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Tadschikistan ist das zentralasiatische Land mit den meisten Corona-Toten

Mit 46 Todesfällen ist Tadschikistan das Land in Zentralasien mit der höchsten Zahl an Opfern des Coronavirus. Die Regierung hat neue Maßnahmen ergriffen, aber die Kluft zwischen offiziellen Erklärungen und der Realität wird immer größer. Die Kritik an den Behörden nimmt zu, die Weltgesundheitsorganisation bezeichnet die Geschwindigkeit, mit der sich Covid-19 im Land ausbreitet, als „besorgniserregend“.

Quentin Couvreur 

Übersetzt von: Robin Roth

Tadschikistans Präsident Emomali Rahmon und sein Sohn Rustam Emomali bei der Ereröffnung eines Krankenhauses in Duschanbe
Tadschikistans Präsident Emomali Rahmon und sein Sohn Rustam Emomali bei der Ereröffnung eines Krankenhauses in Duschanbe

Mit 46 Todesfällen ist Tadschikistan das Land in Zentralasien mit der höchsten Zahl an Opfern des Coronavirus. Die Regierung hat neue Maßnahmen ergriffen, aber die Kluft zwischen offiziellen Erklärungen und der Realität wird immer größer. Die Kritik an den Behörden nimmt zu, die Weltgesundheitsorganisation bezeichnet die Geschwindigkeit, mit der sich Covid-19 im Land ausbreitet, als „besorgniserregend“.

Tadschikistan ist das zentralasiatische Land mit der höchsten Anzahl von Todesfällen durch Covid-19. Bis zum 25. Mai sind laut aktuellen Angaben der Johns-Hopkins-Universität 2.929 Menschen an der Krankheit erkrankt und 46 gestorben. Tadschikistan hat damit Kasachstan überholt, wo seit Beginn der Pandemie 35 Menschen starben und 8.531 Menschen an Covid-19 erkrankten.

Das tadschikische Gesundheitsministerium hatte die ersten 15 Infektionen mit dem Coronavirus erst am 30. April, anderthalb Monate nach den anderen Ländern der Region (mit Ausnahme Turkmenistans, Anm. d. Red.) gemeldet. Seitdem sind die Zahlen explodiert. Am 6. Mai, nach der Entlassung von Gesundheitsminister Nasim Olimsoda, wurden offiziell 379 Infektionen und 8 Todesfälle gezählt. Eine Woche später, am 12. Mai, hatte sich die Zahl der Fälle schon auf 729 verdoppelt, während die Zahl der Toten auf 23 stieg. Darüber hinaus zeigen die neuesten Daten, dass sich die Ausbreitung des Virus in den letzten zwei Wochen nicht verlangsamt hat. Während einige zentralasiatische Staaten schon Licht am Ende des Tunnels zu sehen scheinen, steckt Tadschikistan nach wie vor mitten in der Krise.

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Dennoch könnte die Situation viel schlimmer sein, als die offiziellen Bilanzen vermuten lassen. Am 20. Mai forderte Tadschikistans Präsident Emomali Rahmon in einer Rede vor VertreterInnen der Gesundheitswesens Premierminister Qohir Rasulsoda auf, „nichts [in Bezug auf die Coronavirus-Pandemie] zu verbergen“. Laut dem tadschikischen Nachrichtenportal Asia-Plus forderte der Präsident auch, „wahrheitsgemäße Informationen“ zu verbreiten.

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Trotz dieser Rede wird den Behörden vorgeworfen, das Ausmaß der Krise kleinzureden. BürgerInnen haben die Website Kvtj.info erstellt, die Fälle verdächtiger Todesfälle aufzeichnet, insbesondere solche, die auf „Lungenentzündungen“ zurückzuführen sind. Nach den Daten der Website, die in Tadschikistan blockiert wird, könnten mindestens 290 Menschen an Covid-19 gestorben sein, 6,5-mal so viel, wie von der Regierung mitgeteilt wurde.

Die Behörden ergreifen neue Maßnahmen

Die tadschikische Regierung, die zunächst zögerlich reagierte, verstärkte ihre Bemühungen im Kampf gegen das Coronavirus schrittweise. Am 20. Mai kündigten während eines Besuchs in einem Krankenhaus der Hauptstadt Duschanbe Präsident Rahmon und Rustam Emomali, Sohn des Präsidenten und Bürgermeister der Stadt, weitere Maßnahmen an. Wie Asia-Plus berichtete, forderte der Präsident, dass Gesundheitseinrichtungen, Pharmaunternehmen und Apotheken künftig rund um die Uhr in Betrieb sind. Die Produktion von Medikamenten, Masken und Schutzausrüstungen für Pflegekräfte soll erhöht werden, ein Entwicklungsplan für die pharmazeutische Industrie in den nächsten drei Monaten entstehen.

