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Unser Karakalpakstan

Vergangene Woche erschütterte blutiger Aufruhr die im Nordwesten Usbekistans gelegene autonome Republik Karakalpakstan. Hintergrund waren Pläne der Zentralregierung, die Souveränität der Republik zu streichen. In dem Kontext schrieb der unabhängige Politikwissenschaftler Rafael Sattarov einen sarkastischen Kommentar für Hook.Report zu den politischen Gepflogenheiten in Usbekistan. Wir übersetzen den Beitrag mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.

Die Kluft zwischen Usbekistans Zentrum und Karakalpakstan

Vergangene Woche erschütterte blutiger Aufruhr die im Nordwesten Usbekistans gelegene autonome Republik Karakalpakstan. Hintergrund waren Pläne der Zentralregierung, die Souveränität der Republik zu streichen. In dem Kontext schrieb der unabhängige Politikwissenschaftler Rafael Sattarov einen sarkastischen Kommentar für Hook.Report zu den politischen Gepflogenheiten in Usbekistan. Wir übersetzen den Beitrag mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.

Wenn schon die Bewohner der Viertel rund um den Urikzar-Markt in Taschkent im Sommer 2020 ihren Unmut darüber äußerten, dass sie territorial von der Stadt in die Region Taschkent verlegt wurden, warum sollten die Karakalpaken dann vor dem drohenden Verlust ihrer Souveränität ihre Ruhe bewahren? Es bezeichnet doch eine merkwürdige Haltung ihnen gegenüber, dass ganz still über ihr Schicksal entschieden werden sollte, zusammen mit einer viel breiter gefassten Verfassungsreform.

Politisches Kalkül würde nahelegen, dass solche Entscheidungen – ganz unabhängig von Regime und politischem System – immer einen separaten Ansatz fordern. Selbst China wagt es in seiner realen Politik trotz harten innenpolitischen Ansatzes nicht, seine inländischen Autonomierechte vollständig abzuschaffen und auszuhebeln.

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Gegen Autonomie ist also nichts einzuwenden, solange der politische und institutionelle Ansatz gut konzipiert ist. Manchmal können Autonomie und Demokratie erfolgreich koexistieren und gedeihen, und all das öffentliche Gerede von einer Art Separatismus mündet in filmischen Humor und kaum mehr.

Lest auch bei Novastan: Verfassungsreform in Usbekistan: Karakalpakstan protestiert für Erhalt der Autonomie

Um einen Angriff seitens der Leserschaft und Sanktionen meinerseits zu vermeiden und vor allem, damit ich nicht der Unterstützung eines gewissen Separatismus bezichtigt werde und seltsame Videos à la „Vashingtonlik Rafaelga raddiya“ (Usbekisch: Widerlegung des Washingtoner Raffaels) erst gar nicht veröffentlicht werden, bitte ich sie, von Pauschalbezeichnungen abzusehen. Schließlich wird bei uns gerne mit Etiketten wie „Verräter“ und „Separatist“ um sich geworfen. Aber das ist alles nur Lyrik.

Geopolitische Angst

Natürlich ist es für Usbekistan gefährlich, wenn Politiker ihre eigene „Welt im Kopf“ haben, in der Autonomie gleich Separatismus ist und demokratische freie Wahlen mit echtem Wettbewerb der Legalisierung von LGBT oder Marihuana im Lande gleichen. Die Diener des Kultes des politischen Guguschismus (ein Verweis auf „Guguscha“, ein Spitzname von Gulnara Karimova, der Tochter des ersten Präsidenten Usbekistans, Anm. d. Ü.) und des ma’nawitischen neuheidnischen Feuers (von „Ma’naviyat“, usbekisch für „Spiritualität“, „richtiges“ Verhalten), wie auch die offiziellen Kleriker wiederholen solche Gleichungen so oft, dass selbst einige meiner nahen Verwandten glauben, Demokratie bedeute, dass Homosexuelle an die Macht kommen.

