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„Tadschikistan zum Hub für künstliche Intelligenz machen“

Der junge Tadschike Asisdschon Asimi verfolgt neben einem erfolgreichen Studium in den Vereinigten Staaten auch ambitionierte Ziele in seiner Heimat. Mit seiner NGO TajRupt möchte er Tadschikistan zu einem Hub im Bereich der künstlichen Intelligenz machen. Folgendes Interview erschien am 22. Juni bei der russischen Internetzeitung Fergana. Wir übersetzten eine gekürzte Übersetzung davon mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.  

Asisdschon Asimi
Asisdschon Asimi

Der junge Tadschike Asisdschon Asimi verfolgt neben einem erfolgreichen Studium in den Vereinigten Staaten auch ambitionierte Ziele in seiner Heimat. Mit seiner NGO TajRupt möchte er Tadschikistan zu einem Hub im Bereich der künstlichen Intelligenz machen. Folgendes Interview erschien am 22. Juni bei der russischen Internetzeitung Fergana. Wir übersetzten eine gekürzte Übersetzung davon mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.  

Asisdschon Asimi hat sich ein ehrgeiziges Ziel gesetzt: Tadschikistan in ein regionales Zentrum für künstliche Intelligenz zu verwandeln. Der 23-jährige aus Chudschand ist Absolvent der New York University und absolviert zurzeit einen Masterstudiengang an der Stanford Graduate School of Business und der Harvard Kennedy School. Im Jahr 2018 wurde er als erster Tadschike in die asiatische „30 under 30“ Liste des Forbes Magazin aufgenommen, ein Verzeichnis von jungen erfolgreichen Sozialunternehmern in der Region.

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Vor drei Jahren gründete Asimi in Chudschand die NGO „TajRupt“, die zwei Projekte betreibt: ein außerschulisches Ressourcenzentrum für Schüler und Studenten zur Entwicklung von kritischem Denken und das Labor für künstliche Intelligenz „Tajrupt.ai“. Zu Beginn der Coronavirus-Pandemie unterstützte die Organisation den Start von „Yakdu.tj“, ein Online-Portal, auf dem Bürger einen geeigneten Arzt finden und medizinischen Rat erhalten können. Im Interview mit dem russischen Onlinemagazin Fergana erzählt Asimi von seinem Werdegang und Initiativen.

Fergana: Sie haben in Tadschikistan die erste Plattform zur Förderung von Projekten auf dem Gebiet der künstlichen Intelligenz gegründet. Warum genau diese Richtung?

Asimdschon Asimi: Nicht nur in Tadschikistan, sondern auch in Zentralasien. Tajrupt.ai ist das erste Zentrum für die Forschung zu künstlicher Intelligenz in der gesamten Region. In den technischen Bereichen verzeichnen die Bildungssysteme der postsowjetischen Länder Quantität, aber nicht Qualität. Ich meine damit, dass ein durchschnittlicher Schüler in Tadschikistan technischen Fächern viel mehr Stunden widmet als ein Schüler aus entwickelten Ländern. Das spiegelt sich aber nicht in der Qualität nieder, da Lernende sich vor allem mit Theorie und nicht mit Praxis befassen.

Wir bieten Schülern und Studenten die Möglichkeit, praktisch Daten zu studieren und zu analysieren. Das kann ihnen zu einem Wettbewerbsvorteil auf dem zukünftigen globalen IT-Markt verhelfen, auf dem die künstliche Intelligenz eine führende Rolle spielen wird. Ich hege auch die Hoffnung, Grundlagen der Statistik und Datenanalyse als Teil des Fachs Programmieren in den Schullehrplan in Tadschikistan zu integrieren. Diese gehören schließlich zu den wichtigsten Fertigkeiten in der modernen Welt. Es ist eine ambitionierte Hoffnung, da vieles berücksichtigt werden muss, von der qualitativen Vorbereitung der Lehrkräfte zur technischen Ausstattung der Schulen. Mein Hauptziel ist es, nach und nach in Tadschikistan ein regionales Drehkreuz für künstliche Intelligenz aufzubauen.

Im Mai schrieben Sie auf Ihrer Facebook-Seite, TajRupt habe eine Initiative gestartet, um Trends in den offiziellen Covid-19-Statistiken in Tadschikistan zu verfolgen, und so die Zahl der Fälle mit anderen zentralasiatischen Ländern zu vergleichen. Wie sehen die Trends heute aus?