Obwohl die Regierung zunächst keine Regeln zur sozialen Distanzierung erlassen hatte, mussten im Mai schließlich Maßnahmen ergriffen werden, um die Ausbreitung der Epidemie zu begrenzen und das Image der Behörden wiederherzustellen. So bleiben in der Hauptstadt Schönheitssalons, Friseure, Telefongeschäfte und Bekleidungsmärkte bis zum 31. Mai geschlossen. Auch die Schulen werden erst im September wieder öffnen. Am 21. Mai berichtete das russische Auslandsmedium Sputnik, dass die für den 24. Mai geplanten kollektiven Gebete zum Ende des Ramadan abgesagt worden seien.

Der Bau von Krankenhäusern wird zur nationalen Priorität

In den letzten Wochen ist der Bau von Krankenhäusern zu einem wichtigen Bestandteil der Strategie der Behörden geworden, um die steigende Opferzahl einzudämmen. Durch Ankündigungen, Besuche und Eröffnungen versuchen der Präsident und die Mitglieder der Regierung ihr Ansehen zu verbessern, welches durch das katastrophale Krisenmanagement beschädigt ist. „Ich beauftrage die Verwaltungschefs aller Regionen, Städte und Bezirke, in denen es keine Krankenhäuser für die Behandlung von Infektionskrankheiten gibt, unter der Beteiligung der patriotisch gesinnten und großzügigen Unternehmer so früh wie möglich mit dem Bau solcher Errichtungen zu beginnen und sie mit der ganzen notwendigen medizinischen Ausrüstung bis zum 30. Jahrestag der staatlichen Unabhängigkeit (9. September 2021, Anm. d. Red.) in Betrieb zu nehmen“, erklärte Emomali Rahmon laut Asia-Plus.

Mehrere temporäre Einrichtungen sind derzeit im Bau oder wurden bereits in Betrieb genommen. Am 20. Mai eröffneten der Präsident und sein Sohn, der auch als sein möglicher Nachfolger an der Staatspitze gilt, in Duschanbe ein temporäres Krankenhaus mit einer Kapazität von 500 Betten. Laut Asia-Plus wurde eine weitere derartige Einrichtung in einem neuen Gebäude der Tadschikischen Nationaluniversität untergebracht. Diese bietet Platz für 650 PatientInnen.

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Darüber hinaus haben bereits zwei Krankenhäuser für jeweils 500 Personen ihre Türen geöffnet, eines in einem Trainingszentrum des tadschikischen Grenzschutzes, das andere in einem Olympia-Trainingszentrum. Wie Asia-Plus berichtet, ist auch der Bau eines auf Infektionskrankheiten spezialisierten Krankenhauses, der 1983 begonnen und dann aus Geldmangel aufgegeben wurde, wieder aufgenommen worden.

Des Weiteren berichtet Asia-Plus, dass am 8. Mai ein aus 144 Containern bestehendes Feldkrankenhaus aus Usbekistan im Bofanda-Stadion von Duschanbe aufgestellt wurde. Laut Chefarzt Mahmadullo Kosimow sei die Einrichtung bereit PatientInnen aufzunehmen. „Das Gesundheitsministerium hat uns alle notwendigen Medikamente zur Behandlung der Patienten zur Verfügung gestellt. Wir brauchen keine Ärzte aus anderen Ländern. Unsere Ärzte haben bereits genug Erfahrung gesammelt und werden in der Lage sein, die Patienten zu heilen“, sagte er gegenüber Asia-Plus.

Kritik an der Ausstattung

Dank dieser neuen Infrastruktur sind die Behörden zuversichtlich, dass sie alle Kranken aufnehmen können. So hieß es am 18. Mai in einer Erklärung des Gesundheitsministeriums, die von der staatlichen Agentur Khovar veröffentlicht wurde, dass es 42.000 Krankenhausbetten im Land gebe. „In Duschanbe gibt es 5.756 Betten für Menschen, die mit Covid-19 infiziert sind. In der kommenden Woche werden 2.000 zusätzliche Betten geschaffen“, so das Ministerium.

Darüber hinaus erklärte das Ministerium, dass die Gesundheitseinrichtungen die notwendigen Medikamente, Desinfektionsprodukte und Schutzausrüstung erhalten. Außerdem würden Ärzte und Pflegepersonal in ausreichender Zahl vorhanden sein. „Im Falle eines Fachkräftemangels in medizinischen Einrichtungen, in denen Coronavirus-Patienten behandelt werden, werden andere Einrichtungen mobilisiert“, fügte das Ministerium hinzu.

