Den usbekischen Währungsschwarzmarkt gibt es praktisch seit der Unabhängigkeit des Landes. Nach der Krise von 2008 wuchs er besonders an, bevor es im September 2017 plötzlich zur Wende kam. Folgenden Beitrag übersetzen und übernehmen wir vom kürzlich entstandenen usbekischen Webmedium Citizen.
Der usbekische Präsident Schawkat Mirsijojew sprach kurz nach seiner Wahl im Dezember 2016 erstmals von einer anstehenden Finanzreform. Die Bevölkerung interessierte dabei besonders, wann der Währungsmarkt liberalisiert würde, was eine Abwertung die Landeswährung Sum bis zum Schwarzmarktkurs bedeuten würde.
Der Schwarzmarkt für Geldwechsel war schon seit langem für alle Usbeken eine tägliche Realität. Es gab immer mindestens zwei Kurse: Einen offiziellen Kurs, von der Zentralbank definiert, und einen inoffiziellen Kurs, zu dem man auf dem Schwarzmarkt seine Fremdwährungen wechseln konnte. Auf dem Schwarzmarkt konnte man gut doppelt so viel Sum für seine Dollar bekommen, da der offizielle Kurs von der Regierung Islam Karimows künstlich niedrig gehalten wurde.
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Im Januar 2017 war schließlich die Rede davon, den Währungskurs dem Markt anzupassen. Im September wurde der Schritt in einer ausführlichen Währungsreform unternommen. Eine Gelegenheit für einen Rückblick auf die Geschichte des Schwarzmarktes seit dem Ende der Sowjetunion.
Die Vorgeschichte
Schwarzmärkte, ob für Waren, Dienstleistungen oder Währungen, entstehen immer aus demselben Grund: Der Versuch von Seiten einer Regierung, Preise künstlich zu regulieren.
Wenn ein Kilo Fleisch auf dem Markt 30.000 Sum (etwa 3 Euro) kostet, die Regierung es aber verbietet, es teurer als 22 000 zu verkaufen, entsteht ein Schwarzmarkt. Verkäufer können das Fleisch nicht unter Wert verkaufen, obwohl das für die Käufer natürlich von Vorteil ist. Als Ergebnis entsteht eine große Nachfrage und ein kleines Angebot, das der Nachfrage nicht nachkommen kann. So entsteht ein inoffizieller Markt, auf dem die Preise langsam wachsen. Genauso verhielt es sich mit dem Sum.
Schwarzmärkte existieren in vielen Ländern, aber meist ist der Unterschied zwischen offiziellem und schwarzem Kurs minimal (wenige Prozent). Der inoffizielle Kurs hat meist mit den Steuern zu tun, die Bankkommissionen in die Höhe treiben. Wer weniger bezahlen will, tauscht dann abseits der Banken.
1991-1996: Eine relativ freie Wirtschaft
Schon in der Sowjetunion gab es einen Schwarzmarkt. In der ganzen Sowjetzeit, ob unter Stalin oder Chruschtschjow, galten Tauschgeschäfte als besonders schweres Verbrechen. Die sowjetische Wirtschaft war geschlossen und nur die Regierung konnte Geschäfte mit dem Ausland machten. Dementsprechend kamen jegliche Versuche, Geld zu wechseln, Hochverrat gleich. Im Jahr 1960 wurde sogar die Todesstrafe für Geldwechsel eingeführt. Solche Geschäfte waren also bis zum Ende der Sowjetunion einen gefährliche Angelegenheit.
Im Jahr 1991 wurde Usbekistan schließlich unabhängig und der Sum ersetzte nach und nach den Rubel. Interessanterweise war die Wirtschaft des Landes bis 1996 relativ offen. Unternehmer, die Waren importierten, konnten frei Währungen kaufen. Die Zentralbank varkaufte sie an Geschäftsbanken, die sie wiederum an Unternehmer und Händler weitergab. Es gab zwar einen Schwarzmarkt für Währungen, die Kurse unterschieden sich aber unwesentlich. So war es auch in anderen postsowjetischen Ländern: Es gab einen Schwarzmarkt und einen offiziellen Kurs, die stetig zusammenwuchsen.
