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Warum ist Turkmenistan so oft Gegenstand von Fake News?

Die Nachricht ging um die Welt: Laut einem Bericht von Reporter ohne Grenzen habe Turkmenistan das Wort „Coronavirus“ aus seinen Medien verbannt, um nicht darüber sprechen zu müssen. Das Problem: diese Aussage ist falsch. Wie wir gezeigt haben, hätte eine einfache Google-Suche gereicht, um zu sehen, dass die offiziellen turkmenischen Medien seit Ende Januar regelmäßig über die Pandemie berichten. Doch warum wird Turkmenistan immer wieder Objekt von Fake News wie diesen?

Ehrengarde in Turkmenistans HauptstadtAschgabat
Immer wieder verbreiten sich Falschmeldungen über Turkmenistan (Illustration)

Die Nachricht ging um die Welt: Laut einem Bericht von Reporter ohne Grenzen habe Turkmenistan das Wort „Coronavirus“ aus seinen Medien verbannt, um nicht darüber sprechen zu müssen. Das Problem: diese Aussage ist falsch. Wie wir gezeigt haben, hätte eine einfache Google-Suche gereicht, um zu sehen, dass die offiziellen turkmenischen Medien seit Ende Januar regelmäßig über die Pandemie berichten. Doch warum wird Turkmenistan immer wieder Objekt von Fake News wie diesen?

Unsere KollegInnen von Novastan France haben in ihrer kostenpflichtigen Rubrik décryptage (dt.: Entschlüsselung) eine Analyse vorgenommen, die wir mit freundlicher Genehmigung übersetzen.

Anstatt das Coronavirus zu bekämpfen, habe Turkmenistan das Wort aus Gesprächen und Medien verbannt. Diese „Information“, die von Reporter ohne Grenzen (RSF) in einem Artikel vom 31. März verbreitet wurde, ging um die Welt. Doch auch wenn diese Meldung plausibel scheint – geht es doch um ein Land, das aus westlicher Sicht so „verrückt“ ist wie Turkmenistan, handelt es sich um eine Falschmeldung.

Ja, die Ausgangsinformation, dass das turkmenische Gesundheitsministerium das Wort „Coronavirus“ aus einigen Broschüren entfernt hat, ist richtig. Dies bedeutet aber nicht, dass dieses „Verbot“ im ganzen Land gültig ist. Medien, die den RSF-Artikel aufgriffen, übernahmen diese Behauptung aber ungeprüft.

Eine lange Serie von Fake News

Diese Fake News sind nur die Letzten in einer langen Serie. Bereits im Jahr 2005 verbreitete sich die Nachricht, dass alle Krankenhäuser außerhalb der Hauptstadt Aschgabat vom damaligen Präsidenten Saparmyrat Nyýazow (1990-2006) geschlossen worden seien. Trotz (oder vielleicht auch wegen) ihres verrückten Charakters wird die Meldung immer wieder aufgegriffen, obwohl die ursprüngliche Informationsquelle nicht mehr zugänglich ist.

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In jüngerer Zeit berichteten ausländische Medien dass es verboten worden sei, Zigatretten zu verkaufen, dass die unter 40-jährigen nicht das Recht hätten außerhalb des Landes zu reisen, Frauen nicht Auto fahren dürften, oder dass nur woch weiße Autos erlaubt seien. Diese „Informationen“ sind falsch oder nur in bestimmten Fällen wahr, oder sie lassen sich manchmal aus der tatsächlichen Politik der turkmenischen Behörden ableiten.

Wie kann man heute erklären, dass eine solche Falschmeldung von RSF und allen Medien, die sie übernommen haben, ernst genommen wurde? Ist Turkmenistan eine leichte Beute für Fake News?

Ein verschwiegenes und „verrücktes“ Regime

Ein Grund, warum unglaubliche Informationen aus Turkmenistan geglaubt und auch verbreitet werden, liegt in der Natur des turkmenischen Regimes. „Die turkmenische Staatsmacht kommuniziert nicht, selbst wenn es nötig ist, oder sie tut es sehr schlecht“, erklärt Régis Genté, ein unabhängiger Journalist, der sich auf Zentralasien und den Kaukasus spezialisiert hat und unter anderem für die französische Tageszeitung Le Figaro arbeitet. „Die Behörden haben eine Kommunikation für ihre eigene Umgebung, mit eigenen Kommunikationscodes. Wenn sie nach außen dringt, erhalten wir es nicht in derselben Umgebung, und es erscheint uns absurd“, fügt er hinzu.