Tatsächlich haben wir in einem frühen Stadium der Ausbreitung der Pandemie statistische Analysen durchgeführt. Die offizielle Aufdeckung des ersten Falles in Tadschikistan fand am 30. April statt, mehr als einen Monat nach anderen zentralasiatischen Ländern. Daher haben wir die Daten für den achten Tag nach der offiziellen Aufdeckung des ersten Falles – für Tadschikistan also der 7. Mai – anhand von Worldometers verglichen. Die Analyse wurde durch eine kleine Stichprobe erschwert. Zu der Zeit wurden in unserem Land pro Tag nur 200-250 Tests durchgeführt, verhältnismäßig viel weniger and in anderen Ländern.

Eine einfache Analyse zeigte, dass die Dynamik von COVID-19 laut offiziellen Statistiken in Tadschikistan um ein Vielfaches höher war als in anderen zentralasiatischen Ländern. Nach einer Woche hatten wir in Tadschikistan 50 Fälle für eine Million Menschen. Das ist sieben Mal mehr als in Kirgistan zu einem vergleichbaren Zeitpunkt, 18 Mal mehr als in Kasachstan und 39 Mal mehr als in Usbekistan.

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Dieser Indikator deutet eher auf eine verspätete Feststellung des ersten Falls hin, als auf eine besonders katastrophale Situation in Tadschikistan. Ich erinnere mich, dass das Thema in sozialen Medien Ende März und Anfang April heftig diskutiert wurde. Einige Bürgerinnen und Bürger meinten, man könnte getrost wie üblich weiterleben, da zu der Zeit aus mehr als 3000 Tests noch keine Fälle von Covid-19 aufgedeckt wurden. Das Problem mit diesem Argument ist, dass es das Prinzip von Messabweichungen (falsche Negative) ignorierte. In Russland, woher zunächst die meisten Tests in Tadschikistan kamen, waren bis zu 30 Prozent der negativen Tests fehlerhaft. Unsere Gesellschaft musste also davon ausgehen, dass es bereits Anfang April Fälle gab, da einige der 3000 negativen Tests womöglich fehlerhaft waren.

Was die Initiative angeht, so hatten wir einfach nicht genug Personal, um die Analyse fortzusetzen. Wir haben uns mehr mit Fragen wie Internetzugang und Telemedizin befasst. Ich bin sicher, dass die Statistiken später von Forschern aus anderen Ländern analysiert werden, da die Entwicklung der Situation und den Statistiken sehr auseinander ging.

Sie erwähnten die Telemedizin. Sie sind an einem Online-Projekt beteiligt, um den Kampf gegen das Coronavirus in Tadschikistan zu unterstützen. Zeigt das Projekt schon Ergebnisse?

Die Telemedizin ist eine wichtige Initiative im Kampf gegen Covid-19, da die Belastung des Gesundheitssystems durch Online-Konsultationen verringert werden kann. Um diesen Bereich zu entwickeln, startete TajRupt eine Partnerschaft mit dem Online-Portal Yakdu.tj im Bereich der Primärberatung. Im Rahmen der von TajRupt bereitgestellten Pilotfinanzierung arbeiten derzeit neun Ärzte in Vollzeit auf der Plattform Yakdu.tj und beantworten verschiedene medizinische Fragen. Einige dieser Ärzte haben vor kurzem den roten Bereich von Krankenhäusern verlassen, in denen sie mit Patienten mit Covid-19-Erkrankungen arbeiten, was sie für die Beratung zu diesem Thema besonders qualifiziert macht.

Im Durchschnitt werden bis zu 40 Fragen pro Tag bearbeitet, was der Arbeitsbelastung einer Ambulanz entspricht. Um die Dienste verfügbarer zu machen, hat TajRupt auch junge Freiwillige rekrutiert, die Fragen von Menschen ohne Internetzugang sammeln. Die Freiwilligen übertragen diese Fragen auf die Plattform Yakdu.tj und geben die Antwort dann weiter. Ich möchte darauf hinweisen, dass dieser Telekonsultationsdienst kostenlos ist.

Alle Länder sind wirtschaftlich von der Pandemie betroffen. Viele glauben, dass Tadschikistan aufgrund seiner Abhängigkeit von Rückweisungen und Importen mehr als andere leiden wird. Demnach könne die Pandemie insbesondere kleine und mittlere Unternehmen im Land „töten“. Welche Konsequenzen erwarten Sie für Tadschikistan?

