Letztes Jahr tauschte der in Russland lebende französische Fotograf Nicolas Pernot die Kulisse des Baikalufers gegen die bergigen Landschaften Tadschikistans. Nun hat er seine Werke in einem Reisebuch veröffentlicht. Die Bilder erzählen von den vielen Bekanntschaften, die er gemacht hat, man spürt die berühmte Gastfreundschaft der Tadschiken, ihre Geschichte und Herausforderungen. Ein Gespräch mit einem Künstler, der süchtig ist nach großen Räumen.
Im Jahr 2014 sind Sie zum zweiten Mal nach Tadschikistan gereist. Welche Veränderungen haben Sie im Vergleich zu ihrem ersten Besuch beobachtet?
Erstmals wohnte ich 2010/11 in Tadschikistan. Damals kam ich aus Interesse am Reise und Entdecken dorthin. Ich wollte im Ausland ein Abenteuer erleben.
Nach einer Reihe von Fotokonferenzen über den Baikalsee in Frankreich und der Schweiz, verlangte mein Publikum nach neuen Weltregionen. Ich zog 2014 nach zwei Jahren am Baikalsee weiter. In der Zeit hatte sich mein fotografischer Blick und auch meine Kenntnis der russischen Sprache deutlich verbessert. Als Thema für mein neues Buch wählte ich dann Tadschikistan, zu dem ich durch meine besseren Kenntnisse einen leichteren Zugang hatte und für das ich eine Leidenschaft hegte.
In Ihrem Buch sprechen Sie von einem kulturellen Neuanfang in Tadschikistan. Wie haben Sie dieses Phänomen empfunden?
In der Hauptstadt Duschanbe werden ständig neue traditionelle Teehäuser (Tschajchona) gebaut. Es wird gesagt, dass der Präsident selbst oft solche Neubauten bestellt. Auf dem Land zeigte mir ein Dorfbewohner stolz seine Sammlung historischer Gegenstände seiner Vorfahren, Kleidung, Teppiche, Susanis, Musikinstrumente usw.. Eine Darstellung der tadschikischen Identität. Er meinte, dass zur Sowjetzeiten von solche Sammlungen eher abgeraten wurde.
Wie sehen Sie die religiöse Frage in Tadschikistan?
Tadschikistan ist ein Land moderater Religion. Manche stellen sich als Muslime vor und geben dann nach ein paar Gläsern Wodka zu, sich vor allem sowjetisch zu fühlen. Heute wendet sich ein Teil der Jugend der Religion zu, wie bei einer Modeerscheinung. Zum Glück scheint mir das Land weit entfernt von einer „Extremisierung“.
Auch Migration ist ein wichtiges Thema in Tadschikistan. Haben Sie bei Ihren Bekanntschaften diese Notwendigkeit, woandershin zu ziehen, gespürt?
Die junge urbane Elite bemüht sich selbstverständlich, ihre professionelle Karriere im Ausland voll auszuleben und in den Vereinigten Staaten oder in Europa Freiheit und Gleichheit zu finden. Alle ländlichen Familien schicken ihre Männer nach Russland. Das hart verdiente Geld von dort erlaubt den Haushalten in Tadschikistan ein würdigeres Leben.
Wie steht es um die, die aus Russland zurückkehren?
Beim Nurek-See habe ich zwei Brüder getroffen. Bei Sonnenuntergang holten sie ihre Netze ein, da haben sie mich auf ihr Boot mitgenommen. Sie erklärten mir, dass sie lange in Russland gelebt und gearbeitet hatten, um ihrer Familie Geld zu schicken. Sie sind jedoch aus eigenen Stücken zurückgekehrt. Sie hatten genug von den schlimmen Arbeitsbedingungen und dem allgegenwärtigen Rassismus gegenüber den Immigranten und leben heute lieber bei den Ihren, auch wenn sie für weniger Lohn mehr arbeiten müssen.
Wie waren Ihre Beziehungen zur Bevölkerung? Wie wurden Sie empfangen?
Die Gastfreundschaft ist ein Grundwert. Der Empfang ist sehr herzlich und überall in Tadschikistan fühlt man sich sehr sicher. Die Einheimischen kümmern sich extrem sorgfältig um den Empfang von Gästen, ob ausländische oder inländische. So hatte ich einen sehr leichten Zugang zu den Familien, was meine Arbeit als Fotograf stark erleichtert hat.
Was sind die überraschendsten oder unerwartetsten Situationen, die Sie während Ihrer Reise erlebt haben? Was hat Sie besonders geprägt?
Prägnante Situationen waren fast alltäglich. Es ist schwer, nur ein paar davon zu nennen. Die Polizei war mir nie ein Hindernis, eher eine Hilfe. Dennoch hatte ich mehrere bezeichnende Treffen mit Ordnungshütern. Eins davon fand in drei Teilen statt. Irgendwo im tadschikischen Pamir (Region im Osten des Landes, Anm. d. Red.), fern von allem, wartete ich auf ein funktionierendes Fahrzeug, das mich in die Stadt Murgab bringen könnte. Letztendlich nahmen mich Grenzbeamte, oder auch von Beamten des staatlichen Sicherheitsdienstes, in ihrem Lada mit. Obwohl ich fließend Russisch sprach und zwei große Fotoapparate bei mir hatte, stellten sie mir keine einzige Frage. Ich war sehr überrascht.
Eine Woche später spielte sich woanders im Pamir genau dasselbe ab. Ich wartete auf ein Auto und in dem Jeep, der hielt, befand sich einer der drei Männer, der mich beim ersten Mal schon mitgenommen hatte. Noch glaubte ich an einen Zufall.
Dann sehe ich ihn ein paar Tage darauf ein weiteres Mal in den Thermen von Tschelondy. Ich frage: „Wir kennen uns, oder?“ und dann, in einem humorvollen Ton: „Folge ich Ihnen oder Sie mir?“. Keine Antwort. Ich fing an, mir Sorgen zu machen. Auf die Frage „Wo war ich gestern?“ nannte er mir den genauen Namen den recht isolierten Dorfes, wo ich mich am Vortag befand. Alle Tadschiken, denen ich diese Geschichte erzählt habe bemerkten, dass „sie nur ihre Arbeit taten.“
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Welche Schwierigkeiten hatten Sie in Ihrer Arbeit als Fotograf?
Fast gar keine. Die Menschen öffnen ihre Türen und posieren gerne. Den Beruf des Fotografen kennen sie ebenso wenig, wie die Reise- und Dokumentarkultur. Ich erklärte lediglich, dass ich ein Buch über ihr Land vorbereitete. Durch diese Ehrung öffneten sich mir die Türen umso leichter.
Empfehlungen für angehende Besucher Tadschikistans?
Die Berge sind natürlich unglaublich schön und das Land hat viele Überraschungen zu bieten. Tadschikistan ist die Perle Zentralasiens für Reisende, nicht jedoch für Touristen. Es erwarten einen Abenteuer, Bekanntschaften und Authentizität. Man muss akzeptieren, dass der größte Reichtum dieses Landes die unerschütterliche Gastfreundschaft der Einwohner ist.
Nicolas Pernots Buch, ‚Tadjikistan : peuples et paysages‘ (Tadschikistan: Völker und Landschaften) ist wie seine anderen Werke auf seiner Webseite zu erwerben. Sie können seine Bilder ebenfalls auf seiner Facebook-Seite finden.
Interview: Die Redaktion von Novastan.org