Interview mit Radio Azattyk am sagte die Hohe Vertreterin, dass die Förderung des demokratischen Wandels in Zentralasien manchmal ein „schmerzhafter Prozess“ sein könne. „Wir verschweigen nicht die Tatsache, dass es Widersprüche und Meinungsverschiedenheiten gibt, aber unser Ansatz ist es, [diese Länder] zu ermutigen und zu unterstützen sowie einzelne Medienvertreter oder Einzelfälle bei Bedarf zu unterstützen“, sagte die europäische Diplomatin.
„Rechtsstaatlichkeit für Länder in Transitionsprozessen manchmal sehr schwierig“
Die Länder der Region sind seit der Unabhängigkeit und somit seit fast drei Jahrzehnten in Bezug auf demokratischen Reformen wie freie und faire Wahlen, der Schaffung einer unabhängigen Justiz und der Bildung einer freien Presse weit hinter anderen Ländern des ehemaligen Warschauer Pakts zurückgeblieben. Diese Themen wurden laut Mogherini bei dem Treffen in Bischkek von ihr angesprochen. Des Weiteren sprach sie die Situation der sich derzeit in Haft befindenden Aktivisten an. Die Hohe Vertreterin sagte, dass „Rechtsstaatlichkeit für Länder in Transitionsprozessen manchmal sehr schwierig ist“.
Nach der außerordentlichen Präsidentschaftswahl in Kasachstan, aus der Kassym-Dschomart Tokajew als Sieger hervorging, wurden tausende von Menschen, die zu regierungsfeindlichen Aktionen gegangen waren, von den kasachischen Behörden festgenommen. Westliche Beobachter kritisierten die Wahlen, wiesen auf zahlreiche Verstöße hin und stellten die massenhaften Festnahmen von Demonstranten fest.
Proteste, hunderte Festnahmen und Gewalt
Am 6. Juli, dem Tag vor dem Ministertreffen in Bischkek, kam es in mehreren kasachischen Städten zu weiteren Festnahmen hunderter von Menschen, bei denen Polizeibeamte Gewalt gegen viele Demonstrierende einsetzten.
Auf die Frage hin, ob diese Ereignisse beim Ministertreffen diskutiert wurden, sagte Mogherini: „Dies wird immer diskutiert. Unsere Botschaft an die Behörden dieses Landes wie auch an andere Länder besteht darin, dass diese ihrem Bestreben, die Standards im Bereich der Menschenrechte zu verbessern Resultate zeigen, sich [der Welt] öffnen und einen Raum für freie Meinungsäußerung und Pressefreiheit gewährleisten. In diesem Sinne werden von unserer Seite diese Fragen ständig aufgeworfen. Ich betone dabei insbesondere, dass die Verbesserung der Menschenrechtssituation dem Land und seiner politischen Führung einen Vorteil in Bezug auf Investitionen, das internationale Image und die Lebensqualität der Bürger verschafft.“
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Die genaue Zahl der am 6. Juli in Kasachstan festgenommenen Personen ist noch unbekannt. In einer Erklärung vom Abend desselben Tages gab das Innenministerium nicht die Anzahl der festgenommenen Personen an, die wegen „Verstoßes gegen das Verfahren zur Durchführung von Kundgebungen“ strafrechtlich verfolgt wurden. Die Behörde teilte jedoch mit, dass die Festnahmen „so korrekt wie möglich durchgeführt wurden und keine speziellen Maßnahmen verwendet wurden“. Trotz der Tatsache, dass die Verfassung von Kasachstan das Recht auf friedliche Versammlungsfreiheit garantiert, muss die Erlaubnis von lokalen Akimaten (Verwaltungsbehörden (Anm. d. Red.) eingeholt werden, um Kundgebungen und Demonstrationen gemäß der nationalen Gesetzgebung abzuhalten. Anträge von Aktivisten wurden mehrmals unter verschiedenen Vorwänden abgelehnt.
„Positive Rolle in der Region“
Bei den Gesprächen am 6. Juli wies Mogherini darauf hin, dass Usbekistan in letzter Zeit erhebliche Fortschritte in der Menschenrechtssituation erzielt habe und dass die Führung dieses Landes seine Bereitschaft unter Beweis gestellt habe, „eine positive Rolle in der Region zu spielen und tiefgreifende Reformen im Land durchzuführen“.
Der usbekische Präsident Schawkat Mirsijojew befreite hunderte von Menschen aus dem Gefängnis, die aufgrund ihrer religiösen Überzeugung inhaftiert worden waren, und führte eine Reihe von Reformen durch, seit er 2016 nach dem Tod des autoritären Herrschers Islam Karimow an die Macht gekommen war.
Im Vorlauf zu den Gesprächen in Bischkek besuchte Mogherini am 6. Juli die turkmenische Hauptstadt Aschgabat, um dort eine EU-Repräsentanz in Turkmenistan zu eröffnen. Das neue Büro wird den Status einer vollständigen Vertretung haben. Zuvor war in dem streng kontrollierten Land mehrere Jahre lang lediglich ein Verbindungsbüro der EU tätig gewesen. Mogherini sagte gegenüber Radio Azattyk, dass die Präsenz vollwertiger EU-Repräsentanzen in den Hauptstädten der fünf zentralasiatischen Länder der EU dabei helfen werde, „Fortschritte oder Probleme jeden Tag zu beobachten“.
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Am Vorabend ihres Besuchs in Aschgabat forderten Menschenrechtsaktivisten Mogherini auf, den Fokus auf die Förderung der Menschenrechte in Turkmenistan zu lenken. Rachel Denber, eine hochrangige Vertreterin der internationalen Organisation Human Rights Watch, bat Mogherini, der turkmenischen Regierung offen mitzuteilen, dass die EU-Vertretung „alles tun wird, um die Menschenrechtsfragen des Landes wirklich zu verbessern“.
Internationale Konkurrenz um Zentralasiens Öl und Gas
Menschenrechte waren nicht das einzige Thema bei den Treffen in Aschgabat und Bischkek. Mogherini sagte, dass sie „im Allgemeinen“ Energiefragen mit den zentralasiatischen Außenministern besprochen habe.
Europa, die USA, Russland und China konkurrieren um den Einfluss in der Region, welche erhebliche Öl- und Gasreserven aufweist. In den 90er Jahren boten die westlichen Länder bereits an, unter Umgehung Russlands eine Erdgasleitung von Turkmenistan nach Europa durch das Kaspische Meer zu bauen, doch dies wurde nie umgesetzt. Turkmenistan verfügt über eines der bedeutendsten Erdgasvorkommen der Welt.
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Laut Mogherini hätten die Minister die Einzelheiten eines separaten Projekts für den Transport von Energieressourcen nach Europa nicht erörtert. Daneben betonte sie, dass eine Annäherung zwischen Europa und Zentralasien nicht zu Lasten des Einflusses anderer Mächte auf die Region gehe.
„Wir bitten sie nicht (die zentralasiatische Länder – Anm. d. Ü.), zwischen der EU und einer anderen Partnerschaft zu wählen. Wir glauben, dass die Länder der Region sowohl für uns als auch für andere Mächte gute Partner sein können “, sagte die Hohe Vertreterin der EU.
Rikard Jozwiak für Radio Azattyk
Aus dem Russischen von Lydia Wachs
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