Im Jahr 1996 setzte die usbekische Regierung den Akzent auf eine beschleunigte Industrialisierung, also die gezielte Entwicklung einzelner Industriesektoren. Eine solche Maßnahme ist nichts ungewöhnliches für ein Entwicklungsland. Die Industrialisierung sah große Investitionen in die Produktionsmittel vor. Aber in Usbekistan konnte zu der Zeit niemand investieren, da der Privatsektor kaum entwickelt war.
Starke Staatsinvestitionen
Zudem gab es eine hohe Inflation und Eigentumsrechte wurden nur schwach geschützt, sodass usbekische Unternehmer sich eher auf kurzfristige Spekulation als auf langfristige Geldanlagen verlegten. Auch ausländische Investoren stürtzten sich nicht auf den Markt, trotz der gebotenen Vergünstigungen, denn das Investitionsklima war ihnen zu schlecht: Die Spielregeln waren intransparent und änderten sich oft und es gab keine Garantien für den Schutz von Eigentum.
Ein Ausweg wurde gefunden. Die usbekische Regierung entschied, selbst zu investieren und zu günstigen Krediten für den Kauf von Maschinen und anderen Produktionsmitteln zu ermutigen. Zweitens wurden einzelnen Unternehmern und Investoren enorme Vergünstigungen zugesprochen. Dabei verhinderten die Einmischung der Regierung und die gewährten Sonderbedingungen eine gute Entwicklung der Privatwirtschaft und der Konkurrenz.
Mit staatlicher Unterstützung konnten Menschen, die auf einem freien Markt nicht Unternehmer geworden wären, nicht-wettbewerbsfähige Produkte herstellen und dabei durch ihre Privilegien gut daran verdienen. Selbst gute Geschäftsleute, die Qualitätsware anboten, arbeiteten mit der Zeit schlechter, da ihnen die Konkurrenz und die Wachstumsimpulse fehlten.
1996-2003 : Beschleunigte Industrialisierung in Usbekistan
Um das Problem der Investitionen zu lösen, nutzten die Behörden verschiedene Hebel, darunter auch Währungseinschränkungen.
Nehmen wir an, ein Unternehmer wollte in Usbekistan eine Firma gründen. Dafür braucht er Ausstattung, die er importieren muss, da es sie in Usbekistan nicht gibt. Um den Kauf zu erleichtern, dekretiert die Regierung einen günstigen Dollar, sodass der Unternehmer statt 8.000 nur 3.700 Sum für einen Dollar zahlen muss. So ist der Kauf in Sum halb so teuer. Derartige Maßnahmen waren ein zentraler Teil der Industrialisierungepolitik.
Ein günstiger Dollar (zum Beispiel zu 3.700 statt 8.000 Sum/ Dollar) begünstigt den Import, wobei es eine riesige Nachfrage danach gab. Dementsprechend ungünstig war es für den Export: Die im Ausland verdienten Dollar waren statt 8.000 Sum nur 3.700 wert. Dementsprechend hoch war die Nachfrage nach Dollar nach offiziellem Kurs, während das Angebot begrenzt blieb.
Ein instabiles System
Es ist klar, dass es zu diesen Bedingungen nicht ausreichend Dollar vorhanden waren. Deshalb führte die Regierung Einschränkungen für den Export ein. Nicht alle Unternehmer erhielten Zugriff auf den billigen Dollar, sondern nur die, die Produktionsmittel importierten. Wem genau dieses Privileg zuteil wurde, entschied sich zudem auf chaotische Weise durch eine Regierungskommission.
Um Investitionen zu unterstützten, bot die Regierung neben dem günstigen Wechselkurs eine Reihe weiterer Vorteile. Zum Beispiel wurden Unternehmer von Steuern befreit und sie konnten Rohmaterial, wie Baumwolle, zu sehr günstigen Preisen einkaufen. Banken waren verpflichtet, Kredite mit ungünstig niedrigen Zinsen anzubieten. Aber statt die Industrie zu fördern verschärften die meisten Vergünstigungen die Lage.
