EIN ORT IN ZENTRALASIEN. Die im Osten Tadschikistans gelegene autonome Provinz Berg-Badachschan ist reich an Mineral- und Thermalquellen. Während ihre heilende Wirkung bei den Kranken in Tadschikistan bekannt ist, stellen sie für ausländische Gäste vor allem ein Halt auf dem Weg in den Pamir dar.
Im Süden des Pamirs, insbesondere an der Straße entlang der Grenze zu Afghanistan markierenden Flusses Pjandsch, gibt es rund 70 Mineral- und Thermalquellen. Gelehrte wie Avicenna oder Ali Ibn Abbas al-Madschusi haben bereits im 10. Jahrhundert die Vorteile dieser Quellen angepriesen. Vorteile, die von russischen Forschern ab dem Ende des 19. Jahrhunderts klinisch bestätigt wurden, sei es für Kranke oder für Menschen bei guter Gesundheit.
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Später führten die Sowjets Studien zur Gesundheit der Bewohner:innen des Pamirs durch und stellten fest, dass in Murghob, der mit 3.650 Metern höchstgelegenen Stadt des Landes, Herzinfarkte, Bluthochdruck und Arteriosklerose deutlich seltener vorkamen, als in den flachen Regionen. Obwohl die Bergregion immer noch schwer zugänglich ist, veranlassen diese gesundheitlichen Vorteile noch heute Besucher:innen, ein paar Sommertage in der Nähe der Quellen Berg-Badachschans zu verbringen.
Seit Jahrhunderten genutzt
Die Quellen des Pamir erregten bereits die Aufmerksamkeit von Beamten im Khanat Buchara und später im Russischen Reich, aber es waren die Sowjets, die begannen, sie akribisch zu studieren. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts kamen Besucher:innen aus ganz Zentralasien, aber auch aus Indien, China und Afghanistan. Je nach Quelle dient das Wasser für heilende Bäder, als Trinkwasser oder beides. Viele Pamiris trinken dieses Wasser täglich. Dennoch kommt es vor, dass Besucher:innen mit einer weniger erfahrenen Darmflora es nicht gut vertragen.
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Besonders viele Mineral- und Thermalquellen gibt es im Bezirk Ischkoschim, dessen namensgebender Hauptort etwa hundert Kilometer südlich von Berg-Badachschans Hauptstadt Chorugh liegt. Am rechten Ufer des Pjandsch, entlang der 170 Kilometer zwischen den Dörfern Garm Tschaschma und Song, gibt es 21 Quellen. Die meisten liegen nicht weit von der Straße entfernt.
Die am besten geeigneten Thermalquellen für die Entwicklung eines Kurortes erreichen Temperaturen zwischen 35°C und 42°C. Garm Tschaschma und Bibi Fatima, die beiden berühmtesten Quellen der Region, gehören zu dieser Kategorie. Mancherorts nutzen die Anwohner:inner dieses Wasser nicht nur zum Trinken oder Baden, sondern im Winter auch zum Heizen.
Garm Tschaschma: Ein beliebter Ferienort
Garm Tschaschma, 45 Kilometer südlich von Chorugh, liegt am Ende einer sechs Kilometer langen Piste, die den Pamir Highway beim Dorf Andarob verlässt. Der Name bedeutet auf Tadschikisch „heiße Quellen“. Die auf mehr als 2.300 Metern über dem Meeresspiegel gelegene Quelle hat eine Durchflussmenge von etwa sechs Litern pro Sekunde. Je nach Standort schwankt sie zwischen 40°C und 62°C.
Der Ort ist Gegenstand vieler Legenden. Laut einigen Einheimischen kann ein Glas dieses „lebendigen“ Wassers Jugend, Kraft, Schönheit und Gesundheit wiederherstellen. Solche Quellen gelten seit Jahrhunderten als heilig und sollen nicht nur Schmutz, sondern auch Sünden wegspülen. Es heißt, wenn jemand in der Nähe der Quelle eine Sünde begeht, sich ihr mit bösen Absichten nähert oder schmutzig darin badet, wird er verflucht. Er, seine Nachkömmlinge und alle um ihn herum.
Die jüngere Geschichte der Quelle beginnt mit der Oktoberrevolution: Per Dekret Lenins wurden alle Bäder Staatseigentum. Und mit der Gründung der Sozialistischen Sowjetrepublik Tadschikistan im Jahr 1929 wurden Expeditionen zur Erforschung der Pamir-Quellen und der Besonderheiten des Klimas eingesetzt.
Durch mehrere Dekrete in den 1960er und 1970er Jahren wurde Garm Tschaschma zu einem Kurort und dann zu einer regionalen Physiotherapieklinik ausgebaut. Heutzutage wird der Kurort im Sommer von mehreren tausend Menschen besucht. Außerhalb der Saison ist er praktisch leer.