„Der turkmenische Präsident und die Führung im Allgemeinen haben das Bild von verrückten Herrschern mit sehr seltsamen Regeln geschaffen. In gewissem Sinne sind sie zu Clowns für die Welt geworden“, meint Ruslan Myatiew, Chefredakteur des unabhängigen turkmenischen Nachrichtenportals Turkmen.news. Der Journalist verweist unter anderem auf die Videos des Präsidenten Gurbanguly Berdimuhamedow, in denen er mit seinem Enkel singt oder Schießübungen auf dem Fahrrad vornimmt.

Lest auch auf Novastan: Turkmenistans Präsident Berdimuchamedow: Seine „größten Hits“

„Wir sind seit 20 Jahren so sehr an eine etwas verrückte Seite des Regimes gewöhnt, dass wir einige Dinge nicht mehr überprüfen. Das ist ein gefährlicher Trend“, erklärt Bayram Balci, Direktor des Französischen Instituts für anatolische Studien (IFEA) in Istanbul und ehemaliger Direktor des Französischen Instituts für zentralasiatische Studien (IFEAC).

Ausländische Medien und Beobachter sehen durch das karikaturistische Prisma der sinnlosen Autokratie, um alle Informationen aus Turkmenistan zu interpretieren. „In diesem Zusammenhang erschien das Verbot des Coronavirus nicht als unmöglich, es war sogar ziemlich plausibel“, meint Lucas Anceschi, der an der Universität Glasgow zu Turkmenistan forscht.

Eine stark kontrollierte Medienlandschaft

Ein zweiter Grund, warum so leicht Fake News über Turkmenistan entstehen, ergibt sich aus dem Fehlen unabhängiger oder ausländischer Medien vor Ort. Derzeit beschränken sich die im Land registrierten turkmenischen Medien hauptsächlich darauf, Regierungsmitteilungen zu übernehmen. Die wenigen unabhängigen Medien haben ihren Sitz im Ausland, in der Regel in Europa. Ihre Korrespondenten vor Ort arbeiten verdeckt und üben einen schwierigen Job aus. „Obwohl wir heute ein Gesetz haben, das das Recherchieren und Verbreiten von Informationen erlaubt, wird Ihnen niemand Informationen geben. Alle haben zu viel Angst, den Job zu verlieren“, erklärt Ruslan Myatiew. „Alle, die für unabhängige Medien arbeiten, tun dies heimlich. Sie stellen sich nie als Journalisten vor“, fügt der Chefredakteur von Turkmen.news hinzu.

„Wir sind immer abhängig von denen, die die Nachrichten aus dem Land bringen, oft von Turkmenen im Exil“, sagt Regis Genté. „Sie sind Teil der Opposition und manchmal fehlt es ihnen an Informationen, obwohl sie die Arbeit im Allgemeinen sehr gewissenhaft machen“, beschreibt der französische Journalist die Lage.

Kaum SpezialistInnen

Es gibt nicht nur einen Mangel an lokalen JournalistInnen, sondern auch nur sehr wenige ForscherInnen, die sich auf Turkmenistan spezialisiert haben. Davon haben noch weniger tatsächlich Zugang zum Land. „Menschen, die über Turkmenistan sprechen, sind in der Regel Spezialisten aus der ehemaligen UdSSR oder Russland, mit einem analytischen Prisma, das nicht die ganze Vielfalt der Situationen berücksichtigt“, sagt Gilles Rémy, CEO von Cifal, einem internationalen Handelsunternehmen mit Sitz in Turkmenistan. Der Fehler von Alexander Cooley, der als seriöser Zentralasien-Forscher gilt, aber dennoch die Falschmeldung von RSF in einem Interview mit dem amerikanischen Sender NPR bestätigte, scheint dies zu belegen.

