Der Gesetzesentwurf, der die Wiedereinführung der Todesstrafe für Vergewaltigungen und Morde an Frauen und Kindern vorsieht, wird von Menschenrechtsorganisationen als ineffektiv und populistisch kritisiert.
Die Debatte über die Wiedereinführung der Todesstrafe in Kirgistan wurde durch einen aufsehenerregenden Kriminalfall wieder ins Rollen gebracht: Am 27. September war die 17-jährige Ajsuluu Mukaschewa aus dem Gebiet Ysyk-Köl entführt und vergewaltigt worden; ihr lebloser Körper wurde später in der Nähe des Dorfes Kadschy-Saj gefunden. Im Laufe der darauffolgenden Ermittlungen gestand der Täter, Kumarbek A. (41), neben der Tötung Mukaschewas auch den bisher ungeklärten Mord an Kamila Dujschebajewa, welche 2014 auf einem Friedhof in der Nähe des Dorfes Bajtik mit einem Schal erwürgt worden war.
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Als vereinsgetragene, unabhängige Plattform lebt Novastan vom Enthusiasmus seiner ehrenamtlichen Mitarbeiter:innen – und von eurer Unterstützung!Die Grausamkeit des Mordes erschütterte weite Teile der kirgisischen Gesellschaft. Anfang Oktober erklärte Kirgistans Präsident Sadyr Dschaparow, dass er sich persönlich mit dem Fall beschäftige. Er beauftragte den Vorsitzenden der präsidialen Rechtsverwaltung, Murat Ukuschew, mit der Vorbereitung einer Gesetzesänderung, die für Vergewaltigungen an Kindern sowie für Vergewaltigungen mit Todesfolge an Frauen die Todesstrafe wiedereinführen würde. Dem kirgisischen Präsidenten zufolge würde dies Verbrechen an Frauen und Kindern „wenn nicht vollständig stoppen, so doch zumindest erheblich reduzieren.”
Menschenrechtler:innen befürchten Missbrauch
Lokale Menschenrechtsorganisationen schauen mit Besorgnis auf die geplanten Änderungen. Sie befürchten, dass die Wiedereinführung der Todesstrafe in dem von Korruption gebeutelten Land zu breitflächigem Missbrauch führen könnte.
“Es ist zwar unerlässlich, Gewalt gegen Frauen zu bekämpfen, doch die Todesstrafe ist keine Lösung. Weltweite Erkenntnisse zeigen, dass härtere Strafen, einschließlich Hinrichtungen, keine wirksame Abschreckung darstellen. Stattdessen birgt die Wiedereinführung der Todesstrafe die Gefahr weiterer Missbräuche in einem Rechtssystem, das ohnehin schon von Korruption, Straflosigkeit und einer schwachen Rechtsstaatlichkeit geprägt ist”, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung, die von Freedom for Eurasia, der International Partnership for Human Rights (IPHR), dem Norwegian Helsinki Committee, Araminta, der International Federation for Human Rights (FIDH), People in Need (PIN) und Civil Rights Defenders unterschrieben wurde.
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In der Erklärung wurde zudem angemerkt, dass die kirgisische Regierung mit der Wiedereinführung gegen die eigene Landesverfassung und ihre Pflichten gemäß des Zweiten Fakultativprotokolls zum Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte (kurz: UN-Zivilpakt) verstoßen würde. Letzteres verpflichtet die Vertragsstaaten dazu, die Todesstrafe abzuschaffen.
Grundursachen bleiben bestehen
Die beteiligten Menschenrechtsorganisationen werfen der kirgisischen Regierung vor, mit dem Gesetzesvorschlag lediglich Populismus zu betreiben und die zugrundeliegenden Ursachen geschlechtsspezifischer Gewalt nicht anzupacken.
„Die Polizei versäumt es oft, die Anzeigen der Opfer aufzunehmen, leitet keine sofortigen Ermittlungen bei Vorwürfen sexuellen Missbrauchs ein, und die Täter werden von den Justizbehörden milde behandelt”, so die Erklärung. Auch die repressiven Maßnahmen der derzeitigen Regierung gegenüber Frauen, wie „Belästigung und Vergeltungsmaßnahmen gegen prominente Journalistinnen, Aktivistinnen und Regimekritikerinnen”, würden deren Missachtung von Frauenrechten demonstrieren.
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Stattdessen rufen die Menschenrechtler:innen die kirgisische Regierung dazu auf, stärkere Präventionssysteme wie Krisenzentren, Frauenhäuser und Hotlines zu etablieren, Ersthelfer besser zu schulen und im Falle grober Nachlässigkeit oder fehlender Mitarbeit zur Verantwortung zu ziehen. Darüber hinaus müssen Täter adäquat bestraft und ein nachhaltiger politischer Willen zum Schutz der Rechte von Frauen und Mädchen demonstriert werden.
Rückwärtsgang in der Rechtsstaatlichkeit?
Der Vorstoß der Regierung zur Wiedereinführung der Todesstrafe reiht sich in die schlechter werdende Menschenrechtslage im Land ein. Erst im Juni hatte das kirgisische Parlament für die Abschaffung des Nationalen Zentrums zur Folterverhinderung gestimmt, einem unabhängigen Organ, das die Anwendung von Folter in Haftanstalten überprüfen und gegebenenfalls verhindern sollte. Schon damals hatten Menschenrechtsorganisationen gewarnt, dass dieser Schritt einen „gefährlichen Rückschlag im Kampf gegen Folter in der Kirgisischen Republik” darstelle.
Der Gesetzesentwurf zur Wiedereinführung der Todesstrafe wird bis zum 28. Oktober im Portal für die öffentliche Diskussion von Entwürfen für Rechtsvorschriften der Kirgisischen Republik diskutiert und danach Gegenstand eines nationalen Referendums werden.
Benedikt Stöckl für Novastan
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Kirgistan: Menschenrechtler:innen kritisieren Vorstoß zur Wiedereinführung der Todesstrafe