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Berg-Badachschan vom Internet abgeschnitten

Seit Ende November ist die im Osten Tadschikistans gelegenen Autonome Provinz Berg-Badachschan ohne Internet. Dies bereitet den Einwohner:innen Schwierigkeiten, aber niemand erklärt ihnen, warum die gesamte Region fast einen halben Monat von der Außenwelt abgekoppelt ist. Der folgende Artikel erschien am 7. Dezember 2021 auf Asia-Plus. Wir übersetzen ihn mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.

Asia Plus 

Übersetzt von: Robin Roth

Original (7. Dezember 2021)

Seit Ende November ist die im Osten Tadschikistans gelegenen Autonome Provinz Berg-Badachschan ohne Internet. Dies bereitet den Einwohner:innen Schwierigkeiten, aber niemand erklärt ihnen, warum die gesamte Region fast einen halben Monat von der Außenwelt abgekoppelt ist. Der folgende Artikel erschien am 7. Dezember 2021 auf Asia-Plus. Wir übersetzen ihn mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.

Seit den Protesten, die sich vom 25. bis zum 28. November in Chorugh ereignet haben, sind die Bewohner:innen der Autonomen Provinz Berg-Badachschan in ihrer Kommunikation eingeschränkt –  ihnen wird das Internet vorenthalten. Die Vereinbarung, die Demonstrierende und Behörden am 28. November geschlossen haben, beinhaltet unter anderem, dass die Internetverbindung wiederhergestellt wird. Seit dem 1. Dezember ist die Verbindung teilweise wiederhergestellt. Zugang zum Internet gibt es aber bis heute nur bei Banken und einigen Behörden. Wir haben versucht herauszufinden, wer wie und warum das Internet in Berg-Badachschan blockiert.

Für Internet nach Duschanbe

Einwohner:innen Berg-Badachschans sowie aus der Region stammende Unterstützer:innen in  verschiedenen Teilen der Welt richten aufgrund der fehlenden Internetverbindung Appelle an Tadschikistans Verbraucherverband sowie an den Außenminister und den Bildungsminister der Russischen Föderation.  Sie beabsichtigen, sich an internationale Organisationen zu wenden, um ihre Rechte zu schützen und das Internet in die Region zurückzubringen.

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Aufgrund des fehlenden Internets müssen Studienbewerber:innen russischer Universitäten 600 Kilometer nach Duschanbe fahren, um ihre Bewerbungsunterlagen einzureichen. „Kinder, die den Wunsch äußern, russische Universitäten […] zu besuchen, wurden zu Geiseln der Situation und haben die Möglichkeit verloren, Dokumente aus der Ferne einzureichen. Viele der Eltern sind aus finanziellen und anderen Gründen nicht in der Lage, mit ihren Kindern 1200 Kilometer von Chorugh nach Duschanbe und züruck zu reisen“, heißt es in dem Appell.

In dem Appell wird auch darauf hingewiesen, dass die Abschaltung des Internets nicht nur den Fernunterricht beeinträchtigt, sondern auch die staatlichen, kommerziellen und internationalen Strukturen in der Region lahmlegt. Darüber hinaus haben Zehntausende Angehörige im Ausland keine Verbindung zu ihren Lieben und machen sich Sorgen um ihr Wohlergehen.

Die Betreiber schweigen

Die tadschikischen Behörden schweigen über die Gründe für die Abschaltung des Internets in der Region sowie darüber, wann es wiederhergestellt wird. Letzte Woche haben wir versucht, ein Statement des Kommunikationsdienstes zu bekommen, aber es ist nicht gelungen: Der stellvertretende Leiter des Dienstes versprach mehrere Tage lang zu antworten, tauchte aber letztendlich unter. Der Leiter konnte indes nicht erreicht werden und auch die Regionalverwaltung von Berg-Badachschan antwortete nicht auf die Fragen von Asia-Plus.

Die Mobilfunkanbieter wollen sich zur Situation überhaupt nicht äußern. Sie antworten nur kurz: „Es hängt nicht von uns ab“, „Wir kommentieren die Situation nicht. Bei Fragen wenden Sie sich bitte an die zuständigen Aufsichtsbehörden“ oder „Die Lösung dieser Situation liegt nicht in unserer Zuständigkeit.“

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Eine Quelle in einem der Kommunikationsunternehmen teilte mit, dass die Behörden in jeder Region selbst und ohne Hilfe von Mobilfunkanbietern das Internet abschalten können. „Warum haben sie das Einheitliche Kommunikationszentrum geschaffen? Das gesamte Internet wird in Tadschikistan über dieses Zentrum kontrolliert und die Behörden können es nutzen, um das Internet oder die Mobilfunkverbindung in jeder Region abzuschalten. Früher mussten sie die Betreiber darum ,bitten´“, erklärt die Quelle.

Ein anonymer Experte, der das Einheitliche Kommunikationszentrum sowie das Kommunikationssystem in Tadschikistan gut kennt, sagt, dass nur die Strafverfolgungsbehörden die Möglichkeit haben, die Mobilfunkverbindung und das Internet einzuschränken.

Inwieweit ist das legal?

Gemäß den Änderungen des Gesetzes „Über die rechtliche Regelung des Ausnahmezustands“ von 2015 können die zuständigen Behörden alle Arten der Telefonkommunikation deaktivieren oder die Mobilfunkanbieter auffordern, dies zu tun. In Notfällen kann die Regierung „zum Zweck der Gewährleistung der Sicherheit, einschließlich der Informationssicherheit“ festlegen, den Zugang zum Internet einzuschränken oder einige Websites zu sperren.

Darüber hinaus kann die Kommunikation während Spezialoperationen nicht nur auf dem Territorium der Kriegshandlungen, sondern im ganzen Land abgeschaltet werden. Von einem Ausnahmezustand kann im aktuellen Fall jedoch nicht die Rede sein. Das Abschalten des Internets ist also illegal.

Was ist die Logik?

Der tadschikische Politologe Parwis Mullodschonow sagt, es sei für ihn schwierig, die Logik hinter der Abschaltung zu verstehen. „Mir scheint, dass die Regierung einfach noch keine gemeinsame Position zur Überwindung der Krise entwickelt hat. Vielleicht gibt es mehrere Gruppen, die sich für unterschiedliche Ansätze einsetzen“, erklärt der Politologe gegenüber Asia-Plus.

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„Wenn die Behörden die Situation stabilisieren und die Menschen so schnell wie möglich beruhigen wollen, müssen vor allem die wichtigsten Eigenschaften der Stabilität wieder zum Leben erweckt werden: gute Kommunikationsmöglichkeiten, Abwesenheit von bewaffneten Personen auf den Straßen, offene Märkte und Geschäfte, Restaurants und so weiter. Dies bedeutet keinen Kontrollverlust – es gibt ja die Polizei, mobile Einsatzgruppen und so weiter“, fügt Mullodschonow hinzu.

Manche Expert:innen nehmen an, die Behörden haben Angst davor, dass eine Unmenge von Videos und Fotos von den Protesten veröffentlicht werden. Mulludschonow meint hingegen, dass dies keinen Sinn machen würde: „Weil die gleichen Materialien problemlos auf andere Weise übertragen werden können. Zumindest von Hand zu Hand. Die Menschen verlassen die Region weiterhin auf eigene Faust. Was hindert sie daran, all diese Materialien und Fotos auf diese Weise zu versenden?“

Bachmanjor Nadirow für Asia-Plus

Aus dem Russischen von Robin Roth

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