Vorhersagen zu treffen ist nicht gerade eine intellektuelle Sache. Wie Sie bemerkt haben, wird viel von der Lage der russischen Wirtschaft abhängen, die wiederum weitgehend von der Lage auf den globalen Rohstoffmärkten abhängt. Es besteht die Gefahr, dass ein starker Rückgang der Rücküberweisungen aus Russland zu einem Rückgang des inländischen Konsums führt, da in unserem Land die Rücküberweisungen die Nachfrage bestimmen. Ebenso besteht das Risiko eines verringerten Angebots aufgrund des Produktionsrückgangs. Dies erklärt auch die Zurückhaltung unserer Behörden bei der Einführung einer vollständigen Quarantäne.

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Ein gleichzeitiger Rückgang von Angebot und Nachfrage würde zu einer wirtschaftlichen Depression und einem starken Anstieg der Arbeitslosigkeit führen. Sollte sich das Angebot durch eine Wiederaufnahme der Produktion hingegen schnell erholen, kann eine tiefe Rezession vermieden werden. Dafür müsste die Regierung die Nachfrage durch direkte Geldtransfers an die Bevölkerung und andere Methoden stimulieren. Wir müssen auch verstehen, dass wir Teil der Weltwirtschaft sind. Vieles wird also von globalen Faktoren abhängen. Wir müssen mit einer Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage rechnen, aber das Ausmaß, die Tiefe und die Dauer dieser Verschlechterung hängen von der Qualität der Maßnahmen der Behörden ab.

In einem Ihrer Beiträge berührten Sie das Thema der Internetpreise in Tadschikistan. Sie schrieben: „Tcell, Babilon und andere Telekommunikationsunternehmen für das teure Internet verantwortlich zu machen, ist wie Lebensmittellieferanten für das teure Essen im Restaurant zu beschuldigen“. „Tadschiktelekom“ ist ebendieses Restaurant, also der Monopolist auf dem Markt, von dem alle Unternehmen über eine einheitliche Vermittlungsstelle Internet kaufen. Wie wollen Sie das Problem des teuren, unzugänglichen und qualitativ schlechten Internets im Land lösen?

Langfristig kann das Problem von Internetpreis und -verfügbarkeit nur über eine regulierende Reform gelöst werden, genauer gesagt durch die Demonopolisierung des Datenverkehrsmarktes. Einfach ausgedrückt: Für besseres Internet brauchen wir Investitionen der Telekommunikationsbetreiber. Betreiber werden nur dann in die Infrastruktur investieren, wenn sie daraus nachhaltige Gewinne erwarten. Gegenwärtig sind Gewinne aufgrund der überhöhten Datenverkehrspreise von Tadschiktelekom begrenzt.

Was kurzfristige Maßnahmen angeht, so haben wir die öffentliche Initiative „Access Code“ gestartet. Durch Partnerschaften mit Betreibern soll diese der Bevölkerung freien Zugang zu Bildungsinhalten ermöglichen. Ein ähnliches Projekt wurde bereits in Kasachstan umgesetzt. Wir arbeiten noch an der technischen Umsetzung, haben aber bereits Interesse sowohl von Experten auf diesem Gebiet als auch von den Betreibern festgestellt.

Erzählen Sie von sich. Sie leben seit Ihrem 11. Lebensjahr in den Vereinigten Staaten. Wie sind Sie dorthin gekommen?

Mit elf Jahren war ich in der neunten Klasse des tadschikisch-türkischen Lyzeums in Chudschand. Ich wurde mit zwei Schülern aus ähnlichen Lyzeen in Duschanbe ausgewählt, um Tadschikistan bei der Internationalen I-SWEEEP Olympiade in Houston zu vertreten. Wir belegten den ersten Platz und meine Familie entschied daraufhin, ich sei bereit, mein Studium in den Vereinigten Staaten fortzusetzen. Meine beiden älteren Schwestern studierten zu dieser Zeit bereits in New York, und ich kam dort an eine Privatschule. Ich schloss die Schule im Alter von 15 Jahren mit einer akademischen Auszeichnung und einem Verdienstzertifikat von Präsident Barack Obama ab. Dann ging ich an die New York University.

Leben Ihre Eltern mit Ihnen in den Vereinigten Staaten oder in Tadschikistan?

