Seit dem Referendum vom 8. Oktober 2024 steht fest: Kasachstan bekommt ein Atomkraftwerk. Auch Frankreich rechnet sich Chancen aus, führender Partner beim Bau des ersten kasachstanischen Meilers zu werden.
Kasachstan liefert zwar bis zu 43 Prozent des weltweiten Urans, kämpft jedoch permanent mit Energieengpässen. Im Rahmen einer Strategie zur Überwindung des Energiedefizits setzte die Regierung für den 8. Oktober 2024 ein Referendum über den Bau eines Kernkraftwerks an. Die Mehrheit der Bevölkerung stimmte dabei für den Bau eines ersten Kernkraftwerks in der Nähe des im Osten des Landes gelegenen Balqash-Sees. Bereits am 3. Januar 2025 sprach Präsident Qasym-Jomart Toqaev über den perspektivischen Bau von zwei weiteren Kernkraftwerken in Kasachstan.
Um den Bau des Kernkraftwerks bereits in der ersten Hälfte des Jahres 2025 umzusetzen, pocht die Regierung darauf, eine Interessengemeinschaft von Energieunternehmen aus insgesamt fünf Ländern zu bilden, so Energieminister Almasadam Sätqaliev. Die Unternehmen seien dazu aufgerufen, Kasachstan optimal zugeschnittene Zeit- und Kostenvoranschläge zu unterbreiten, sagte er. Obwohl sich a priori mehrere Länder an dem Projekt beteiligen werden, wird sich eine der Parteien als Hauptverantwortlicher herausbilden. Dieser wird in den entscheidenden Etappen eine tragende Rolle einnehmen. Zu den potenziell führenden Ländern gehört Frankreich, das über hochinnovative Nukleartechnologie verfügt. Da fast 70 Prozent der Elektrizität des Landes durch Kernkraft erzeugt wird, bietet Frankreich gute Voraussetzungen, Kasachstan auf dem Weg zur Unabhängigkeit von fossilen Brennstoffen zu unterstützen.
Unterstützt Novastan – das europäische Zentralasien-Magazin
Als vereinsgetragene, unabhängige Plattform lebt Novastan vom Enthusiasmus seiner ehrenamtlichen Mitarbeiter:innen – und von eurer Unterstützung!Darüber hinaus könnte die französische Beteiligung Kasachstans multivektorielle Außenpolitik stärken und die Abhängigkeit von Russland und China ausbalancieren. Dies ist angesichts der heftigen Auseinandersetzungen zwischen westlichen und russischen Unternehmen von besonderer Bedeutung.
Strategische Partnerschaft im Bereich der Kernenergie
Als Emmanuel Macron seinen kasachischen Amtskollegen im November 2024 in Paris empfing, bekannte er sich ausdrücklich dazu, die nuklearen Ambitionen Kasachstans zu unterstützen. Die beiden Präsidenten trafen darüber hinaus Vereinbarungen über die Zusammenarbeit bei der Entwicklung von Nukleartechnologie sowie der Exploration Seltener Erden.
Während eines darauffolgenden offiziellen Besuchs in Frankreich vom 4. bis 6. Dezember 2024 führte eine kasachstanische Delegation unter der Leitung des Energieministers Gespräche über eine strategische Nuklearpartnerschaft. Die Delegation traf sich mit wichtigen Akteuren der französischen Atomindustrie, darunter Électricité de France (EDF), Framatome und Arabelle Solutions. Frankreich, weltweit wichtigster Player im Bereich der Kernenergie, erklärte sich bereit, Kasachstan bei diesem Projekt technisch und strategisch zu unterstützen.
Lest auch auf Novastan: Grüne Transition in Zentralasien – Unterstützung durch europäische Entwicklungszusammenarbeit
Die Aussicht auf die französische Beteiligung öffnet strategische Möglichkeiten. Die EDF schaffte es bereits als potenzieller Technologielieferant in die engere Wahl. Doch Frankreich kokettiert nicht nur mit hochentwickelten Technologien, es würde auch zu einer Stärkung der bilateralen Beziehungen und der Energiesicherheit in Zentralasien beitragen. Letzteres ist vor dem Hintergrund der Energiemängel und der obsoleten Infrastruktur, die in den letzten Wintern zu folgenreichen Stromausfällen geführt hatten, das politische Thema der Stunde.
