Russlands Präsident Wladimir Putin hat seine Amtskollegen aus Kirgistan, Tadschikistan, Turkmenistan, Kasachstan und Usbekistan eingeladen, an den diesjährigen Feierlichkeiten zum Tag des Sieges am 9. Mai in Moskau teilzunehmen. Es ist das erste Treffen der zentralasiatischen Präsidenten mit Putin, seitdem gegen diesen Anklage vor dem Internationalen Strafgerichtshof erhoben wurde.
Am 25. April hat das Büro des kirgisischen Präsidenten eine Pressemitteilung herausgegeben, in der es hieß, dass Sadyr Dschaparow am 9. Mai als „Ehrengast“ an der jährlichen Militärparade auf dem Roten Platz teilnehmen werde. Einige Tage später, am 5. Mai, lud Putin auch den tadschikischen Präsidenten Emomali Rahmon nach Moskau ein.
Am Tag vor der Parade, am 8. Mai, schickte Russland ein Schnellfeuer von Einladungen an die Präsidenten von Turkmenistan, Kasachstan und Usbekistan. Es ist das erste Mal seit Jahren, dass alle fünf zentralasiatischen Präsidenten an den Feierlichkeiten zum Tag des Sieges teilnehmen.
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Als vereinsgetragene, unabhängige Plattform lebt Novastan vom Enthusiasmus seiner ehrenamtlichen Mitarbeiter:innen – und von eurer Unterstützung!Seit Beginn der russischen Invasion in der Ukraine hat der Kreml Zentralasien deutlich mehr Aufmerksamkeit geschenkt. Allein im Jahr 2022 besuchte Putin alle fünf Länder der Region – das hatte es schon lange nicht mehr gegeben. Während der russische Präsident international zunehmend in die Enge getrieben wird, hält Moskau an seinen wenigen verbliebenen Verbündeten fest.
Dennoch ist dies das erste Mal, dass die zentralasiatischen Präsidenten die Bühne mit Putin teilen, nachdem dieser wegen Kriegsverbrechen angeklagt wurde.
Ein gesuchter Mann
Kürzlich erließ der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) einen Haftbefehl gegen den russischen Präsidenten wegen des Vorwurfs der rechtswidrigen Deportation ukrainischer Kinder aus den besetzten Gebieten nach Russland.
Letzte Woche warnten die südafrikanischen Behörden davor, dass Putin während des bevorstehenden BRICS-Gipfels im August verhaftet werden könnte, sollte sich der russische Präsident zu einer Anreise entschließen. Südafrika hat den Gründungsvertrag des Internationalen Strafgerichtshofs ratifiziert und ist damit zum Handeln verpflichtet, sollte Putin das Land betreten.
In Zentralasien ist Tadschikistan der einzige Vertragsstaat und damit theoretisch zur Zusammenarbeit mit dem Gerichtshof verpflichtet. Kirgistan und Usbekistan haben den Vertrag vor etwa zwanzig Jahren unterzeichnet, aber bisher nicht ratifiziert. Dagegen sind Kasachstan und Turkmenistan keine Unterzeichnerstaaten. Sollte Putin sich entscheiden, die Region zu besuchen, wie er es im letzten Jahr so oft getan hat, sind die Chancen gering, dass ihm wegen des Haftbefehls die Einreise verweigert wird.
Ein Angebot, dass man nicht ablehnen kann
Zentralasien ist in vielerlei Hinsicht noch immer stark von Russland abhängig. So meint der Politologe Arkadij Dubnow gegenüber dem kirgisischen Nachrichtenportal Kloop, dass Sadyr Dschaparow keine andere Wahl hatte, als die Einladung nach Moskau anzunehmen.
Kirgistan unterhält nach wie vor enge wirtschaftliche Beziehungen zu Russland. Obwohl China im Rahmen seiner „One Belt One Road“-Initiative erhebliche Fortschritte in Zentralasien macht, bleibt Russland in Bezug auf Handel und Überweisungen unglaublich wichtig.
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Die neuesten Daten der Weltbank zeigen, dass über 30 Prozent des kirgisischen BIP aus Überweisungen bestehen. 97 Prozent dieser Überweisungen werden von kirgisischen Migrant:innen gesendet, die in Russland arbeiten. Daher kann man mit Sicherheit sagen, dass die wirtschaftlichen Beziehungen zu Russland höchst asymmetrisch sind. Moskau ist sich dessen durchaus bewusst.
Im Falle Tadschikistans ist die wirtschaftliche Abhängigkeit von Russland ebenso groß. Wie das tadschikische Nachrichtenportal Asia-Plus berichtet, erreichten die Überweisungen aus Russland im vergangenen Jahr ein Rekordhoch. Die russischen Behörden registrierten auch einen Anstieg des Migrantenzustroms nach der Pandemie. Im Jahr 2022 reisten fast eine Million Menschen aus Tadschikistan zum Arbeiten nach Russland.
