In den letzten Jahren wurde das Thema Polygamie in Tadschikistan wieder aktuell, obwohl es laut der Verfassung des Landes verboten ist. Gleichzeitig steigt die Zahl der traditionellen religiösen Ehen. Woher kommen diese zweiten Ehefrauen? Die Journalisten von Asia Plus haben einige von ihnen nach ihrer Geschichte gefragt. Wir übernehmen den Artikel mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.
Sitora: Man soll uns nicht verurteilen
Es schreibt dir eine Frau, über die man nicht besonders gut redet und die in unserer Gesellschaft schief angeschaut wird. Ich bin eine zweite Ehefrau! So ist das und ich schäme mich nicht dafür. Ich fange meine Beichte damit an, dass ich, bevor ich eine zweite Ehefrau wurde, zwei Mal verheiratet war. Und außer Schmerz und Verrat habe ich nichts empfunden. Die einzige Freude war das Kind, mit dem ich zurückblieb, zusammen mit einem Koffer voller Lebenserfahrung. Jede Frau möchte die Einzige sein, aber was soll man machen, wenn die Männer nicht ausreichen?
Ich lebe schon 16 Jahre als zweite Frau und ich habe es nicht einmal bereut. In jedem Familienleben gibt es Vor- und Nachteile und unser Leben ist keine Ausnahme. Viele Leute um mich herum denken, dass für Zweitfrauen wie mich das Leben glücklich, reich und wolkenlos ist. Aber das ist bei weitem nicht so. Mein Mann ist ein ehemaliger Geschäftsmann und arbeitet zurzeit als Fahrer und nebenberuflich als Lastenträger. Trotz der Schwierigkeiten gebe ich um nichts in der Welt den Menschen her, der mich glücklich gemacht hat. Ich habe von ihm eine Tochter, und mein erstes Kind lehnt er nicht ab. Dafür bin ich ihm sehr dankbar.
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Wir leben in Schichten: drei zu eins, das heißt drei Tage bei der ersten Frau, ein Tag bei uns. Manche fragen mich: Aber was kann dir dein Mann an einem Tag geben? Die Antwort ist: alles! Wirklich, jedes Mal ist es unser kleines Familienfest! Aber neben den Feiertagen gibt es auch den Alltag. Es kommt vor, dass man den Ehemann braucht, zum Beispiel, wenn das Kind krank ist. Aber du hast kein Recht, ihn anzurufen, wenn er zuhause bei seiner ersten Frau ist. Und so leben wir eben. Manchmal fröhlich, manchmal traurig.
Viele denken, alle Zweitfrauen sind jung, schön, käuflich und nehmen den anderen Frauen die Männer weg. Aber ich sage Ihnen mal was: Ich bin 41 Jahre alt, keine Schönheit, kein Model. Ich habe drei Ausbildungen und wiege mehr als 100 Kilogramm. Ich habe Arthrose und starke Adipositas. Aber wenn es ihr Mann ist, dann geht er von Ihnen nicht weg. Viele von uns setzen nicht auf den Körper, sondern auf den Verstand und das Verständnis für den Mann. Und man soll uns nicht verurteilen, wir sind auch Menschen und, wie alle, wollen wir geliebt und erwünscht sein, auch in dieser nicht richtigen Weise.
Mavljuda: Die ehemalige Erste
Ich wurde früh verheiratet – mit 17 Jahren, weil wir eine traditionelle Familie sind und den Mädchen nicht erlaubt wurde, nach der Schule zu studieren. Außerdem wohnen wir im entlegenen Kischlak. Mein Mann Muhammad war der einzige Sohn der Familie. Sie wohnten in unserer Nachbarschaft und mein Vater entschied, dass ich keine bessere Partie finden würde. Am Anfang waren wir glücklich, nach sechs Jahren des Zusammenlebens hatten wir drei Kinder, allesamt Mädchen. Die Schwiegereltern waren zufrieden mit mir und sie schenkten dem Tratsch, dass ihre Schwiegertochter schlecht sei, da sie nur Mädchen gebäre, keine Aufmerksamkeit. Sie sagten immer: „Sie sind noch jung, sie werden noch Söhne bekommen“.
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Natürlich träumte mein Ehemann von einem männlichen Nachfolger und als ich zum vierten Mal schwanger wurde, hat er mich daher sprichwörtlich auf Händen getragen und mir alle meine Wünsche erfüllt. Aber es passierte ein Unglück: der Fötus entwickelte sich nicht und starb im Mutterleib ab und um mein Leben zu retten gingen die Ärzte bis zum Äußersten und brachen die Schwangerschaft ab. Mein ganzes Leben veränderte sich in kurzer Zeit: die Familie behandelte mich kalt und man sagte mir immer öfter, dass meine Verwandte meinen Mann bemitleiden.