Geopolitische Streitigkeiten
Die Entscheidung, in Kasachstan ein Konsortium internationaler Unternehmen zu gründen, ist nicht nur eine wirtschaftliche Initiative, sondern auch ein geopolitischer Balanceakt. Mehrerer Länder miteinzubeziehen, darunter Frankreich, Südkorea, China und Russland, ist Teil der kasachischen Strategie. Diese zielt darauf ab, die Partnerschaften zu diversifizieren und die Außenpolitik multisektoral zu gestalten.
Von Innen wird allerdings Kritik aufgrund des potenziellen Einflusses „polarisierender“ Länder laut. Einigen Aktivisten bereiten die westlichen Technologien Sorgen, anderen ist die Beteiligung russischer Unternehmen zuwider. An dieser Stelle könnte ein französisches Unternehmen Kasachstan einen Kompromiss darstellen: eine Entscheidung zwischen den Nachbarn Kasachstans würde vermieden und das geopolitische Gleichgewicht bewahrt werden.
Lest auch auf Novastan: „Darmarka“: Wie Umweltaktivist:innen in Almaty alte Dinge recyclen
So könnte laut Mitgliedern der Bewegung „NPP kerek emes“ („Wir brauchen kein AKW“) die diplomatische Unabhängigkeit Kasachstans in Mitleidenschaft gezogen werden, wenn die Föderale Agentur für Atomenergie Russlands Rosatom den Hauptauftrag für den Bau erhält. In einer Diskussionsrunde auf dem beliebten Youtube-Analyse-Channel Hyperborey äußerte der russisch-deutsche Öko-Aktivist Wladimir Sliwjak die Meinung, dass Russland den AKW-Bau in voller Absicht „fördert“. „Der potenzielle Vertrag mit Rosatom ist gerade aus organisatorischer und wirtschaftlicher Sicht von Vorteil, weil wir nach Geldgebern noch nicht einmal suchen müssten. Wir müssten noch nicht einmal hingehen und um die Gelder bitten“, sagte er.
„Wer Kernreaktoren bei einem anderen Land bestellt, macht sich von diesem für die nächsten 100 Jahre abhängig, wenn nicht sogar noch länger. Das wiederum birgt auch die Möglichkeit, andere politische Fragen zu lösen“, fasste der Umweltschützer zusammen.
Andererseits ist die Wahrscheinlichkeit nach Ansicht russischer Politologen äußerst gering, dass Kasachstan die Zusammenarbeit mit Russland zugunsten französischer Atomprojekte ausschlägt.
Lest auch auf Novastan: „Das Ewige Thema“ – Ein Gespräch mit der kasachischen Schriftstellerin Roza Muqanova
Im November 2023 hatte Sergej Markow, Experte und Direktor des Instituts für politische Studien in Russland, gegenüber dem russischen Medium RIAMO erklärt, dass der Bau französischer Kernkraftwerke in Kasachstan unwahrscheinlich sei. Die Beteiligung seitens Rosatom an Projekten solcher Art habe fast schon Tradition, begründete er. „Die Verhandlungen mit den Franzosen dienen höchstwahrscheinlich dazu, die Zusammenarbeit mit Rosatom auf bessere Bedingungen zu hieven. Die tatsächlichen Aussichten für eine Hauptrolle Frankreichs sollten jedoch nicht überschätzt werden“, sagte er.
Traut man den Einschätzungen des kasachstanischen Ökonomen Almas Tşukin, sind Russland und Frankreich zwar beide weltweit führend im Bereich der Kernenergie, doch ziehe Russland in der derzeitigen geopolitischen Lage den Kürzeren.
„Was den technischen Entwicklungsstand betrifft, spielen Frankreich und Russland beide in der ersten Liga. Frankreich ist das Land der Atomkraft schlechthin. Die Kernkraftwerke stemmen 70 Prozent des französischen Stroms. Ihre neuesten Entwicklungen sind Weltspitze. Russland steht zwar bei der Anzahl der AKWs an erster oder zweiter Stelle, hat aber die Sanktionen am Bein, die auch entscheidende importierte Komponenten und Geräte treffen. Darüber hinaus ist Rosatom selbst mit Sanktionen belegt, und eine Zusammenarbeit mit ihnen wirft große Fragen auf“, so der Wirtschaftler in einem Interview mit Orda.kz.