Zentralasien als Sanktionsschlupfloch
Der Krieg in der Ukraine hat das Gleichgewicht jedoch etwas zugunsten der zentralasiatischen Volkswirtschaften verschoben. Länder wie Kasachstan und Kirgistan haben sich zu wichtigen Drehscheiben für den Reexport von Waren nach Russland entwickelt.
Radio Azattyk, der kürzlich geschlossene kirgisische Dienst von Radio Liberty, interviewte Temir Schabdanalijew, Leiter einer kirgisischen Lobbygruppe, zu diesem Trend. Er erklärte: „Wenn früher Waren aus Europa nach Russland verschickt wurden, werden sie jetzt als Lieferungen nach Kirgistan und Kasachstan registriert. Aber sobald sie hier abgeladen sind, werden sie sofort nach Russland gebracht.“
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Infolgedessen boomt der Handel von und nach Zentralasien seit Beginn der westlichen Sanktionen. In Kirgistan gab es laut RFE/RL einen bemerkenswerten Aufwärtstrend beim Handel mit „Shampoo, Zahnstochern, Seife und Autoteilen“.
Auch die zuständigen tadschikischen Behörden meldeten eine Zunahme des Handels mit Russland. Im vergangenen Jahr wurden die tadschikischen Behörden sogar beschuldigt, Moskau mit iranischen Drohnen für den Krieg in der Ukraine beliefert zu haben. Diese Anschuldigungen basierten auf einem kürzlich von Duschanbe mit Teheran unterzeichneten Abkommen über die Herstellung von Lizenz-Drohnen in Tadschikistan. Das in den USA ansässige Magazin The Diplomat fand jedoch keine sichtbaren Beweise für Behauptungen, dass in Tadschikistan hergestellte Drohnen den ukrainischen Himmel durchzogen.
Riskante Geschäfte
Aber es besteht ein gewisses Risiko bei der Wiederausfuhr von Waren nach Russland. Die EU hat die zentralasiatischen Republiken davor gewarnt, dass sie sekundäre Sanktionen gegen Unternehmen verhängen könnte, die Russland dabei helfen, Sanktionen zu umgehen. Für Länder wie Kirgistan und Tadschikistan gibt es wenig Spielraum. Die wirtschaftliche Abhängigkeit von Russland überwiegt oft den westlichen Druck. Der Einmarsch in die Ukraine hat jedoch vielen in Zentralasien die bestehenden neokolonialen Machtverhältnisse bewusst gemacht.
Vor einigen Wochen berichtete Eurasianet über ein russisches Einfuhrverbot für kirgisische Milchprodukte, nachdem Bischkek ein Gesetz zur Förderung der kirgisischen Sprache verabschiedet hatte. Der Kreml sieht diese Entwicklung als Versuch, seinen kulturellen Einfluss in Zentralasien einzudämmen.
Putins Patronage
Der 9. Mai ist eine weitere wichtige Erinnerung an die koloniale Vergangenheit der Region. Aus diesem Grund haben sich die meisten zentralasiatischen Länder in den letzten Jahrzehnten schrittweise vom sowjetisch verordneten „Tag des Sieges“ verabschiedet. In Kasachstan wurden Militärparaden abgeschafft, „um das erforderliche Maß an Kampfbereitschaft aufrechtzuerhalten“, berichtete die Nachrichtenagentur Kazinform. In Turkmenistan ist der 9. Mai seit 2018 kein gesetzlicher Feiertag mehr. Der Tag des Sieges in Usbekistan wurde in einen „Tag des Gedenkens und der Ehre“ umgewandelt, der das Gedenken über den militärischen Pomp stellt.
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Obwohl der Tag des Sieges in Kirgistan und Tadschikistan immer noch große Ähnlichkeit mit der Sowjetzeit hat, ändern sich auch dort die Zeiten. Vielerorts werden die Feierlichkeiten reduziert oder auf die jeweiligen Unabhängigkeitstage beider Länder verschoben. Aufgrund der russischen Invasion in der Ukraine wird sich dieser Prozess wahrscheinlich beschleunigen.
Dennoch unterliegen Nation-Building und Symbolik weiterhin realen Einschränkungen. Solange die wirtschaftliche Abhängigkeit andauert, haben die regionalen Führer keine andere Wahl, als dort zu Gewehr bei Fuß zu stehen, woher das Geld kommt: Putins Russland.
Julian Postulart
Aus dem Englischen von Robin Roth