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Tadschikistan entlässt mitten in der Coronavirus-Epidemie den Gesundheitsminister

Am 5. Mai wurde der tadschikische Gesundheitsminister Nasim Olimsoda per Präsidialdekret entlassen. Nach wochenlangen Leugnungen sehen sich die Behörden mit einem starken Anstieg der Coronavirus-Fälle konfrontiert und müssen ihre Kommunikation überdenken. In diesem Zusammenhang ist eine WHO-Mission im Land eingetroffen und internationale Hilfe beginnt zu fließen

Nasim-Olimzoda
Der ehemalige Gesundheitsminister Nasim Olimsoda

Am 5. Mai wurde der tadschikische Gesundheitsminister Nasim Olimsoda per Präsidialdekret entlassen. Nach wochenlangen Leugnungen sehen sich die Behörden mit einem starken Anstieg der Coronavirus-Fälle konfrontiert und müssen ihre Kommunikation überdenken. In diesem Zusammenhang ist eine WHO-Mission im Land eingetroffen und internationale Hilfe beginnt zu fließen

Während die Zahl der Coronavirus-Fälle im Land stark ansteigt, hat Tadschikistans Präsident Emomali Rahmon Gesundheitsminister Nasim Olimsoda entlassen. In einem  am 5. Mai von der offiziellen Nachrichtenagentur Khovar veröffentlichten Dekret, kündigte der Präsident auch den neuen Minister an: Dschamoliddin Abdullosoda, bislang Direktor des medizinischen Zentrums Istiqlol in der Hauptstadt Duschanbe.

Tadschikistan, hat seine ersten Coronavirus-Fälle erst am 30. April gemeldet. Zum Zeitpunkt der Entlassung war deren Zahl schon auf 293 gewachsen, darunter zwei Todesfälle. Am 9. Mai waren es dann bereits laut Gesundheitsministerium 612 Infektionen, darunter 20 Todesfälle.

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Der 55-jährige Olimsoda war seit Januar 2017 im Amt. Davor war der ausgebildete Kardiologe zwischen 2014 und 2017 stellvertretender Gesundheitsminister. Seine Entlassung erfolgt, nachdem die tadschikischen Behörden wochenlang die Anwesenheit des Virus im Land geleugnet hatten. In den Medien kursierten zwar bereits Ende März Gerüchte über mögliche Infektionsfälle, aber am 14. April behauptete Olimsoda noch, in Tadschikistan seien noch keine Fälle von Coronavirus nachgewiesen worden. Diese offizielle Position wurde wohl unhaltbar, so dass das Gesundheitsministerium am 30. April zugab, dass 15 Personen positiv auf das Coronavirus getestet worden waren.

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Der neue Gesundheitsminister Abdullosoda ist 54 Jahre alt, ausgebildeter Chirurg und Parlamentsabgeordneter. Das medizinische Zentrums Istiqlol in Duschanbe leitet er seit 2017. Wie das tadschikische Medium Asia-Plus berichtet, wurde er damals vom Bürgermeister von Duschanbe und Präsidentensohn Rustam Emomali in dieses Amt berufen. Letzterer wurde im April dieses Jahres zum Präsidenten des tadschikischen Senats ernannt, also zur Nummer zwei im tadschikischen Staat.

Zunahme von Krankenhausaufenthalten und verdächtigen Todesfällen

Während die offizielle Zahl der Covid-19-Erkrankungen bescheiden bleibt, berichten die Medien immer häufiger über „alternative“ Berichte und Gerüchte zur tatsächlichen Situation. Asia-Plus berichtete zum Beispiel, dass Sitam Muchiddinow, Leiter des nationalen Fernsehsenders Tadschikistan TV, am 2. Mai im Krankenhaus an einer „Lungenentzündung“ mit hohem Fieber starb. Dasselbe Medium berichtete auch über den Tod von Kutbiddin Kodirow, dem stellvertretenden Direktor der Verkehrspolizei in der Region Chatlon, am 4. Mai, nachdem er „grippeähnliche Symptome“ beklagte. Darüber hinaus gestand Rahmatullo Zojirow, Vorsitzender der Sozialdemokratischen Partei Tadschikistans, auf Facebook, dass er an Covid-19 erkrankt sei.