Die öffentliche Meinung und die Ursachen des Energiedefizits
Trotz seines Status als führender Uranproduzent hat Kasachstan ernsthafte Herausforderungen in puncto Energiesicherheit aufgrund der bereits erwähnten infrastrukturellen Probleme. Das kasachstanische Energiedefizit beträgt zu Spitzenzeiten 2 Gigawatt und könnte bis 2030 auf 7 Gigawatt ansteigen, sagte der Stellvertretende Ministerpräsident Roman Sklıar bei einer Pressekonferenz im Oktober 2024.
Obwohl die Mehrheit der kasachstanischen Bevölkerung die Kernenergie befürwortet, bestehen weiterhin Bedenken hinsichtlich des Umweltschutzes, der Katastrophenvorsorge und der Entsorgung der radioaktiven Abfälle. In Reaktion darauf bekannte sich Kasachstans Regierung dazu, die internationalen Sicherheitsstandards einzuhalten und die Transparenz der Entscheidungsprozesse zu gewährleisten. Weiterhin ziehe sie auch Bildungsinitiativen in Betracht, um der Öffentlichkeit die Vorteile und Risiken der Kernenergie näher zu bringen.
Es soll nicht unerwähnt bleiben, dass Kasachstans jüngere Geschichte auch ein maßgebliches „nukleares Erbe“ trägt: Über 450 zwischen 1949 und 1991 durchgeführte Atomtests haben die Umwelt und Gesundheit in der Region um die Stadt Semipalatinsk [heute Semeı, Anm. d. Red.] nachhaltig geschädigt. In der Öffentlichkeit Kasachstans stellt dies nach wie vor ein sensibles Thema dar.
Lest auch auf Novastan: Kasachstan: Auf dem Atomwaffentestgelände Semipalatinsk wird eine Sicherheitszone eingerichtet
Zuletzt unterstreicht Kasachstan gleich in zweifacher Hinsicht seine friedliche und verantwortungsvolle Absicht: Zum einen ist es sich seiner Rolle als führender Uranproduzent bewusst, zum anderen hält es weiter an dem Atomwaffensperrvertrag über die Nichtverbreitung von Atomwaffen fest. Diesen hatte der Erste Präsident Nursultan Nazarbaev 1993, zwei Jahre nach der Schließung des Testgeländes, unterzeichnet. Seit 1995 ist Kasachstan atomwaffenfrei.
Viele Experten hegen keinerlei Zweifel, dass Russland den Bauauftrag erhalten wird. Es sei jedoch daran erinnert, dass der Kasachstans Präsident Toqaev kürzlich in einem Interview mit dem Medium Apa Tili Pläne zum Bau weiterer zwei oder drei Kernkraftwerke angekündigt hat. Experten rechnen der EDF in diesen Projekten gute Chancen für eine Führungsrolle aus. Denn Frankreich imponiert nicht nur mit seiner Expertise im Bereich der Kernkraft, es punktet auch mit der positiven Resonanz vergangener Projekte in anderen Ländern.
Sherzod Babakulov für Novastan
Aus dem Russischen von Arthur Siavash Klischat
Noch mehr Zentralasien findet ihr auf unseren Social Media Kanälen: Schaut mal vorbei bei Twitter, Facebook, Telegram, Linkedin oder Instagram. Für Zentralasien direkt in eurer Mailbox könnt ihr euch auch zu unserem wöchentlichen Newsletter anmelden.
Daniel Pasquier, 23 days ago
„La France impressionne non seulement par son expertise dans le domaine de l’énergie nucléaire, mais elle marque également des points grâce aux retours positifs qu’elle a suscités dans le passé auprès d’autres pays.“
Ah bon? En Finlande la France a effectivement livré l’EPR d’Olkiluoto…avec 12 ans de retard sur le calendrier initial!!! Evitez amis kazakhs de traiter avec la France de Macron ou bien il vous faudra être patients, très patients!
Reply