Am 28. November fand in Kirgistan die Parlamentswahl statt, mehr als ein Jahr nach der annullierten Wahl vom Oktober 2020. Die Teilergebnisse sehen regierungsfreundliche Parteien in Führung, während die Opposition eine Manipulation der Wahl anprangert.
Am 28. November haben die Bürger:innen Kirgistans bei der Parlamentswahl ihre Stimme abgegeben, um die 90 Sitze im Dschogorku Kengesch, dem Parlament des Landes, neu zu besetzen. Nach zehn Tagen manueller Auszählung veröffentlichte die Zentrale Wahlkommission am 7. Dezember schließlich die ersten offiziellen Ergebnisse. Vermeintlich regierungsfreundliche Parteien haben die Wahl demnach mit großem Abstand gewonnen, während die wichtigsten Oppositionsparteien an der 5-Prozent-Sperrklausel gescheitert sind.
Regierungsfreundliche Parteien in Führung
Von den 21 politischen Gruppierungen, die an der Wahl teilgenommen haben, werden nur sechs im Parlament vertreten sein. Die Partei Ata-Dschurt (Vaterland), die Präsident Sadyr Dschaparow zu ihren Gründungsmitgliedern zählt, liegt mit 17,3 Prozent der Stimmen vorne. Es ist ihr zweiter Wahlsieg nach der Parlamentswahl 2011.
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Dahinter liegen die Parteien Ischenim (Vertrauen) und Yntymak (Harmonie) mit 13,6 beziehungsweise 11 Prozent der Stimmen. Wie das amerikanische Online-Medium Eurasianet berichtet, gelten diese Parteien als regierungstreu und verzeichnen zahlreiche Kandidat:innen aus dem Umkreis des Präsidenten sowie des Leiters des Sicherheitsdienstes, Kamtschybek Taschijew. Auch die konservative Partei Yiman Nuru (Licht des Glaubens), die 6 Prozent der Stimmen erhielt, könnte sich dem etwaigen Regierungsbündnis anschließen.
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Das Oppositionsbündnis aus der traditionellen, sozialdemokratischen Oppositionspartei Ata-Meken (Vaterland) und der liberalen Partei Reforma scheiterte an der Sperrklausel, ebenso wie die Partei „Sozialdemokraten“, die sich aus Anhänger:innen des inhaftierten ehemaligen Präsidenten Almasbek Atambajew (2011-2017) zusammensetzt. Im Parlament wird die Opposition demnach durch die Partei Allianz (8,3 Prozent), einem Zusammenschluss ehemaliger Mitglieder der Parteien Ata Meken und Respublika, und durch das Bündnis der nationalistischen Partei Bütün Kyrgyzstan (Vereinigtes Kirgistan) mit der Kommunistischen Partei Kirgistans (7 Prozent) repräsentiert. Die Wahlbeteiligung lag bei 34,9 Prozent auf einem ähnlichen Niveau wie bei der Präsidentschaftswahl im Januar dieses Jahres, aber mehr als 20 Prozent niedriger als bei der Parlamentswahl im Vorjahr.
Ein kleineres, schwächeres Parlament
Dieser Wahlgang ist der erste auf nationaler Ebene seit der Verabschiedung einer neuen Verfassung im April dieses Jahres. Mit dem neuen Text, der eine Rückkehr zu einem hyperpräsidentiellen Regierungsmodell mit sich bringt, wurde die Anzahl der Sitze im Parlament von 120 auf 90 reduziert. In einem Kommentar zum neuen Verfassungstext warnte die Venedig-Kommission vor einem Zusammenbruch der Gewaltenteilung, mitunter aufgrund einer drastischen Reduzierung der Befugnisse des Parlaments. Der Wahlmodus des Parlaments wurde im August per Gesetz weiter definiert und ist nun gemischt. Ähnlich wie in Deutschland haben die Wähler:innen demnach eine Erst- und eine Zweitstimme, es gibt aber keine Überhangmandate. 54 Sitze werden durch eine proportionale Wahl mit nationalen Listen besetzt und 36 Sitze durch eine Mehrheitswahl in den jeweiligen Wahlbezirken.
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Wie Radio Azattyk, der lokale Dienst von Radio Free Europe berichtet, erhielt mitunter Schairbek Taschijew, der Bruder Kamtschybek Taschijews in seinem Wahlbezirk in der im Süden des Landes gelegenen Stadt Dschalal-Abad die Mehrheit der Stimmen. In einem der Bischkeker Wahlbezirke konnte der Oppositionsabgeordnete Dastan Bekeschew seinen erneuten Einzug ins Parlament sicherstellen. In zwei weiteren Wahlbezirken der Hauptstadt steht eine Neuwahl an, da eine Mehrheit der Stimmen „gegen alle“ abgegeben wurde. Wie der Politikwissenschaftler Orosbek Moldalijew im Gespräch mit Radio Azattyk bemerkt, „konnte in keinem der Wahlbezirke eine Frau gewinnen“. Allgemein dürfte sich die Anzahl der Frauen und von Vertreter:innen nationaler Minderheiten im neuen Parlament drastisch reduzieren, so das kirgisische Online-Medium 24.kg.
