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Zere Asylbek: “Meine Geschichte wurde politisch”

Mit ihrem neuesten Lied „Kyz“ („Mädchen“ auf kirgisisch) bewegte die Sängerin Zere Asylbek kürzlich die kirgisische Gesellschaft. Darin behandelt die 19-Jährige die Rechte der Frau, sowie deren Rolle in der Gesellschaft und ruft dazu auf, Stereotype über Frauenbilder zu brechen. Novastan sprach mit ihr im Interview.

Zere Asylbek

Mit ihrem neuesten Lied „Kyz“ („Mädchen“ auf kirgisisch) bewegte die Sängerin Zere Asylbek kürzlich die kirgisische Gesellschaft. Darin behandelt die 19-Jährige die Rechte der Frau, sowie deren Rolle in der Gesellschaft und ruft dazu auf, Stereotype über Frauenbilder zu brechen. Novastan sprach mit ihr im Interview.

Die Sängerin Zere Asylbek stieß neulich eine große Polemik rund um die Rolle der Frau in der kirgisischen Gesellschaft an. In ihrem neuen Lied spricht die junge Frau offen über die Ungleichheit zwischen Mann und Frau. Es ist aber vor allem ihr Auftreten im Musikvideo, in dem sie mit einem offenen Blazer und einem BH darunter zu sehen ist, das die Polemik verschärfte.

Während ein Teil der Gesellschaft ihre mutige Aktion begrüßte, kritisierten Andere ihren Clip als reine Provokation. Die sozialen Netzwerke überschlugen sich mit Kommentaren, die junge Sängerin erhielt sogar Morddrohungen auf Instagram. Novastan sprach mit Zere über die Gründe für ihr Engagement.

Novastan: Kannst du uns etwas über deinen Werdegang erzählen?

Zere Asylbek: Ich habe Sprachwissenschaften an der Manas-Universität studiert. Im dritten Jahr habe ich aber entschieden, mein Studium abzubrechen. Mir wurde klar, dass es nicht das war, was ich wirklich tun wollte. Ich wollte mich künstlerisch betätigen. Heute bin ich Englischlehrerin in Teilzeit und engagiere mich nebenher künstlerisch.

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Mit 16 wurde ich mir über bestimmte Ungleichheiten bewusst, die in der Welt existieren. Seitdem habe ich entschieden, mich in NGOs und Vereinen zu betätigen. Ich bin der Organisation AIESEC beigetreten, die mich bereits vieles gelehrt hat. Die dort tätigen Volontäre organisieren Projekte zu sozialen Zwecken und helfen jungen Menschen Arbeitserfahrungen durch Praktika oder Volontariate zu sammeln. So können sie Erfahrungen auch außerhalb nationaler Grenzen sammeln, um sich so von Stereotypen zu befreien und zu einer besseren Welt beitragen.

Was hat dich zur Musik getrieben?

 Ich hatte einen Moment der Eingebung, der mich dazu gebracht hat, Lieder zu schreiben. Eine amerikanische Freundin hat mich ermutigt: „Du solltest Sängerin werden. Wenn du selbst Lieder schreibst, wärst du sehr gut in dem was zu machst“. Ich hatte dann dieses Bedürfnis Lieder zu verfassen, die sich mit den Problemen der Gesellschaft auseinandersetzten, wie dem mangelnden Wirtschaftswachstum, oder der Ungleichheit zwischen den Geschlechtern. Das sind die zwei Probleme, die mich am meisten beunruhigen.

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Wie hast du das musikalische Projekt um “Kyz” konzipiert?

Soziale Projekte werden normalerweise weniger für die Masse ausgelegt, sondern nur für jene Menschen, die bereits ein soziales Bewusstsein für diese Themen entwickelt haben. Ich habe mich für einen anderen Weg entschieden, damit mein Projekt eine Debatte auslöst. Deshalb habe ich mich für etwas Provokatives entschieden, damit die Leute auf diese Problematik der Geschlechterungleichheit reagieren und darüber nachdenken.