Dass es LGBT Personen schon immer gab, auch ohne Legalisierung, und das nichts mit Demokratie und echten Wahlen zu tun hat, habe ich verschwiegen. Ich wollte die Familie nicht schockieren. Jetzt aber ohne Lyrik. Die Tatsache, dass unsere Verfassung geändert werden würde, ist seit langem bekannt. Dafür braucht es noch nicht einmal hochgesteckte Quellen. Es ist alles vorhersehbar. Aber wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass die Verfassung nicht geändert werden muss, um irgendwie die Rechte der Karakalpaken zu verletzen (in welcher Region werden denn nun keine Rechte verletzt?), sondern um dem Präsidenten weitere Amtszeiten zu ermöglichen und irgendwie all diese Wörter des usbekischen Neusprechs, wie „Yangi O’zbekiston“ (Neues Usbekistan), „Inson qadri“ (Menschlische Würde) oder „Mahallabay ishlash tizimi“ (Nachbarschaftsleistungssystem) in das Grundgesetz aufzunehmen.

Es gibt jedoch eine neue Kaste von Beamten in unserem System, die sich als „Gewissen und Stimme“ der Nation wähnt und die Idee einbrachte, der Kreml könne das Krim-Szenario auch in Bezug auf Karakalpakstan durchspielen. Nach der Annexion der Krim durch Russland hat sich im postsowjetischen Raum die Auffassung durchgesetzt, dass innerstaatliche Autonomien eine Separatismus-Gefahr darstellen, wie auch Beispiele wie Transnistrien, Berg-Karabach, Abchasien und Südossetien zeigen. Nach der Logik soll selbst die gesetzliche Grundlage der Autonomie so schnell wie möglich verworfen werden, zuzüglich zu ihren realen Aspekten: Sprache, kulturelle Autonomie, Selbstverwaltung, usw. Wer das glaubt, hat die internationale Realität nicht verstanden.

Ansonsten hätte die geplante Verfassungsänderung das Kapitel zu Karakalpakstan unberührt gelassen, wie dies schon eine Reihe von Verfassungsreformen unter Islom Karimov (Präsident von Usbekistan zwischen 1989 und 2016, Anm. d. Ü) getan hatten. Die territoriale Integrität der Republik Usbekistan wird durch die bestehende Weltordnung auf der Grundlage der Rechtslage garantiert. Darüber hinaus haben sich China, Russland und Kasachstan im Rahmen der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ) verpflichtet, die territoriale Integrität und die Nichteinmischung in innere Angelegenheiten zu unterstützen und vor allem den Separatismus in keiner Weise zu fördern.

Welcher Separatismus?

Gibt es tatsächlich Befürworter einer Sezession? Ich denke, ja, natürlich gibt es die. Aber es gibt auch diejenigen in Taschkent, die von der Errichtung eines Kalifats oder einer turkischen Union träumen, einige möchten zu den Grenzen Tamerlanes zurückkehren, und wieder andere träumen davon, mit Anne Hathaway in der Hängematte zu liegen. Wovon man nicht alles träumt – Träume sind nun einmal Träume – sie lassen Platz für Geopolitik, wie auch für Monica Bellucci.

Träumt man von einer Trennung, so ist das politisch zunächst einmal nicht verwerflich, denn nicht alle Träume im Leben werden wahr. Wenn die Behörden so viel Angst vor den Wünschen anderer haben, sollten sie ihre Einstellung und nicht die Verfassung ändern. Und mit einer kompetenten Herangehensweise kann man die wahrscheinliche oder vermeintliche Agenda „Karakalpakstans Recht auf Sezession“ immer wieder auf die lange Bank schieben oder in den privaten Raum verdrängen.

Lest auch bei Novastan: (Un)abhängigkeit: Wie lebt das autonome Karakalpakistan?

Und die wichtigste Frage ist: Sollten wir die derzeitige Unzufriedenheit der Karakalpaken mit den Änderungen wirklich als Zeichen für eine Art Separatismus deuten? Betrachtet man die Gründe für die wachsende Unzufriedenheit der Karakalpaken genauer, so stellt man fest, dass sie sich hauptsächlich um drei Begriffe drehen: Dschumyssyzlyk – Arbeitslosigkeit, Suusyzlyk – Wassermangel und Kymbatschylyk – steigende Preise.