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Dennoch scheint die Lage bei weitem nicht unter Kontrolle zu sein. In den Monaten März und April verloren die Behörden wertvolle Wochen im Kampf gegen die Epidemie, indem sie sich weigerten, die Existenz von Coronavirus-Fällen im Land anzuerkennen. Nachdem dies dann am 30. April geschah, musste der Präsident seine Kommunikation überdenken und Verantwortliche finden. Am 5. Mai entließ er Gesundheitsminister Nasim Olimsoda, verharmloste dann aber das Ausmaß der Krise weiter. So hat sich in den letzten Wochen die Kluft zwischen offiziellen Erklärungen und der Realität nur noch vergrößert.

Entgegen den offiziellen Behauptungen sind die Krankenhäuser überfüllt und das Pflegepersonal ungenügend ausgestattet. Mehrere anonyme Aussagen von ÄrztInnen, die den Mangel an den ihnen zugewiesenen Mitteln kritisieren, wurden in den Medien veröffentlicht. „Wir haben vier Schutzanzüge für 12 Ärzte, die wir selbst gekauft haben. […] Weder Hilfe noch Tests erreichen uns“, sagte eine Ärztin aus Chudschand gegenüber Asia-Plus. „Ich selbst habe Symptome des Coronavirus und ich habe Schmerzen in der Lunge. […] Ich sprach mit meinem Management darüber, sie begannen mich zu behandeln. Aber ich muss weiterhin Patienten behandeln, die schwerere Symptome haben“, bedauerte ein anderer Arzt, der in einem Krankenhaus in Duschanbe tätig ist.

Die Regierung muss sich auch der Kritik am Umgang mit internationaler Hilfe stellen. Bisher hat sie sich geweigert, die erhaltenen Beträge offenzulegen und anzugeben, welche Geräte und Materialien in die Krankenhäuser gebracht werden konnten. So berichtete Radio Ozodi, der tadschikische Dienst des amerikanischen Medienhauses Radio Free Europe, dass der Verdacht der Veruntreuung gegen die Avesta-Gruppe bestehe, die zu Unrecht humanitäre Hilfe aus China abgefangen haben soll. Nach Angaben der tadschikischen Opposition soll Rustam Emomali Aktionär des Unternehmens sein.

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Um die Kritik zu mildern, ordnete der tadschikische Präsident an, die Verteilung der Hilfe besser zu überwachen. „Wir wurden beauftragt, auf der Website des Ministeriums alle Geräte anzugeben, die an Krankenhäuser geschickt werden, sei es durch Spenden oder direkt durch den Staat“, sagte die stellvertretende Gesundheitsministerin Saida Umarsoda gegenüber Radio Ozodi.

Die WHO hält die Geschwindigkeit der Ausbreitung für „besorgniserregend“

Darüber hinaus zieht die Mission der Weltgesundheitsorganisation (WHO), die am 2. Mai in Tadschikistan eingetroffen war, eine für die Regierung wenig schmeichelhafte Bilanz. Wie Radio Ozodi berichtete, hält das internationale Team, das seine Arbeit beendet hat und das Land am 22. Mai verlassen musste, die Geschwindigkeit, mit der sich der Virus ausbreitet, für „besorgniserregend“.

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Laut den ExpertInnen der Organisation sei die in tadschikischen Krankenhäusern verfügbare Ausrüstung teilweise unzureichend. „Unserer Meinung nach erfüllen einige Atemschutzgeräte nicht die Anforderungen an die moderne Behandlung von Patienten mit Lungenläsionen“, sagten sie gegenüber Radio Ozodi. Außerdem weisen sie auf Lücken in den offiziellen Statistiken hin, ohne jedoch den Behörden die Verharmlosung der Epidemie vorzuwerfen. „Die Delegation empfahl, die Sammlung von Statistiken zu verstärken und die Anzahl an Tests zu erhöhen. Dies wird die Identifizierung von Infektionsfällen sowie die Qualität der Statistiken verbessern“, so die ExpertInnen.

So ist die tadschikische Regierung in die Falle ihrer eigenen ‚Unvorbereitetheit‘ getappt. Zu der Kritik am Umgang mit der gesundheitlichen Krise könnte schnell eine Unzufriedenheit aufgrund der sich abzeichnenden Wirtschaftskrise hinzukommen. Laut Asia-Plus wurde am 21. Mai die Hälfte der von der Stadt Duschanbe bezahlten ArbeitnehmerInnen gezwungen, unbezahlten Urlaub zu nehmen. Diese Ankündigung markiert den Beginn einer schwierigen Zeit für Tadschikistan, insbesondere da der Internationale Währungsfonds (IWF) die Gewährung eines Darlehens in Höhe von 189,5 Millionen Dollar (rund 174 Millionen Euro) von einem Rückgang der Staatsausgaben abhängig gemacht hat.

Quentin Couvreur, Redakteur für Novastan

Aus dem Französischen und aktualisiert von Robin Roth

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