Illegale Absprachen
Aus diesem System entstanden und entstehen viele illegale Absprachen. Ein Beispiel ist der Profit aus den unterschiedlichen Währungskursen. Ein Unternehmer erstellt eine Strohfirma im Ausland und kauft billige Maschinen, die auf dem Papier modern und notwendig erscheint. Diese mag etwa 10.000 US-Dollar kosten, in den Dokumenten aber zu einer Million angegeben sein. Der Antrag auf Geldwechsel nach offiziellem Kurs wird bewilligt, ohne das die Qualität der Ware überprüft werden kann. Der Unternehmer erhält so eine Million Dollar weit unter Wert und kann seiner Strohfirma eine entsprechend größere Menge an Produktionsmitteln kaufen. Auf diese Weise macht er einen Gewinn, für den er unter Wettbewerbsbedingungen Jahrzehnte gearbeitet hätte.
Die 1996 in Usbekistan gestartete beschleunigte Industrialisierung beruht auf der Strategie der Importssubstitution. Die Grundidee besteht darin, nichts für Fremdwährung im Ausland zu kaufen, was auch im Inland produziert werden kann. Heute gilt diese eine Strategie als schlechte Idee. Moderne, wettbewerbsfähige Wirtschaften setzen auf internationale Arbeitsteilung, bei der man nicht alles selbst produzieren muss. Ein Land muss sich auf bestimmte Produkte spezialisieren, denn solange es alles produziert, wird dieses „alles“ von relativ schlechter Qualität und teuer sein. Unter diesen Bedingungen findet ein Land seinen komparativen Vorteil und nutzt ihn.
Usbekistan könnte sich auf eine Bandbreite an Produkten und Dienstleistungen spezialisieren. Dafür muss es sich aber an der internationalen Arbeitsteilung beteiligen. Erst muss das Land geöffnet werden, dann zeigt die Konkurrenz, wo die Stärken des Landes liegen. Solch ein Ansatz nennt sich Exportorientierung und wird von vielen erfolgreich entwickelten Ländern wie Südkorea und China angewandt.
Im Rahmen des Modells der Importsubstitution wird der Sum künstlich teuer gehalten und der Dollar unter Wert gehandelt. Exporteure müssen ihre verdiente Fremdwährung zum offiziellen Kurs verkaufen, wobei die dadurch gewonnenen Dollar eigentlich der Industrialisierung dienen sollen (durch den Verkauf billiger Währung an Importeure).
Der Schwarzmarkt wuchs durch die Einmischung der Regierung in die Wirtschaft und den unfreien Geldtausch. Der Schwarzmarktkurs war zwei bis sechs mal höher als der offizielle. Es wurden viel Geld in die Industrialisierung investiert, was aber keine Ergebnisse brachte. Allmählich merkte auch die Staatsspitze, das etwas nicht stimmte: Zahlreiche Projekte scheiterten, das Land verlor Geld und allein durch den geschlossenen Tauschmarkt sank das Bruttoinlandsprodukt laut der Weltbank um 20 Prozent.
Im Jahr 2002 entschied sich die Regierung, den offiziellen Sum-Kurs abzuwerten.
2002-2008 : Erfolgreiches Wachstum
Die Regierung entschied dazu, weniger in den Markt einzugreifen und der offizielle Dollar-Kurs konnte sich frei entwickeln. So waren der offizielle und der Schwarzmarktkurs im Jahr 2004 fast gleich. Der Schwarzmarkt existierte weiter zwischen 2004 und 2008, aber auch der offizielle Währungstausch unterlag nur geringen Einschränkungen.
Die Situation brachte Aufschwung in die usbekische Wirtschaft. Neben der Liberalisierung des Marktes wurde es leichter, Unternehmen zu gründen, Lizenzen konnten einfacher erhalten werden oder wurden ganz abgeschafft und die Regulierung der Banken wurde vereinfacht. Auch die Steuern wurden stark gesenkt.