Das heißt, die Gründe sind hauptsächlich sozioökonomischer und nicht politischer Natur. Es wäre daher falsch, die Empörung als Zeichen des Separatismus zu werten. Auch der Wunsch der Karakalpaken, ihre Sprache zu lernen, sollte uns nicht beunruhigen. Es steht der Hauptstadt gewiss nicht zu, sich in die Identität anderer einzumischen, die Politik der „Usbekisierung“ der Karakalpaken wird also so oder so keine Ergebnisse bringen. Unsere Bürokraten und Denker aller Art sind schon nicht mit dem Bruch des Sardoba-Dams zurechtgekommen, von welcher Identitätspolitik kann da die Rede sein!

Das Zentrum sollte stolz darauf sein, dass Menschen aus der Peripherie ihr Schicksal mit ihm verbinden. Wenn im Zentrum selbst neofeudaler Guguschismus, Unordnung, Korruption und Vetternwirtschaft herrschen, die „Arabistik“ in der Gesellschaft floriert und die jungen Leute nach einem potenziellen neuen großen Bruder Ausschau halten und in der Öffentlichkeit Araber, Türken und Pakistanis nachahmen, was sollen nicht nur Karakalpaken, sondern auch andere nationale Minderheiten dort für sich finden? Respekt kann man nicht aufzwingen, muss man ihn sich verdienen. Natürlich kann man auch alles mit Gewalt erreichen, aber was nützt das?

Eine unnötige Situation

Die Leidenschaften und Emotionen der Karakalpaken werden zu keiner Abspaltung führen. Dafür gibt es keinen inneren oder äußeren Grund. Wie ich bereits sagte, garantieren das internationale Umfeld und die bestehenden internationalen Verträge die Integrität Usbekistans und werden vor allem von allen Nachbarn und Großmächten, von den Vereinigten Staaten über die Türkei und China bis hin zu den Nachbarländern, insbesondere Kasachstan, geteilt.

Aber ich befürchte, dass sich für uns eine völlig andere und unnötige Situation entwickelt. Aufgrund solch unüberlegter Schritte könnten die Beziehungen zwischen den Usbeken und den Karakalpaken in Zukunft an einigen Stellen den Beziehungen zwischen den Türken und den Kurden in der Türkei ähneln, wo es weder Vertrauen noch den Wunsch gibt, eine neue Beziehung aufzubauen. Die Türkei ist nach außen hin intakt, mächtig und erfolgreich, aber im Inneren finden zwei Völker, einfache Menschen, keine Übereinstimmung.

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Im Ausland fällt sofort auf, dass Türken und Kurden aus der Türkei, selbst wenn sie an renommierten Universitäten in liberalen Programmen des Westens studieren, nur so tun, als sei alles normal zwischen ihnen, aber Freundschaft und Vertrauen gibt es dort nicht. Wir sollten nicht so weit kommen, nur weil die politischen Ketmens (eine Anspielung auf die usbekische Kult-Komödie Abdullajon, Anm. d. Ü.) so ungeschickt sind und die Feinheiten des Themas nicht verstehen. Die Verfassung wird ohne unnötige Diskussionen verabschiedet werden, so wie auch Wahlen in all diesen Jahren verlaufen sind.

Liebe statt Misstrauen

Man sollte den Menschen in Karakalpakstan Liebe und Aufmerksamkeit schenken, anstatt ihnen Angst einzuflößen und jeden ihrer Nieser zu unterdrücken. Und wenn unsere karakalpakischen Brüder und Schwestern unseren Beamten nicht vertrauen und keine Hoffnungen in sie setzen, ist das nicht verwunderlich. Ich würde ihnen ebensowenig trauen – schaut sie euch an, wie sie sich verhalten und wie sie auftreten. Sie ziehen Gesichter, dass ihnen „niemand Geld anvertrauen würde“. Und ich glaube nicht, dass die Menschen in Farg’ona, Andijon oder einer anderen Region des Landes große Hoffnungen in unsere Beamten setzen. Den Bezirken und Dörfern von Xorazm, Surxondaryo, Qashqadaryo, Jizzax oder dem Fergana-Tal wird es wahrscheinlich nicht anders ergehen als denen in Karakalpakstan.