Wohltuendes Wasser gegen Hautprobleme
Die Quelle wird von Patient:innen mit dermatologischen Erkrankungen besucht. Das schwefelhaltige Wasser (mit 170 mg/L Schwefelwasserstoff) ist reich an Kieselsäure und enthält auch hohe Konzentrationen an Kohlendioxid, Kohlenwasserstoffen, Chlor, Natrium, aber auch an Aluminium, Eisen, Magnesium, Brom und Fluor. Die Wirksamkeit gegen chronische dermatologische Erkrankungen wurde von sowjetischen Forscher:innen klinisch nachgewiesen.
Die Bäder in Garm Tschaschma werden auch gegen Erkrankungen des Nervensystems angeboten. Der Kurort wird insbesondere für Patient:innen mit Schuppenflechte und Parapsoriasis (außer im fortgeschrittenen Stadium), Neurodermitis, Sklerose, Ekzemen (außer schwere), Juckreiz, Ichthyosis und Knötchenflechte empfohlen.
In der Nähe der heißen Quelle befinden sich drei Mineralquellen, die die Anwohner:innen mit Trinkwasser versorgen. Das Wasser von Dschunt, einen Kilometer von Garm Tschaschma entfernt, ist wohltuend gegen Erkrankungen des Verdauungstrakts und der Harnwege: Es enthält Eisen, Titan, Nickel, Kupfer, Kobalt, Brom und Jod. Die etwas weiter entfernten Quellen von Tschurtsch und Chosguni helfen, Probleme mit der Verdauung, dem Blutkreislauf und dem Atmungssystems zu lösen.
Das Leben im Kischlak
Das große Becken von Garm Tschaschma befindet sich im Freien und ist je nach Zeitplan Frauen oder Männern vorbehalten. Es ist jedoch zu jeder Tages- und Nachtzeit möglich, einen privaten überdachten Pool zu erhalten. Das Baden ist völlig kostenlos. Vor Ort bietet ein Staatshotel Zimmer ab 70 Somoni (6 Euro) pro Nacht an. Einige private Betriebe sind das ganze Jahr über geöffnet – mit Preisen, die je nach Saison, Stand und Stimmung des Kund:innen variieren können.
Der Kischlak lebt hauptsächlich vom Tourismus, aber auch – wie die Nachbardörfer – von der Viehzucht. Hundert Menschen leben in den beiden Kischlaks, die Garm Tschaschma umgeben. Hier gibt es ein paar Restaurants, einen Laden und eine Schule.
Bibi Fatima: Die Wunderquelle
178 Kilometer von Chorugh entfernt liegt die Quelle Bibi Fatima, die auch wie die benachbarte Festung und der Kischlak Jamtschun genannt wird und laut den Pamiris „alles heilt“. Die Quelle liegt sieben Kilometer nach einer Gabelung, die die Hauptstraße zwischen Ischkoschim und Murghob verlässt. Bemerkenswert ist der Ort nicht nur wegen seiner Gewässer, sondern auch wegen seiner geografischen Lage: Wenige Kilometer unterhalb bietet die über 2.000 Jahre alte und besonders gut erhaltene Festung Jamtschun einen beeindruckenden Blick auf das Tal und den afghanischen Wachan.
Unterhalb einer Kaskade von wenigen Metern gelangt das schwefelhaltige Wasser, dessen Temperatur auf 43°C ansteigt, in ein kleines natürliches Becken und setzt dann seinen Weg in den Schluchten fort, die in den Pjandsch münden. Ein paar Meter tiefer wurde ein künstliches Becken gebaut, in dem die Temperatur erträglicher ist.
Das Wasser von Bibi Fatima wird hauptsächlich zum Baden verwendet, manchmal aber auch getrunken. Es enthält Nickel, Lithium, Brom und Zink. Dieses „wundersame“ Wasser hat positive Wirkungen bei Patient:innen mit Erkrankungen des Verdauungssystems, der Leber, der Gelenke, Knochen und Muskeln. Besonders berühmt ist es aber für seine Wirkung bei gynäkologischen und urologischen Erkrankungen.
Viele Frauen mit Kinderwunsch gehen dort baden, weniger wegen der wissenschaftlichen Tugenden der Quelle als vielmehr aus religiöser Überzeugung: Die Quelle trägt den Namen der Tochter des Propheten Mohammed, die für die ismailitische Gemeinschaft, der viele Pamiris angehören, von besonderer Bedeutung ist.
Der Eintritt zur Quelle kostet 10 Somoni (0,86 Euro). Entlang der Straße, die nach Jamtschun hinaufführt, bieten einige Gästehäuser ihre Dienste an. Der Artikel basiert auf Daten aus dem Buch „Lečebnye mineral’nye istočniki Pamira, I. J. Bobochodschajew, C. M. Dawlatmamadow, Duschanbe 1994“.
Paulinon Vanackère, Redakteurin für Novastan
Aus dem Französischen von Robin Roth
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