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Kasachstan plant Referendum über den Bau eines Atomkraftwerks

ENTSCHLÜSSELUNG. In seiner Rede an die Nation hat Kasachstans Präsident Qasym-Jomart Toqaev ein Referendum über den Bau des ersten Atomkraftwerks in Kasachstan angekündigt. Angesichts der zweitgrößten Uranreserven der Welt und der seit Jahren zunehmenden Energieknappheit erscheint die Nutzung von Kernenergie notwendig. Diese ist aber nicht unumstritten – der lange Schatten von 40 Jahren sowjetischer Atomtests auf kasachstanischem Boden wiegt immer noch schwer.

Kasachstan plant ein Referendum über den Bau seines ersten Atomkraftwerks (Symbolbild), Photo : Stefan Kühn / Wikicommons.

ENTSCHLÜSSELUNG. In seiner Rede an die Nation hat Kasachstans Präsident Qasym-Jomart Toqaev ein Referendum über den Bau des ersten Atomkraftwerks in Kasachstan angekündigt. Angesichts der zweitgrößten Uranreserven der Welt und der seit Jahren zunehmenden Energieknappheit erscheint die Nutzung von Kernenergie notwendig. Diese ist aber nicht unumstritten – der lange Schatten von 40 Jahren sowjetischer Atomtests auf kasachstanischem Boden wiegt immer noch schwer.

Die Kernenergie rückt in den Fokus der kasachstanischen Politik. In seiner Rede an die Nation, die Präsident Qasym-Jomart Toqaev vor den beiden Kammern des Parlaments hielt, sprach er von der Organisation eines nationalen Referendums über den Bau eines Atomkraftwerks. Dies berichtet Radio Azattyq, der kasachstanische Dienst von Radio Free Europe. Zum jetzigen Zeitpunkt sind weder das Datum des Referendums noch genaue Fragestellung bekannt, aber die Wahlkommission erklärte, dass eine Durchführung noch im Jahr 2023 möglich sei.

Der Standort des künftigen Kernkraftwerks wäre das Dorf Úlken am Ufer des Balqash-Sees – ein Ort, der alle praktischen Voraussetzungen für eine solche Anlage zu erfüllen scheint. Nach dem kasachstanischen Kernenergiegesetz ist für den Bau eines Kernkraftwerks eine lokale Genehmigung erforderlich.

Das Akimat [Regionalverwaltung, Anm. d. Ü.] des Gebiets Almaty habe bereits mit öffentlichen Diskussionen begonnen, berichtet das Energieministerium. Zehn Tage vor der Rede des Staatsoberhauptes hatten die Einwohner:innen von Úlken Anspruch auf Konsultationen und öffentliche Treffen, um die Herausforderungen der zivilen Atomkraft vor ihrer Haustür zu diskutieren, berichtet Radio Free Europe.

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Im Februar 2023 wurde in den sozialen Medien eine Petition für den Bau des Kernkraftwerks im Namen der Bewohner:innen von Úlken veröffentlicht. „Wenn wir in den kommenden Jahren nicht mit dem Bau eines Kernkraftwerks beginnen, werden wir mit einem gravierenden Energiemangel und in der Folge mit Stromausfällen, Mangel an Wärme und Licht, Produktionsausfällen und anderen Problemen konfrontiert sein. Das kann nicht zugelassen werden“, heißt es darin. Aber die öffentliche Meinung in Kasachstan ist nicht so einhellig.

Atomkraft für das größte Uran produzierende Land

Der Strommangel in Kasachstan ist das Hauptargument der Befürworter eines Atomkraftwerks. Im vergangenen Winter herrschte in der nordkasachstanischen Stadt Ekibastuz zehn Tage lang Ausnahmezustand, nachdem bei -30 Grad Außentemperatur die Fernwärme ausgefallen war. Die Erinnerung daran ist in der Bevölkerung noch sehr lebendig.

Auch die Regierung unterstützt dieses Argument und fügt hinzu, dass das Land der weltweit führende Produzent von Uran sei – dem Erz, das zur Stromerzeugung in Kernkraftwerken verwendet wird. Kasachstan ist für 35,6 Prozent der weltweiten Uranproduktion verantwortlich und verfügt über 11,8 Prozent der Reserven. Seine jährliche Produktion von mehreren zehntausend Tonnen trägt jedoch bisher nicht zur Stromversorgung des Landes bei.

