Am 10. Oktober, dem internationalen Tag psychischer Gesundheit, führte Asia-Plus ein Interview mit Tadschikistans bedeutendstem Psychiater Chursched Kunguratow. Wir übersetzen den Artikel mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.
Welche psychischen Typen gibt es, und kann man sie bereits in der Kindheit bestimmen? Liegen Eifer und Impulsivität in den Genen der tadschikischen Gesellschaft? Welche Methoden der psychischen Heilung sind in Tadschikistan akzeptiert? Auf solche und ähnliche Fragen antwortet der Psychiater Chursched Kunguratow im Interview.
Asia Plus: Welche psychischen Typen sind der Psychiatrie bisher bekannt?
Chursched Kunguratow: Allgemein gibt es vier Grund-Typen:
Den Astheniker: Er ist leicht reizbar, misstrauisch und launisch
Den Schizoiden: Er ist sehr verschlossen und lebt in seiner eigenen Welt. Er ist lieber alleine als in lauter Gesellschaft und denkt über den üblichen Denkmustern hinaus
Den Psychosteniker: Er ist misstrauisch, er sorgt sich auch ohne besonderen Anlass, er neigt zur Selbstanalyse
Den Normosteniker: Diesen Typ bezeichnet eine guter Umgang mit Stresssituationen und eine hohe emotionale Resistenz. Er ist entspannt und gelassen
Was beeinflusst die Entstehung dieser vier Typen? Hängen sie mehr von den Genen, oder stärker von äußeren Faktoren ab?
Sowohl die Gene, als auch äußere Faktoren spielen eine Rolle. Gesellschaft, Familie, Umgebung, Erziehung und sogar Religion. Der psychische Typ eines Menschen ändert sich im Laufe seines Lebens. Viel hängt dabei von der Erziehung ab.
Wenn etwa ein Kind ein Einzelkind ist und von seiner Familie alles bekommt, was kann das psychische Störungen verursachen, eine Schwächung des Nervensystems. Von hier ist Sadismus nicht weit: Das Kind kann Gewalt gegenüber den Eltern, und später der Ehefrau und Kindern entwickeln. Dieses Kind wurde aber nicht so geboren, sondern es liegt an der Erziehung.
Welcher dieser Typen neigt am stärksten dazu, eine psychische Störung zu entwickeln?
Die psychische Gesundheit ist relativ. Man kann nicht sagen, dass es von einem Typ mehr abhängt, als von einem anderen, denn wir sind potentiell alle anfällig für psychische Krankheiten. Als Auslöser dafür dienen meist Stresssituationen.
Wenn es zum Beispiel zu einem Todesfall in der Familie kommt, kann ein Mensch hysterisch reagieren. Das bedeutet aber nicht, dass er psychisch krank ist. Solche Reaktionen sind normal.
Wir alle leiden an irgendetwas im Leben. Bei Stress spielen aber die Stabilität des Nervensystems, die genaue Situation sowie die Umstände eine Rolle.
Kann man bereits in der Kindheit den psychischen Typ eines Menschen bestimmen?
Das kann ein Psychologe mit Hilfe eines Tests. Da ich nicht mit Kindern arbeite, wird das ein Psychologe besser wissen. Aber, wie gesagt, der psychische Typ kann sich im Laufe des Lebens eines Menschen ändern. Das heißt, was man im Kindesalter feststellt, sagt nichts darüber aus, wie es in Zukunft sein wird.
Obszöne Beschimpfungen, Mütter, die ihre Kinder ohne Grund schlagen, Jungen, die Mädchen auf der Straße belästigen. Ist das unsere tadschikische Art, sich zu verhalten, oder eine Krankheit?
Über das Sexualverhalten unserer Jugend habe ich bereits gesprochen. Das sind absolut zurechnungsfähige Menschen, die sich ihrer Handlungen bewusst sind. Sie könnten sich zurückhalten, wollen es aber nicht. Man kann sie auch als „Rowdys“ bezeichnen.
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Dass Kinder schreien, und die Mütter daraufhin Hand auf sie erheben, sie anschreien, lässt sich durch Gewohnheit erklären. Ungezogenheit, Grobheit und Gewalt, das kommt alles aus dem Elternhaus. Diejenigen, die ihre Kinder schlagen, wurden selbst von ihren Eltern verprügelt. Deshalb glauben sie, dass die Erziehung durch Schläge und Schreie der Ordnung der Dinge entspricht. Sie kennen einfach nichts anderes. Und das ist inakzeptabel!
Wenn ein Kind nicht auf seine Eltern hört, oder andere unartige Dinge tut, muss man ihm in Ruhe erklären, wie es sich zu verhalten hat. Prügel und lautes Schimpfen führen bei Kindern zu Brutalität und anderen psychischen Störungen. Man sieht, wir erschaffen uns selbst die Menschen mit psychischen Störungen.
Sind die Probleme der tadschikischen Gesellschaft also auf Ungezogenheit zurückzuführen?
Obszöne Sprache zu gebrauchen ist ein absolut unakzeptables Verhalten. Und zwar für alle: Männer, Frauen, Kinder. Das ist nur ein Mangel Kommunikationskultur unseres Landes. In unseren Familien wird nicht beigebracht, wie man sprechen und sich verhalten sollte, und das ist das Ergebnis.
Wie gehen tadschikische Familien mit Fällen psychischer Probleme um?
Viele Familien wenden sich zuerst an einen Mullah (muslimischen Geistlichen, Anm. d. Ü.), bevor sie einen Psychiater aufsuchen, wenn einer ihrer Verwandten ein Problem hat. Sie glauben, das schlechte Verhalten stamme davon, dass der Mensch vom „Teufel“ besessen sei.
Dabei wird zuerst ein Gebet gesprochen. Wenn das nicht hilft, geht man zu härteren Maßnahmen über: auspeitschen, Blut aufnehmen, hungern. Die Verwandten des Kranken glauben, wenn er vor Schmerz schreit, wohne der Teufel in ihm. Dem Patienten wird fast nichts zu essen gegeben, man bringt ihr bis zur Erschöpfung und fährt ihn erst dann ins Krankenhaus.
Immer noch Zahlen die Leute dem Mullah 500 Somoni (knapp 50 Euro) für diese „Heilung“. Daher müssen wir, wenn der Patient endlich in die richtigen Hände gelangt, ihn zuerst wegen seiner Erschöpfung behandeln, indem wir ihn mit Infusion ernähren. Diese Praktiken finden vor allem in den Provinzen im Süden und im Zentrum Tadschikistans statt. In den 90er Jahren auch noch in Duschanbe. Weniger aber findet man sie in der Region Sughd, im Norden des Landes. Ich rate deshalb: wenn es in der Familie Probleme gibt oder jemand krank ist, wenden Sie sich direkt an einen Spezialisten, nämlich einem Doktor.
Aus dem Russischen von Julia Tappeiner
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