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Vier Fragen zum Anschlag in Sankt Petersburg

Fünf Tage nach der Explosion in einer U-Bahn in Sankt-Petersburg gibt es noch keine klaren Hinweise zum Hintergrund des Anschlags. Es hat sich noch keine Organisation zur Tat bekannt. Dennoch dreht sich die Berichterstattung fast ausschließlich um den „islamischen Extremismus aus Zentralasien“.

Sankt Petersburg
Sankt Petersburg

Fünf Tage nach der Explosion in einer U-Bahn in Sankt-Petersburg gibt es noch keine klaren Hinweise zum Hintergrund des Anschlags. Es hat sich noch keine Organisation zur Tat bekannt. Dennoch dreht sich die Berichterstattung fast ausschließlich um den „islamischen Extremismus aus Zentralasien“.

Am 3. April traf eine Explosion die U-Bahn in Sankt-Petersburg. Wie sich herausstellte, explodierte eine Bombe aus dem Rucksack von Akbardschon Dschalilow, einem in Osch (Kirgistan) geborenen russischen Staatsbürger.

Bisher hat sich noch keine Organisation zu dem Anschlag bekannt, der 14 Menschen das Leben gekostet hat und 49 verletzt hat. Der Anschlag hat Zentralasien plötzlich ins Zentrum der medialen Aufmerksamkeit gebracht. Wir bieten einen Überblick über die Tat und den Hintergrund des vermeintlichen Täters.

Was ist passiert?

Nach Informationen der Nachrichtenwebseite Meduza.io, geschah die Explosion gegen 14 Uhr 40 Ortszeit zwischen den U-Bahnstationen Sennajaplatz und Technologisches Institut.

Nach aktuellen Angaben hat der Anschlag 14 Menschen das Leben gekostet, von denen drei an den Folgen ihrer Verletzungen im Krankenhaus starben, 49 Menschen wurden verletzt, manche davon schwer. Unter den Opfern sind drei zentralasiatische Staatsbürger, aus Tadschikistan, Usbekistan und Kasachstan. Der Kasachstani Maksim Aryschew war zwischenzeitlich verdächtigt worden, den Anschlag verursacht zu haben, was aber kurze Zeit später wiederlegt wurde.

Die Explosion ereignete sich, während eines Aufenthaltes des russischen Staatschefs Wladimir Putin in der Stadt. Sie wurde schnell als Terroranschlag bezeichnet. Eine zweite Bombe wurde in der U-Bahnstation Wosstanija-Platz gefunden und von den Behörden entschärft. Laut der russischen Tageszeitung Kommersant hatte der russische Geheimdienst im Voraus Informationen über einen drohenden Angriff, die allerdings zu vage waren. Durch Sperrung aller verdächtiger Sim-Karten konnte ein zweiter Anschlag vermutlich verhindert werden.

Wer ist Akbarschon Dschalilow, der vermeintliche Terrorist?

Bereits früh am 4. April erklärte der kirgisische Geheimdienst GKNB, bei dem Attentäter handele sich um Akbarschon Dschalilow, einen 22-jährigen russischen Staatsbürger, der in Osch, der zweitgrößten Stadt Kirgistans, geboren wurde. Auch Dschalilows Eltern haben die russische Staatsbürgerschaft. Die russischen Ermittler bestätigten die Information erst gegen Abend desselben Tages.

Die Ermittlungen ergaben, dass Dschalilow bei der Explosion ums Leben gekommen ist. Seine DNA wurde auch auf der Tasche mit der zweiten Bombe gefunden. Dabei ist noch unklar, ob er die Bombe selbst gezündet hat oder sie aus der Distanz aktiviert wurde.

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Dschalilows Nationalität, Herkunftsland und Staatsbürgerschaft wurden in der Berichterstattung oft verwechselt. Wie in der gesamten ehemaligen Sowjetunion wird in Kirgistan zwischen der Nationalität, also Abstammung einer Person, und ihrer Staatsbürgerschaft unterschieden. Viele Menschen definieren sich eher über ihre Nationalität als über ihre Staatsbürgerschaft.

Dschalilow kam aus der kigisischen Stadt Osch, war usbekischer Nationalität und besaß die russische Staatsbürgerschaft. Seinen russischen Pass erhielt er mit 16 auf Antrag seines Vaters beim russischen Konsulat in Osch. Nach Angaben der kirgisischen Behörden hat er nie einen kirgisischen Pass besessen.

Osch Kirgistan
Dschalilows Herkunftsort Osch im Süden Kirgistans

Im Jahr 2011, folgte Dschalilow seinem Vater nach Russland, während seine Mutter und seine jüngere Schwester weiter in Osch lebten. Er arbeitete dort laut verschiedenen Medien erst in einem Suschi-Restaurant und half zuletzt in einer Autoreparatur aus. Womöglich zog er als Folge des Konflikt zwischen Kirgisen und Usbeken, der Osch im Juni 2010 erschütterte, nach Russland. Dschalilow Vater kehrte schließlich nach Osch zurück. Laut Angaben seiner Eltern, war Dschalilow zuletzt Ende Februar diesen Jahres zu Besuch in seiner Heimat.

