Als zum Jahresanfang eine Kältewelle über Zentralasien hinwegfegte, hielt sich die kirgisische Hauptstadt mehrere Tage hintereinander auf Weltranglistenplatz Nummer eins unter den Städten mit der schmutzigsten Luft. Die Lage wird für die Einwohner immer mehr zum Alltag. Ein Ende ist nicht in Sicht.
Kaum war der Winter gekommen, war es um die saubere Luft für die Bewohner Bischkeks geschehen. Das schreibt die kirgisische Zeitung 24.kg nach Auswertung der Daten der Schweizer Plattform IQ Air. Seit Dezember letzten Jahres bricht die kirgisische Hauptstadt alle Verschmutzungsrekorde, besonders seit dem 12. Januar, als die Konzentration von verschmutzten Partikeln in der Luft als „sehr gefährlich“ eingestuft wurde.
Es kam so weit, dass ein Abgeordneter für die Notwendigkeit der Verhängung des Ausnahmezustands in der Hauptstadt plädierte. Ein Vorschlag, den der stellvertretende Minister für Notsituationen, Edelbek Kulmatow, am 19. Januar ablehnte, wie die Nachrichtenseite Bischkek.kg berichtete. Jeden Winter scheint sich das gleiche Szenario zu wiederholen. Mit den kälteren Temperaturen nimmt die Luftverschmutzung zu, ein dichter Nebel legt sich über die nun beinah apokalyptisch anmutende Stadt.
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Bischkek erinnert an Adam McKays neuesten Film Don’t Look up, wo sich die Bevölkerung in zwei Gruppen spaltet: Eine, die sich der Notlage bewusst wird, und eine andere, die sich partout weigert, dem über ihren Köpfen fliegenden Meteoriten „Smog“ bei seinem Einschlag zuzusehen.
„Das Schlimmste ist, dass man sich sogar daran gewöhnt!“
Es ist Mitte Januar. Eine Mischung aus Rauch, CO2-Emissionen, Staub- und Schadstoffen nimmt Bischkeks Straßen ein. Obwohl die Luft extrem giftig ist, sind kaum Maskenträger zu sehen. Eltern mit Kinderwagen spazieren durch die Straßen, als wäre nichts.
„Sie wünschen sich ein Kind? Dann empfehle ich Ihnen den Oktober für den Beginn der Schwangerschaft“, meinte Dr. Rustam Tuchwatschin in einem Interview mit der kirgisischen Zeitung Kaktus. Der Doktor für Medizin und Professor an der Medizinischen Akademie hat den Einfluss der Umweltverschmutzung auf den weiblichen Körper erforscht. Sein Ergebnis: Die negativen Auswirkungen haben sich weiter verschärft.
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Laut UNICEF war der Smog zwischen Juli 2021 und Juni 2022 für 112 Todesfälle verantwortlich. Es wird empfohlen, das Haus in den Hochzeiten der Luftverschmutzung nicht zu verlassen und draußen Maske zu tragen. Doch nur vereinzelt bewegt der Smog die Einwohner zu einer Veränderung ihrer Routine. „Es ist furchtbar, denn wir gewöhnen uns sogar daran“, erklärte Nurzat Abdyrasulowa, Vorsitzende der Unison Group, einem Bündnis von Organisationen im Bereich Umwelt und Energie in Kirgisistan, gegenüber Novastan. „Manche schließen sich zusammen, um bei Ausfahrten in den Bergen saubere Luft zu atmen, aber der Qualm ist schier überall. Andere wollen Bischkek verlassen, aber ein Umzug ist kompliziert“.
Ebendeshalb unterstützte die Vorsitzende der Unison-Gruppe die Initiative für eine Smog-Fotoausstellung im Nationalen Kunstmuseum in Bischkek. Die Aufnahmen des Fotografen Schajloo Djekschenbajew zeigen die Umweltverschmutzung in der Hauptstadt zu verschiedenen Zeiten. Die Aktivistin meint: „In den sozialen Netzwerken überscrollen wir täglich Bilder, auf denen der Smog zu sehen ist. Aber wir dürfen das Problem nicht aus dem Auge verlieren, sobald die schönen Tage wieder kommen.“
Wirtschaft 1 : Ökologie 0
Nurzat Abdyrasulowa erklärt, es sei kompliziert, einen einzigen Faktor zu bestimmen, der für die Umweltverschmutzung in Kirgisistan verantwortlich sei, denn es handele sich eben um ein Zusammenspiel.
Dort, wo in den Häusern eine Ofenheizung läuft, sei der private Sektor besonders verschmutzt, stellten Umweltschützer fest. Kohlepreise sind deutlich niedriger als Gaspreise und so heizen die armen Bevölkerungsgruppen mit minderwertiger Kohle oder verbrennen Plastik oder Gummi.
Bei der Umweltverschmutzung durch Autos findet sich ein ähnliches Phänomen. Viele fahren noch immer mit alten Autos ohne Katalysator, weil dies um einiges billiger ist.
Die Schuld auf die unteren Schichten zu schieben, verfehlt allerdings den Kern des Problems. Teil dessen ist auch die Korruption. Der Wirtschaftswissenschaftler Bolot Dschunussow erklärt in einem Artikel der Zeitung Kaktus, dass die Ergebnisse trotz großzügiger Finanzierung durch Umweltprogramme auf sich warten lassen. Im Jahr 2020 stellten die Vereinten Nationen dem Land beispielsweise mehr als 3 Millionen US-Dollar (mehr als 2,7 Millionen Euro) zur Verfügung. Im Dezember 2022 bat Kirgisistan erneut um Hilfe in Höhe von 6,7 Milliarden US-Dollar (6,2 Milliarden Euro), berichtet das kirgisische Medium Kloop.
Auch die Lage und Bauplanung bergen besondere Herausforderungen, fügt Nurzat Abdyrasulowa hinzu. Man baut weiter fleißig Wolkenkratzer, obwohl die Bergwinde kaum noch in die Stadt vordringen. Hinzu kommt, dass die Bäume aufgrund von Straßenreparaturen stetig verschwinden, erklärte 24.kg bereits 2019.
Die Politik leugnet konsequent
Angesichts der problematischen politischen Lage „gibt es eine Leugnung seitens der Regierung“, erklärt Nurzat Abdyrasulowa. Für sie sei der Smog kein Problem, meint sie. Die Beamten des Ministeriums für natürliche Ressourcen weigern sich regelmäßig, den Daten der städtischen Messgeräte Glauben zu schenken und bezeichnen sie als falsch, schreibt die kirgisische Zeitung 24.kg.
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Für die Vorsitzende der Umweltorganisation liegt die Lösung jedoch auf der Hand: Mehr Subventionen für öffentliche und private Akteure, um zu weniger umweltbelastenden Verbrauchsmustern überzugehen. In den letzten Jahren wurde jedoch nichts unternommen, um die Häuser mit Gas zu versorgen, und restriktive Maßnahmen für Verbrenner-Autos sind immer noch in der Diskussion.
Obwohl die Politik das Handeln verweigert, gib Nurzat Abdyrasulowa die Hoffnung nicht auf: „Wenn wir das Problem aufschieben, wird es in ein paar Jahren zwei- bis dreimal so groß.“
Emma Collet, Redakteurin für Novastan
Aus dem Französischen von Arthur Siavash Klischat
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