Auf einmal bat er mich, alle meine Sachen zu packen und zusammen mit den Kindern in unsere Wohnung in der Stadt zu ziehen. Ich naives Ding freute mich darüber und dachte, dass er sich um meine Gesundheit kümmerte und sich dazu entschloss, mich weit weg vom rauen Leben im Kischlak zu schicken. Er brachte mir und den Kindern anfangs Lebensmittel, aber er kam immer seltener und meinte, dass er viel Arbeit hätte.
Auf einmal habe ich zufällig erfahren, dass er noch einmal geheiratet hatte. Ich hatte dann eine wilde Hysterie, danach gab es eine Szene und letztendlich schieden wir uns. Nie werde ich die schuldbewussten Augen meines Schwiegervaters vergessen, der zu uns gekommen war, um uns zu sehen, bevor er zum Haddsch (die islamische Pilgerfahrt nach Mekka, Anm. d. Red.) fuhr. Er bat mich um Vergebung und weinte. „Verstehe doch, wenn ich meinen Sohn nicht ein zweites Mal verheiratet hätte, dann wäre unser Familiengeschlecht ausgestorben. Aber wir brauchen einen Erben“, erklärte er mir. Bevor er wegfuhr, musste sein Sohn ihm schwören, mich nicht im Stich zu lassen und sich um die Kinder zu kümmern. Der Schwiegervater starb während der Pilgerfahrt und wurde vor Ort beigesetzt. Mein Mann heiratete mich ein zweites Mal, um sein Versprechen gegenüber seinem Vater zu halten.
Von der zweiten Ehe bekam mein Mann drei Söhne und sie sind glücklich. Aber ich wurde vom Platz der ersten Ehefrau zur Zweitfrau abgestuft. Ich darf nicht in das Haus meines Mannes zu Familienfesten, weil meine Rivalin, deren Namen ich nicht einmal kenne, das nicht mag. Und überhaupt ist sie sehr eifersüchtig auf unsere Beziehung und versucht, auf jegliche Art und Weise jeden Besuch meines Mannes bei uns zu verhindern. Das ist die traurige Seite der Geschichte.
Bunavsha: Mein Schwiegervater vermählte mich
Meine Geschichte ist von Anfang an tragisch. In jungen Jahren verlor ich meine Mutter und mein Vater heiratete ein zweites Mal. Damit die Schwiegermutter weniger meckerte, wurden alle seine Töchter – und wir waren fünf in unserer Familie – sehr früh verheiratet. Mit 16 Jahren haben sie mich weit weg gebracht in ein fremdes Haus, und in der Hochzeitsnacht sah ich meinen Liebsten zum ersten Mal. Mein Mann war fünf Jahre älter als ich und schon nach dem ersten Monat unseres Zusammenlebens fuhr er nach Russland zum Arbeiten. Ich wurde schwanger und 2010 gebar ich unsere erste Tochter. Als er nach einem Jahr wieder nach Hause kam, blieb er zwei Wochen zuhause. Ihm war nicht klar, was Vater sein bedeutet: meine Tochter hatte Angst vor ihm und daher hat sie jedes Mal laut geweint, wenn er sie in die Arme nehmen wollte.
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Als mein Mann wegfuhr, nahm er lange Abschied von uns und wie sich danach herausstellte, sollte das unser letztes Treffen sein. Ende des Jahres 2012 wurde er von einem Auto überfahren. Als sie seine Leiche aus Russland überführten, lag ich auf der Entbindungsstation. Sie haben ihn ohne mich begraben und am nächsten Tag wurde unser Sohn geboren. So war ich mit 18 Jahren eine Witwe mit zwei Kindern.
Danach habe ich nicht gelebt, ich habe nur existiert. Ich habe versucht, im Haus der Eltern meines Mannes als Dienerin tätig zu sein, damit sie mir und meinen Kindern nicht vorwerfen können, nur nutzlose Münder zu sein, die man zusätzlich stopfen muss.
Es vergingen vier Jahre. Mein Schwiegervater entschied, mein Schicksal in die Hand zu nehmen und mich zu vermählen. Er erklärte mir, dass eine unverheiratete Frau laut der Scharia nicht lange allein bleiben darf. Aber das Schlimmste war, dass sie mich verheirateten, aber mir nicht erlaubten, meine Kinder mitzunehmen.
Die ersten Tage waren schwer, ich habe die Tage und Nächte durchgeweint und wurde dann krank. Der zweite Mann zeigte sich verständnisvoll: Er wartete geduldig, damit meine Wunden heilen, aber ich weiß, dass sie niemals verheilen werden. Ich wohne jetzt in Duschanbe in einer Mietwohnung. Mein Mann arbeitet in der Stadt, im Kischlak hat er seine erste Familie. Sie wissen nichts von meiner Existenz, keiner besucht uns. Die einzige Freude ist das Leben, das sich in meinem Mutterleib entwickelt.
Im russischen Original erschienen auf Asia.plus
Aus dem Russischen übersetzt von Margarete Buch