Schmerzhafte Erinnerung

Die Frage der Wasserkühlungsmethoden, Streitigkeiten mit China über die gemeinsame Nutzung des den Balqash-See speisenden Flusses Ili und der Rückgang des Wasserpegels im See lassen die Anwohner:innen jedoch einen neuen Atomunfall in Kasachstan befürchten. Auch wenn die meisten Expert:innen versichern, dass dies unwahrscheinlich sei, bestehen bei einem Teil der Bevölkerung Zweifel, wie eine Reportage von Radio Free Europe aus Úlken selbst zeigt.

Präsident Toqaev räumt in seiner Rede ein: „Viele Bürger und einige Experten sind besorgt über die Sicherheit von Kernkraftwerken. Dies ist angesichts des tragischen Erbes des Atomtestgeländes Semipalatinsk verständlich.“

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Von 1949 bis 1989 wurden auf dem Testgelände im Osten des Landes mindestens 456 Atomtests zur Entwicklung der ersten sowjetischen Atombombe durchgeführt. Die beeinträchtigt bis heute sowohl die regionale Ökologie als auch die Gesundheit mehrerer Generationen von Anwohner:innen. Das tragische Erbe des Atomtestgeländes Semipalatinsk, aber auch von Tschernobyl und Fukushima kommt der kasachstanischen Bevölkerung sofort in den Sinn. Aus diesem Grund organisierten Aktivist:innen im August Demonstrationen gegen den Bau des Kernkraftwerks, so das kasachstanische Nachrichtenportal Vlast.

Erneuerbare Energien als Alternative?

Trotz immer häufiger auftretender Energieengpässe plädieren einige Expert:innen nicht für die Atomkraft, sondern für erneuerbare Energien. Aset Nauryzbaev, ehemaliger Präsident von Kasachstans wichtigstem Stromnetzbetreiber KEGOC, glaubt, dass es „billiger und sicherer ist, den wachsenden Strombedarf aus erneuerbaren Energiequellen zu decken“. Energie würde dadurch für die Bevölkerung günstiger werden.

Der Ökonom Marat Abdurahmanov ist der Meinung, dass es wirtschaftlich vorteilhafter wäre, anstelle eines Atomkraftwerks Solaranlagen und Windkrafträder zu bauen.

Ein vieldiskutiertes Thema

Die Diskussionen über den Bau eines Kernkraftwerks am Balqash-See, das den experimentellen BN-350-Reaktor in Aqtaý ersetzen soll, werden schon seit einiger Zeit geführt. Dieser Prototyp eines Kernreaktors feierte letztes Jahr sein 50-jähriges Jubiläum.

Die Inbetriebnahme des ersten Blocks war für 2005 geplant, wurde aber aufgrund des Misstrauens der Bevölkerung immer wieder verschoben. 2019, im Jahr seiner ersten Wahl zum Präsidenten, versicherte Qassym-Jomart Toqaev, dass der Bau eines Atomkraftwerks auf seiner Agenda stehe.

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Doch die Chancen stehen gut, dass in diesem Jahr offiziell mit dem Bau des ersten Kernkraftwerks begonnen wird. In einem Kommentar auf Vlast erklärt Dmitri Mazorenko, dass die Regierung ihre Kommunikation rund um das Referendum und die Vorteile der Kernenergie intensiviert. Influencer:innen würden sogar dazu gedrängt, Inhalte im Internet zu verbreiten, um die Notwendigkeit eines Kernkraftwerks zu untermauern.

Die Kosten für den Bau des Atomkraftwerks würden sich auf mindestens fünf Milliarden US-Dollar belaufen, berichtet das kasachstanische Nachrichtenportal Kursiv. Die endgültige Summe werde aber erst bekannt gegeben, wenn klar ist, wer den Zuschlag bekommt. Als Favorit gilt der russische Konzern Rosatom. Ein zweites Atomkraftwerk könnte übrigens in der Nähe von Kurchatov, einer Stadt im Gebiet Abaı im Nordosten des Landes, gebaut werden. Dies gab ein Vertreter des Energieministeriums während einer Informationsveranstaltung im Jahr 2022 bekannt.

Lou Desmoutiers, Redakteurin für Novastan

Aus dem Französischen von Robin Roth

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