„Die Expertengemeinschaft verhindert nicht die Entstehung von Fake News. Sie unterstützt sogar den Prozess, denn diese Fake News legitimieren ihre Einschätzung des Landes“, meint Hoşgeldi Bagtyýarow (Pseudonym), ein Zentralasien-Forscher mit Felderfahrung in Turkmenistan. Schlimmer noch, diese Fake News finden ziemlich leicht Eingang in die wissenschaftliche Forschung über das Land. „Falsche Informationen über Turkmenistan werden schnell produziert, verbreiten sich noch schneller und werden für eine lange Zeit in der Diskussion gehalten, manchmal sogar in wissenschaftliche Analysen eingebracht“, fügt der Forscher hinzu.

Die „Faulheit“ der Medien

Nicht zuletzt ist auch die mangelnde Überprüfung von Informationen ein Grund – im konkreten Fall sowohl bei RSF als auch bei den zitierenden Medien. Die Hauptquelle des RSF-Artikels ist Chronika Turkmenistan. Dieses im Ausland ansässige turkmenische Nachrichtenportal „ist ziemlich seriös, aber dennoch oppositionell“, erklärt Régis Genté. Das Problem besteht darin, dass RSF die Information allem Anschein nach ungeprüft herausgab, wohlwissend, dass die einzige Quelle ein oppositionelles Exilmedium ist.

Sobald der Artikel veröffentlicht war, sorgte die „Marke“ RSF für die weitere Verbreitung. In vielen Medien “stellt sich niemand die Frage [ob die Information stimmt], weil es RSF ist. Die Medien füllen ihre Seite aus Faulheit und Mangel an Mitteln“, erklärt Régis Genté. „Man veröffentlicht ohne einen Turkmenistan-Spezialisten, mit einer netten Information und dem Gefühl, dass sie stimmen könnte“, fügt er unter Verweis auf den Sensationalismus in der Presse hinzu.

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Die Veröffentlichung von mehr als hundert Artikeln über dieses vermeintliche Verbot kommt auch von der „Unwissenheit der meisten Journalisten, die immer ein Zielland für übertriebene Karikaturen haben müssen“, meint Gilles Rémy. „Das stereotypische und exotische Bild der postsowjetischen Realität ist immer gefragt“, fügt Hoşgeldi Bagtyýarow hinzu.

Ein langfristiger Schaden für die Presse in Turkmenistan

Dennoch wird diese Falschmeldung wahrscheinlich langfristige Folgen haben. „Dieser virale Artikel ist sehr schlecht für uns, die unabhängige turkmenische Presse. Denn wenn die Leser uns das nächste Mal lesen, werden sie alles noch einmal überprüfen“, sagt Ruslan Myatiew, der immer noch auf RSF wütend ist.

„Die Aufgabe der Forscher und Journalisten ist es zu überprüfen und zu erklären. In diesem Punkt hat RSF an Glaubwürdigkeit verloren“, meint Lucas Anceschi. “Jedes Mal, wenn sie etwas veröffentlichen, werden wir es überprüfen. Ihr Versagen bei der Überprüfung von Fakten wird ein großes Problem für ihre Berichterstattung über Zentralasien werden“, fügt der Forscher der Glasgow University hinzu.

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Dieser Glaubwürdigkeitsverlust ist umso härter, da Turkmenistan seit Jahren eine der letzten Positionen im RSF-Jahresbericht über die Pressefreiheit einnimmt. In einem Kontext, in dem die Menschenrechtssituation eine der schlimmsten der Welt ist und ein ausgeprägter Persönlichkeitskult vorherrscht, hilft die Veröffentlichung falscher Informationen sicherlich nicht, wenn es darum geht, mit dem Regime in Dialog zu treten, um Fortschritte zu erzielen. „Die Exotisierung Turkmenistans geht weiter, während das Land auf Augenhöhe betrachtet werden will“, meint Hoşgeldi Bagtyýarow.

„Das Risiko besteht immer darin, das Land zu belasten. In diesem Sinne hilft die Verwendung von Karikaturen nichts und dient niemandem“, sagt Gilles Rémy. „Unser Interesse ist ebenso wie das der Turkmenen, eine überholte Sicht auf die Dinge zu haben“, schließt er.

Etienne Combier, Chefredakteur von Novastan France

Aus dem Französischen von Robin Roth

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