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Noch schwerwiegender für das Regime ist die Behauptung des Prager Medienunternehmens Akhbor, das in Tadschikistan blockiert ist, wonach 14 Offiziere des Staatskomitees für nationale Sicherheit, des tadschikischen Geheimdienstes, derzeit mit einer „Lungenentzündung“ im Krankenhaus liegen. Der Quelle zufolge war Radschabali Rahmonali, der Neffe des Präsidenten und Leiter der Grenzüberwachung, unter denen, die in ein auf Infektionskrankheiten spezialisiertes Krankenhaus in Duschanbe eingeliefert wurden.

Diese verdächtigen Krankenhausaufenthalte und Todesfälle, die in den offiziellen Zahlen nicht enthalten sind, nähren die Zweifel der Bevölkerung. Den Behörden wird vorgeworfen, dass sie versuchen, das tatsächliche Ausmaß der Epidemie zu minimieren, obwohl sich die Todesfälle zu mehren scheinen, wie eine Handwerkerin aus Chudschand Novastan bereits im April berichtete.

Laut einem Arzt aus Duschanbe, interviewt vom amerikanischen Medium Eurasianet, gehen die ersten Fälle von Patienten mit Covid-19-Symptomen tatsächlich auf den 18. März und nicht auf den 30. April zurück. Derselbe Arzt sagte, das Nationale Sicherheitskomitee habe ihn gebeten, „die Situation unter Kontrolle zu halten“, zumindest bis zum Ende der laufenden „politischen Ereignisse“, also bis zur Ernennung von Rustam Emomali zum Präsidenten des Senats am 17. April.

Die offizielle Kommunikation überdenken

Angesichts der sich verschlechternden Situation haben die Behörden nur wenige neue Maßnahmen ergriffen, um die Ausbreitung der Epidemie einzudämmen. Dennoch wurde die ursprünglich bis zum 10. Mai geplante Aussetzung des Unterrichts in den Grund- und Sekundarschulen in Duschanbe bis zum 16. August verlängert, wie die Nachrichtenagentur Khovar berichtet.

Das Regime hat seine Kommunikation überdacht, um seine Hingabe für das Volk zu zeigen. Präsident Rahmon hat angekündigt, dass er ein Monatsgehalt, dessen Höhe unbekannt ist, einem Fonds zur Virusbekämpfung spenden wird. Parlamentarier und die Regierung sind ebenfalls eingeladen, einen Teil ihrer Gehälter zu spenden. Der Präsident versprach außerdem, die Gehälter der Beschäftigten im Gesundheitswesen, die mit Covid-19-Patienten arbeiten, für drei Monate zu verdoppeln. Krankenschwestern, die nach Angaben von Eurasianet rund 45 Dollar im Monat (etwa 42 Euro) verdienen, können dadurch bis zu 90 Dollar verdienen. Bei Ärzten liegt das monatliche Grundgehalt bei rund 120 Dollar (111 Euro).

Rustami-Emomali
Rustam Emomalii, Bürgermeister von Duschanbe, besichtigt am 4. Mai 2020 ein Krankenhaus

Der Bürgermeister von Duschanbe, Rustam Emomali, besuchte am 4. Mai in einem Nachrichtenbeitrag der offiziellen Nachrichtenagentur Khovar die Baustelle eines neuen Krankenhauses. Der Sohn des Präsidenten forderte, dass das seit April 2018 im Bau befindliche Krankenhaus innerhalb eines Monats fertiggestellt werden sollte, damit es bis zu 200 mit dem Coronavirus infizierte Patienten aufnehmen kann. Die Stadtverwaltung von Duschanbe kündigte außerdem die Einrichtung provisorischer Krankenhäuser mit 3.000 Betten an. Die Krankenhäuser der Hauptstadt verfügen derzeit über eine Kapazität von 5.284 Betten.

Ankunft einer WHO-Mission im Land

Schließlich inszenieren die Behörden ihre Zusammenarbeit mit der Weltgesundheitsorganisation (WHO), dessen Team am 2. Mai in Tadschikistan eintraf. Laut dem amerikanischen Online-Medium The Diplomat könnte die tadschikische Regierung die Anwesenheit der WHO nutzen, um sich vor Kritik zu schützen und einen Teil der Verantwortung abzuweisen. Tatsächlich ist die WHO als internationale Organisation aber ganz von der Kooperation der Behörden abhängig, um verlässliche Daten zu erhalten, und kann die Regierung nicht offen kritisieren.