Alle Regionen leiden gleichermaßen unter der Willkür der Beamten, den Sicherheitskräften, der alternden Infrastruktur, der Gesundheitsversorgung, der mangelhaften Bildung, der Arbeitslosigkeit, der wachsenden sozialen Ungleichheit, der Inflation und den steigenden Preisen für alle erdenklichen und unvorstellbaren Güter. Wir sitzen alle im selben Boot, und ob wir auf dem Weg dorthin erfolgreich schwimmen oder untergehen, hängt von unseren gemeinsamen Anstrengungen ab, nicht vom gegenseitigen Verdacht. Der alte Marx würde heute sagen, dass der Hauptfeind der Usbeken und Karakalpaken die korrupte und kompradorischen Elite, die Medien und die Kulturschaffenden sind, die das Land in die Rückständigkeit, den Personenkult und den Guguschismus treiben.

Karakalpakstans haben dieselben Probleme wie alle Menschen in Usbekistan. Wer das Land bereist, kann das leicht erkennen. Aus diesem Grund sind der Wohlstand der Karakalpaken und ihr Erfolg innerhalb und außerhalb Usbekistans gleichbedeutend mit dem Wohlstand der Usbeken. Etwas anderes braucht es nicht. Man kann unsere Situation nicht durch das Prisma betrachten, durch das in der Türkei, Aserbaidschan, Tadschikistan oder in Afghanistan auf analoge Situationen geschaut wird. Unsere Situation ist nicht so tragisch und blutig wie in diesen Ländern. Dass die Artikel der Verfassung der Republik Usbekistan im Kapitel über Karakalpakstan nie richtig angewandt wurden, ist weitbekannt. Auch die Garantien für die Rechte und Freiheiten der Bürger Usbekistans wurden nie umgesetzt und respektiert.

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Das heißt, abgesehen von den Amtszeiten der Präsidenten hat kein einziger Artikel in dieser Verfassung sein volles Potenzial entfaltet. Schließlich geht es nicht nur um die Garantien für die Rechte und Freiheiten der Bürger, sondern auch um den Artikel 1, in dem in offiziellen Dokumenten de facto ein neuer Name für das Land erscheint: „Neues Usbekistan“. Wenn unsere Beamten ihre Vorliebe für Luxus, billiges Prahlen und Pathos ablegen, den lähmenden Kult des Guguschismus aufgeben und an der Lösung der sozioökonomischen und infrastrukturellen Probleme arbeiten würden, würde sich dieser ganze mythische „Karakalpak-Separatismus“ nicht in Emotionen und Protesten, sondern im Humor der Kinematographie äußern, so wie die Franzosen in ihren Filmen über den „korsischen Separatismus“ witzeln.

Man braucht nichts zu verbergen, auch nicht die eigenen Fuck-ups, man kann und sollte die Situation aufbauschen und in eine andere Richtung drehen. Auch dafür braucht man Rationalität und politische Technologie, nicht die Faust und den Polizeiknüppel. Fragen wie die Beziehungen zwischen dem Zentrum und Karakalpakstan sollten nicht unter dem Teppich, in aller Stille und innerhalb eines Monats gelöst werden.

Und vor allem sollten sie nicht an alle möglichen ideologischen Ketmen und Vertreter des Sicherheitsapparats delegiert werden, die die Angelegenheit mit Sicherheit in ein emotionales Chaos stürzen werden. Aber wir sprechen über Usbekistan, wo „es nicht so ist wie hier“ und „es nicht angemessen ist“ – so die vielen öffentlichen Ausreden mit einer Art Mentalität, was auch immer das heißen mag. So wird die Lage auch weiter leicht vorherzusehen sein.

Raffael Sattarov für Hook.Report

Aus dem Russischen von Florian Coppenrath

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Salamat, 2022-07-21

Mein Name ist Salamat. Ich komme aus Karakalpakstan. Usbeken und Karakalpaks sind ein Volk, eine Seele an Seele. Bis jetzt leben wir zusammen, aber es gibt auch viele kriminelle Gruppen und Provokateure, die unsere Freundschaft hassen. Einige von ihnen leben in Nachbarländern, während andere aus europäischen Ländern stammen. Jetzt leben wir in Nukus, Khodjeyli und allen anderen Regionen und Städten wieder in Frieden und Ruhe. Mit Lügen versucht das Volk von Karakalpak, die Usbeken zu verunglimpfen, aber wir alle wissen, dass dies eine Lüge ist. Wir haben aufgehört, solchen Lügen zu glauben, und Kriminelle veröffentlichen andere Informationen im Internet. Ich bitte Sie, solchen Falschmeldungen keinen Glauben zu schenken.

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