Unterstützt dich deine Familie in deinem Engagement?

Meine Familie ist sehr offen und hat mich mit dieser freiheitlichen Einstellung erzogen. Das Problem ist nicht meine Familie, sondern die Gesellschaft. Manche denken, dass ich schmerzhafte Erfahrungen, wie etwa sexuelle Belästigung, erlitten habe. Aber das ist nicht der Fall. Es gibt eine ganze Reihe an Problemen, die mir im Alltag begegnen. Zum Beispiel sagte ein Taxifahrer vor drei Tagen zu mir „Du denkst langsam, weil du eine Frau bist“. Das hat mich sehr geärgert, aber ich habe nicht darauf geantwortet, da ich mir einredete, dass es nicht der richtige Moment dafür sei.

Dein Vater hat dich öffentlich unterstützt, indem der erklärte, du seist „eine Freidenkende in einem freien Kirgistan“. Was denkst du dazu?

Das hätte ich mir nicht erwartet, und am Anfang hat es mich aufgeregt, da das nicht meine Absicht war. Dann habe ich aber verstanden, dass er mich nur beschützen wollte. Mir wurde auch bewusst, dass es sich nicht bloß um meine Geschichte handelt, sondern um die Geschichte jeder beliebigen Beziehung zwischen einem Vater und einer Tochter. Diese Episode erlaubt es, sich die Frage darüber zu stellen, wie Väter ihre Töchter erziehen und respektieren. Die Reaktion der Gesellschaft darauf hat mich überrascht, da alle Väter sich so verhalten sollten. Das ist aber nicht der Fall. Dieses Erlebnis hat mir die Augen dafür geöffnet und mir klar gemacht, dass ich nun umso mehr die Aufmerksamkeit auf meine Geschichte lenken muss.

Hoffst du darauf, auch staatliche Autoritäten zu einer Reaktion zu bewegen?

 Meine Geschichte wurde politisch. Diese Art von Bewegung ist wichtig für eine Gesellschaft. Die Regierung versteht, dass es junge Frauen und Männer gibt, die anders denken und die bereit sind, ihre Position zu verteidigen.

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Die Mitglieder der Regierung bilden eine Gruppe wie jede andere, ob NGOs, Unternehmen, Schulen oder Universitäten. Eine Gruppe allein wird kaum Veränderung bringen. Jeder Einzelne muss sich mit beteiligen. Natürlich, öffentliche Autoritäten können stärker für Fragen der Gleichstellung der Geschlechter sensibilisieren, wir müssen aber alle dazu beitragen.

Wie kann deiner Meinung nach der Kampf für Gleichheit mit den Traditionen vereinbart werden?

Vielleicht klingt das utopisch. Aber ich kämpfe für eine Gesellschaft, in der die Geschlechter, die Religionen und die Rassen auf Augenhöhe miteinander diskutieren und gemeinsam arbeiten. Es spielt keine Rolle, ob sie nun einen Hidschab trägt oder kurze Hosen. Was zählt, ist, dass man sich besser kennen lernt. Das ist meine Vision.

Was sind deine Pläne für die Zukunft?

Ich möchte gerne eine professionelle Künstlerin werden. Nicht nur in der Musik, sondern auch im Theater, beim Tanz und in der visuellen Kunst. Ich versuche gerade, mich in eine Kunstuniversität in England einzuschreiben. Ich will nicht ausschließlich in Kirgistan arbeiten, denn für mich ist die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern ein globales Problem. Ich möchte wirklich einen Beitrag zur Verbesserung der Welt leisten, zu den sozialen Problemen, und zwar mit Hilfe der Kunst. Ich bin zwar eine soziale Aktivistin, verwende allerdings die Kunst als mein Instrument.

Das Interview führte Aemiliya Ydyrysova

Redakteurin für Novastan

Übersetzung von Julia Tappeiner

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