Laut der Website der Organisation sagte der Leiter der WHO-Mission, Dr. Patrick O’Connor, er „schätze die Bemühungen der tadschikischen Behörden“ und wolle sie „bei der Bewältigung der Ausbreitung des Virus unterstützen“. Auf die Frage von Radio Ozodi, dem tadschikischen Zweig der amerikanischen Mediums Radio Free Europe, betonte WHO-Sprecherin Ljuba Negru vorsichtig, die Aufgabe der Organisation bestehe nicht darin, „die Behörden davon zu überzeugen, bestimmte Maßnahmen zu ergreifen“, und dass die Organisation derzeit „damit beschäftigt sei, Informationen zu sammeln“.

Nach Angaben des tadschikischen Gesundheitsministeriums konnten die WHO-Vertreter und der Leiter des Büros der Vereinten Nationen (UNO) in Tadschikistan am 4. Mai mit Premierminister Qohir Rasulsoda zusammentreffen, der auch Leiter des Republikanischen Komitees für den Kampf gegen das Coronavirus ist. Er forderte die UNO und die WHO auf, der tadschikischen Regierung beim Umgang mit dem Virus zu helfen. Laut Negru konnten die WHO-Experten bisher jedoch noch kein Krankenhaus besuchen. Die von den Behörden offiziell angepriesene Zusammenarbeit könnte sich daher als komplizierter und begrenzter erweisen als angekündigt.

Internationale Hilfszusagen

Parallel zur Ankunft der WHO in Tadschikistan wird auch weitere internationale Hilfe organisiert. Laut Radio Ozodi haben bereits mehrere Staaten und Organisationen finanzielle Unterstützung angeboten. Im April sagte die Europäische Union 48 Millionen Euro an Hilfe für das Land zu. 1,3 Millionen wurden bereits ausgezahlt, um 64 Tonnen Schutzmaterial und Ausrüstung für 25 tadschikische Krankenhäuser zu kaufen.

Die Weltbank wird ebenfalls 11,3 Millionen Dollar (10,5 Millionen Euro) zur Finanzierung eines Nothilfeprogramms bereitstellen. Drei Millionen (2,8 Millionen Euro) werden für die ärmsten tadschikischen Familien bereitgestellt. Der Staatshaushalt könnte schließlich eine zusätzliche Hilfe von 50 Millionen Dollar (46,2 Millionen Euro) von der Asiatischen Entwicklungsbank erhalten.

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Laut Radio Ozodi haben Usbekistan und Kasachstan Nahrungsmittelhilfe angeboten, während Russland und China 20.000 Tests zum Nachweis des Virus bereitstellen werden. China, das eine starke Präsenz in der tadschikischen Wirtschaft hat, entsendet eine Arbeitsgruppe und medizinische Ausrüstung. Nach Angaben der offiziellen chinesischen Nachrichtenagentur Xinhua wurden diese Maßnahmen am 5. Mai von Außenminister Wang Yi während eines Telefongesprächs mit seinem tadschikischen Amtskollegen Sirodschidin Muhriddi angekündigt. Der chinesische Minister betonte die „Freundschaft“ zwischen den beiden Ländern und sagte, China sei „bereit, seinen Handel mit Tadschikistan auszubauen und ihm zu helfen, eine stabile wirtschaftliche Entwicklung aufrechtzuerhalten“. Der chinesische Einfluss im Land könnte gestärkt aus der Gesundheitskrise hervorgehen.

Tadschikistan befindet sich somit in einer gefährlichen Situation. Die Behörden haben wertvolle Wochen im Kampf gegen die Epidemie verloren, indem sie sich weigerten, die Existenz des Coronavirus im Land zuzugeben. Sie spielen seine Bedeutung weiter herunter und versuchen nun, die Menschen dazu zu bringen, ihre anfänglichen Leugnungen zu vergessen. Als idealer Sündenbock ist der Gesundheitsminister das politische Opfer dieses Strategiewechsels. Doch Hunderte von Menschen sind bereits krank, reale Opfer der Untätigkeit der Behörden.

Quentin Couvreur
Redakteur für Novastan France

Aus dem Französischen von Florian Coppenrath

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