Meine Eltern leben in Tadschikistan. Mein Vater ist der Eigentümer und Geschäftsführer von „Atlasi Khujand“, einem lokalen Hersteller der nationalen Stoffe Atlas und Adras. Meine Mutter arbeitet ebenfalls in unserem Familienunternehmen. Ich habe drei Schwestern, die viel älter sind als ich. Zwei von ihnen leben in Tadschikistan und sind direkt an der Arbeit von TajRupt beteiligt, während die Jüngere in der Nähe von Los Angeles lebt.

Gibt es Aspekte aus dem amerikanischen Bildungssystem, die Sie gerne in Tadschikistan umsetzen möchten?

Eine Bildungsreform ohne Wirtschaftsreform ist nutzlos, da das Bildungssystems dazu dient, Menschen entsprechend der Nachfrage aus der Wirtschaft auszubilden. Eine qualitative Verbesserung des Bildungssystems bei gleichzeitiger Stagnation der Wirtschaft wird den Braindrain aus dem Land nur noch verstärken. Denken wir aber strikt innerhalb des Bildungssystems, dann fehlt uns vor allem kritisches Denken, welches im Fokus westlicher Bildungssysteme steht.

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Ich erinnere mich noch gut an den Schock, den ich als 11-jähriger Schüler in New York erlitt, als ein Sozialkundelehrer mich nach meiner Meinung zu einem tagesaktuellen Thema fragte. Als ich in Tadschikistan studierte, war ich es gewohnt, die Meinung des Lehrers zu akzeptieren, ohne die Informationsquelle und alternativen Daten zu betrachten – ohne überhaupt über meine eigene Meinung nachzudenken. Kritisches Denken ist wichtig in unserem Informationszeitalter, dem Google-Zeitalter, denn es ermöglicht Menschen, Schlussfolgerungen durch die Interpretation von Informationen anstelle von naiver Akzeptanz zu ziehen.

Hört man von herausragenden jungen Tadschiken, so handelt es sich immer um solche, die im Ausland studiert haben, sich dort professionell gebildet haben und arbeiten. Im Inland hört man nichts von Zuckerbergs. Was hindert tadschikische Jugendliche daran, in ihrem Heimatland erfolgreich zu werden?

Dieser Frage könnte man einen ganzen Forschungsbericht widmen. Wie bei allen komplexen Prozessen gibt es viele Ursachen, und sie kommen aus verschiedenen Bereichen – von der Wirtschaft bis zur Soziologie. Entscheidend sind meiner Meinung nach sowohl der Mangel einer massiven Nachfrage nach hoch qualifiziertem Personal als auch, dass banale Initiativen in der Gesellschaft nicht wertgeschätzt werden. Damit ein Zuckerberg entstehen kann, braucht es eine Nachfrage von Venture Kapital nach Investitionen in bahnbrechenden Start-ups. Das fehlt bei uns schon auf institutioneller Ebene. Anstelle von privaten Fonds, die nach hohen Renditen suchen, haben wir ein ziemlich altes Wirtschaftsmodell, bei dem der Erfolg hauptsächlich vom Einzelhandel abhängt.

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Was Werte angeht, so pflegen wir das traditionelle Denken des absoluten Respekts aufgrund subjektiver Kriterien wie Alter, Geschlecht, Herkunft und so weiter. Mit Ausnahme von meritokratischen Kriterien. Auf dem Weg wird auch Initiativtätigkeit in der Jugend unterdrückt. Mir graut es, wenn Schülerinnen und Schüler von TajRupt mir erzählen, dass Meinungsunterschiede mit einem Lehrer in der Schule zu schlechteren Noten führen können. Am Ende führt das zu einem Status quo statt zu Risiko und Initiative, welche umgekehrt zu Durchbrüchen führen sollten.

Sie haben einmal jungen Menschen in Tadschikistan empfohlen, dass „man schon heute verstehen muss, was man in Zukunft tun will“. Stehen ihre Zukunftspläne bereits?

Meine erste Priorität ist es, die Arbeit von TajRupt zu systematisieren, damit die Organisation sicher ohne meine direkte Beteiligung weiterarbeiten kann. Die Abhängigkeit von einer Person führt nicht zu Nachhaltigkeit. Das hat uns auch ermutigt, einen Teil des Lehrplans zu kommerzialisieren.

Im Endeffekt plane ich die Rückkehr nach Tadschikistan. Aber mit einem vollen Gepäck an Erfahrungen in fortgeschrittenen Bereichen und Silicon-Valley-Verbindungen. Dies könnte in den nächsten 3-5 Jahren geschehen.

Tilaw Rasud-Zade
Fergana

Aus dem Russischen von Florian Coppenrath

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