Somit entwickelten sich weitere Unternehmen, die die Wirtschaft vorantrieben. Das Investitionsvolumen in der Industrie ging zurück, aber die Investitionen brachten deutlich mehr Ertrag. Der Export vervielfachte sich. Eben zu der Zeit stiegen auch die Wohnungspreise, ein Indikator für wirtschaftliche Aktivität.
Es hätte vielleicht auch weiter so günstig vorangehen können, aber 2008 kam die Finanzkrise.
2008-2016: Zurück zur alten Politik
Während der Wirtschaftskrise brach die Weltwirtschaft zusammen und damit auch die Nachfrage nach usbekischen Exportprodukten. Dadurch, sowie durch die sinkenden Rückzahlungen der Arbeitsmigranten, gelangten weniger Währungen ins Land.
In freien Marktwirtschaften verliert die staatliche Währung in solch einer Situation meist an Wert, und wird auch kaum daran gehindert. Im Anschluss werden Fremdwährungen teurer, sind weniger gefragt und der Währungsmarkt findet ein neues Gleichgewicht.
Ein fester Dollar-Kurs
Die usbekische Regierung entschied sich jedoch für eine Rückkehr zur alten Politik. Der offizielle Dollar-Kurs wurde festgenagelt und der Währungstausch eingeschränkt.
Der Schwarzmarkt lebte wieder auf und der Unterschied zwischen den offiziellen und inoffiziellen Kursen wuchs erneut. Die Lage verschärfte sich dadurch, dass die Regierung (im Gegensatz zum Zeitraum 1996-2002) auch den Schwarzmarktkurs regulierte und seinen Wachstum einschränkte.
Es ist nicht einfach einen illegalen Markt zu beeinflussen, aber es gibt Instrumente, um solche Märkte zu regulieren. Schwarzmärkte funktionieren allein mit Bargeld; es ist nicht möglich, dort Dollar von einer Karte oder einem Konto zu tauschen. Somit kann die Verfügbarkeit von Bargeld eingegrenzt werden, um den Schwarzmarkt indirekt zu regulieren.
Maßnahmen gegen den Schwarzmarkt
Eine sanfte Variante besteht darin, Autos für Sum statt für Dollar zu verkaufen. Danach müssen Menschen, die Autos kaufen wollen, ihre Dollar in Sum tauschen, wodurch der Dollar günstiger und der Sum teurer wird. Aber die Bevölkerung kann nicht allzu viele Autos kaufen und auch die lokale Automobilindustrie einer hohen Nachfrage kaum nachkommen. Deshalb wurde eine härtere Maßnahme gewählt: den Zugriff zu Bargeld insgesamt einzuschränken. Geld wurde nun zwangsläufig auf EC-Karten übertragen und man konnte praktisch kein Geld abheben.
Diese Maßnahme gegen den Schwarzmarkt hatte zeitweise Erfolg. Der Unterschied zwischen offiziellem und inoffiziellem Kurs hielt sich lange in Grenzen. Aber es war schwer, den Schwarzmarkt permanent zu regulieren und besonders nach dem Wertverlust des Rubels im Jahr 2014 wurde die Spanne zwischen den Kursen immer größer.
2017 : Die Liberalisierung des Währungsmarktes
Nach dem Machtantritt Schawkat Mirsijojews, früher Premierministe Usbekistans, hat sich die Lage schnell geändert. Die Liberalisierung des Währungsmarktes wurde in die Regierungsstrategie 2017-21 aufgenommen.
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Schließlich wurde der Sum nach einem Sommer voller Gerüchte am 5. September 2017 abgewertet und möglichst nah an den Schwarzmarktkurs angepasst. Durch den uneingeschränkten Kauf von Fremdwährungen per Überweisung und die Abwertung des offiziellen Kurses sind die Kurse praktisch identisch.
Der Kauf von Fremdwährungen in Bar ist weiterhin verboten, aber womöglich nur vorübergehend. Auch der Schwarzmarkt besteht weiter, aber in deutlich kleinerem Umfang, da er kaum einen besseren Kurs als die Banken bieten kann.
Darina Solod
Citizen
Aus dem Russischen von Florian Coppenrath
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