Ehemalige Nachbarn und seine Klassenlehrerin beschreiben ihn als einen sanften Jungen und einen „normalen Typen“. Auch seinen ehemaligen Mitarbeitern ist er nicht als sonderlich religiös aufgefallen. Auf seinem Profil beim russischen sozialen Netzwerk Odnoklassniki folgte er lediglich zwei moderaten muslimischen Organisationen.

Einigen Medienberichten zufolge verschwand Dschalilow für eine gewisse Zeit, nachdem er 2015 seine Arbeit im Suschi-Restaurant gekündigt hatte. Zu der Zeit könne er sich möglicherweise radikalisiert haben. Anderen Berichten zufolge soll er im Februar von Extremisten in Osch angeworben worden sein.

Wo stehen die Ermittlungen?

Bereits am 4. April wurden Dschalilows Verwandte in Osch vom kirgisischen Geheimdienst befragt. Am 5. April wurde seine petersburger Wohnung von den russischen Ermittlern durchsucht.

Das Ermittlungskomitee kündigte ebenfalls die Festnahme von acht zentralasiatischen Staatsbürgern an, die verdächtigt werden, in Verbindung mit dem Attentat zu stehen. Nach Angaben des Ermittlungskomitees hätten die Verdächtigen versucht, Menschen aus Zentralasien „für die durchführung terroristischer Straftaten“ zu anzuwerben.

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Am 6. April wurde außerdem eine Bombe in einer Wohnung in einem Vorort von Sankt-Petersburg entschärft, wie Meduza.io berichtet. Die Wohnung wurde laut Quellen von Reuters als erste Etappe für Arbeitsmigranten aus Osch genutzt. Die Insassen wurden alle festgenommen wurden. Ob eine Verbindung zu dem Anschlag am 3. April besteht, ist allerdings noch unklar.

Einem Bericht von Kloop.kg zufolge, wurde Dschalilows minderjähriger Bruder Achror drei Tage in Folge in Osch von den kirgisischen Sicherheitskräften befragt. So lange, dass sich seine Verwandten um seine Gesundheit sorgen mussten. Auch von kirgisischer Seite sind noch keine Ermittlungsergebnisse bekannt.

Angesichts der dünnen Beweislage scheint es verfrüht, den Anschlag mit einem „zentralasiatischen Islamismus“ in Verbindung zu bringen, wie es momentan in vielen Medien getan wird. Die Ermittler konnten noch keine eindeutige Verbindung zu islamistischen Organisationen im Nahen Osten oder in Kirgistan feststellen. Wie Farangis Najibullah von RFE/RL bestätigt, „[gibt es] noch keinen öffentlichen Hinweis darauf, dass der Anschlag etwas mit religiösem Fundamentalismus zu tun habe“. Die verbreiteten Annahmen, dass zentralasiatische Arbeitsmigrante besonders Empfänglich für religiösen Extremismus seien, werden außerdem von Zentralasienvorschern immer wieder wiederlegt.

Wie war die Reaktion in Kirgistan?

Kirgisische Nutzer sozialer Medien konnten im Laufe des 4. Aprils den Lauf der Ermittlungen verfolgen, während sich der Verdacht auf Dschalilow bestätigte. Der politische Aktivist Edil Bajsalow kritisierte die frühe Ankündigung des GKNB bei Twitter: „wegen des Unprofessionalismuses des GKNB hat das Image von Kirgistan gestern einen unverhältnismäßig großen Schaden erlitten“, schrieb er am 5. April.

Botschaft Russland Kirgistan
„Piter (Sankt-Petersburg), wir sind bei dir“ – vor der russischen Botschaft in Bischkek wurden Blumen abgelegt.

In einem weiteren, mehrmals geteiltem Tweet, einem Kommentar von Ivar Dale vom Norwegischen Helsinki Komitee: „Sogar CNN hat ihn [Dschalilow] einen ‚kirgisischen staatsbürger‘ genannt. Hätte er eine olympische Medaille gewonnen, wäre er Russe. Hierfür ist er Kirgise. Für die Kirgisen ist er Usbeke. Für die Usbeken… wenigstens ein kirgistanischer Usbeke.

Im kirgisischen Parlament wurde am 6. April indes die Sicherheit der kirgisischen Staatsbürger in Russland angesprochen. Nach dem Anschlag werden Kirgisen in Russland verstärt kontrolliert und fürchten sich teilweise, arbeiten zu gehen, wie der Vorsitzende der kirgisischen Diaspora in Russland dem Internetportal zanoza.kg berichtete.

Der Fokus auf Zentralasien scheint in der Hinsicht für die russischen Behörden vor allem ein willkommener Weg zu sein, von ihrer eigenen Verantwortung abzulenken.

Die Redaktion von Novastan

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