Computerausfall und Betrugsvorwürfe: Wahl unter Spannung
Wie 24.kg berichtet, kam es aufgrund von Unstimmigkeiten bei den Zahlen bereits nach der Bekanntgabe der ersten Ergebnisse durch die Zentrale Wahlkommission am Abend des 28. November zu Anfechtungen der Wahlergebnisse. Tatsächlich war die Summe der von jeder Partei erhaltenen Stimmen höher als die Zahl der abgegebenen Stimmen. Anschließend verschwanden die Ergebnisse von der Website der Wahlkommission, um vierzig Minuten später in einem anderen Verhältnis wieder aufzutauchen. Laut Radio Azattyk behauptete der Parteichef von Ata-Meken, Ömürbek Tekebajew, seine Partei habe nach der Aktualisierung 30.000 Stimmen verloren.
Die Wahlkommission berief sich auf ein Versagen des technischen Systems, während die Opposition eine Manipulation der Wahl anprangerte. In einer gemeinsamen Erklärung weigerten sich die Parteien Ata-Meken, die Sozialdemokraten, Azattyk und Uluttar Birimdigi die Ergebnisse anzuerkennen und forderten Neuwahlen. Sie prangerten Praktiken des Stimmenkaufs an und verwiesen auf die große Zahl ungültiger Stimmzettel – fast zehn Prozent der Stimmen. Als Reaktion darauf kündigte der Präsident in einer Facebook-Nachricht am Wahlabend an, dass im Falle einer nachgewiesenen Fälschung durch die Wahlkommission Maßnahmen ergriffen werden würden.
Ohne die Neuorganisation von Neuwahlen zu akzeptieren, berief er sich auf die manuelle Auszählung der Stimmen. Seit 2010 werden nämlich alle Wahlen in Kirgistan elektronisch abgehalten. In einem Interview am 3. Dezember betonte Dschaparow weiter, die Wahl sei fair abgelaufen und nannte die Anschuldigungen des Wahlbetrugs „absurd“: „Wenn es Druck von Seiten der Regierung gegeben hat, dann soll die Leitung der Wahlkommission, ihre Spezialisten oder Mitglieder von lokalen Wahlkommissionen es mit den Worten erklären ‚Die Regierung hat so Druck gemacht und wir haben so Stimmen gestohlen‘. Dann trete ich ohne Verzögerung zurück.“
Das unabhängige kirgisische Online-Medium Kloop, das die Wahl mit ca. 1400 Beobachter:innen begleitete, verzeichnet hingegen Unstimmigkeiten in den endgültigen Stimmprotokollen der Wahlkommission. Die Journalist:innen bedauern, dass keine unabhängigen Wahlbeobachter:innen zur manuellen Stimmenzählung geladen waren und dass die Protokolle der einzelnen Wahlbüros leicht zu fälschen seien. Darüber hinaus merkt Kloop an, „dass in den umgeschriebenen Dokumenten Dutzende oder gar Hunderte von Stimmen verloren gehen.“ Zum Beispiel entspricht die Summe der gültigen Stimmen in manchen Wahlbüros nicht der Summe der Stimmen, die für bestimmte Parteien oder „gegen alle“ abgegeben wurden.
Erwartete Wahl nach der politischen Krise
In einem bereits am 29. November veröffentlichten Zwischenbericht zeichnet die Beobachtungsmission der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) ein gemischtes Bild vom Ablauf der Wahl. „Die Parlamentswahl vom 28. November war kompetitiv, aber Verfassungsänderungen, die das Parlament schwächten, anschließende umfangreiche Gesetzesänderungen zu zentralen Aspekten der Wahlen, ein unterdrückter Wahlkampf und die allgemeine Wählerdesillusionierung verhinderten ein sinnvolles Engagement“, wird der Bericht eingeleitet.
Auch der Außenpolitische Sprecher der Europäischen Union bezieht sich auf diesen Bericht und bemerkt: “Diese Wahl war ein notwendiger, lange verzögerter Schritt auf dem demokratischen Weg des Landes nach der Annullierung der Ergebnisse der Parlamentswahl vom 4. Oktober 2020 durch die Behörden.” Lest auch bei Novastan: Sadyr Dschaparow, der Volksflüsterer In einer offiziellen Erklärung vom 28. November lobte der kirgisische Präsident den reibungslosen Ablauf der Wahl: „Wir haben es uns zur Hauptaufgabe gemacht, eine faire und rechtmäßige Parlamentswahl abzuhalten. Ich behaupte nicht zu Unrecht, dass wir diese Aufgabe als demokratischer Staat erfüllt haben.“
Seiner Meinung nach habe Kirgistan aus der Vergangenheit gelernt und den Willen des Volkes respektiert. Dschaparow bezieht sich hierbei auf die politischen Umbrüche in den Jahren 2005 und 2010, wie auch auf die Proteste im Oktober 2020, die ihn nach einer stark umstrittenen Parlamentswahl an die Macht gebracht hatten. So ist der reibungslose Ablauf dieser Wahl eine entscheidende Herausforderung für den kirgisischen Präsidenten. Trotz kleinen Protesten infolge der Wahl und Zweifeln an der Genauigkeit der Stimmauszählung scheint jedoch keine Wiederholung der Ereignisse von Oktober 2020 in Sicht.
Clotilde Rabault Für Novastan.org
Aus dem Französischen mit Ergänzungen von Florian Coppenrath
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