In Kirgistan kommunizieren immer mehr Menschen mit Smartphone-Apps. Der Informatikstudent Bekbolot Nurmanbetow beschreibt, wie sich das auf die Sprache auswirkt.
WhatsApp, Telegram, die Chat-Funktionen von Instagram und Facebook – In Kirgistan sind Kommunikations-Apps sehr populär. Beim Chatten schreiben viele Nutzer Abkürzungen, Slang und verändern Grammatikregeln. Aus der ursprünglichen Sprache entsteht so unter dem Einfluss von Mediennutzung ein neuer Dialekt. Die ungarische Linguistin Ágnes Veszelszki nennt das einen „Digilect“.
Im englischen Digilect gibt es Abkürzungen, die auch in Deutschland bekannt sind: “ASAP – as soon as possible”, “ILY – I love you” oder “LOL – laughing out loudly”. Die meistverwendete Abkürzung im kirgisischen Digilect ist “SLM – Salam (Hallo)”. Im russischen Digilect gibt es „CHOR – chorosho (gut)“ oder „SPS – spasibo (danke)“.
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Die ersten Computer kamen in den 1960er Jahren in die damalige Kirgisische ASSR. Die Digitalisierung begann aber erst wirklich im Jahr 1991. Damals stattete das Amerikanisch-Sowjetische Projekt „Pilot-Schulen“ 20 Schulen mit Computerklassen aus. Nach der Unabhängigkeit Kirgistans nahm die Anzahl der PCs stetig zu, wurden die ersten Informatikbücher auf Kirgisisch publiziert und wurde das Land ans weltweite Netz angeschlossen. Heute nutzt etwa ein Drittel der Bewohner das Internet und etwa 21 Prozent sind in sozialen Medien aktiv. Von 2017 bis 2018 nahm die Zahl der Social-Media-Nutzer um 117% zu und wird in den kommenden Jahren wahrscheinlich noch weiter steigen.
Kirgisische Buchstaben werden ersetzt
Weil immer mehr Menschen mit Apps kommunizieren, verändert sich die ganze kirgisische Sprache. Um beim Tippen Zeit zu sparen werden im kirgisischen Digilect Wörter und Sätze abgekürzt. Aus “bara dschatam (ich komme)” wird “bartam”, aus „ooba (ja) wird “ova”.
Das kirgisische Alphabet enthält drei einzigartige kyrillische Buchstaben „ө – ö“, „ү – ü“ und „ң – ng“. In der kyrillischen Standarttastatur auf Android und iOS Smartphones sind diese Symbole nicht enthalten. Aus Bequemlichkeit nutzen viele Nutzer nicht die kirgisische Tastatur, sondern die russische. Die kirgisischen Buchstaben ersetzen sie, „ө“ wird „о“, „ү“ wird „у“, „ң“ wird „н“. Obwohl es korrekt “Emne kylyp dschatasyng (Wie geht es dir?)” heißt, schreiben viele „Ne kyltasyn?” oder “Ne kyltan?”. Viele Menschen fangen an, solche Abkürzungen auch auf offiziellen Formularen zu schreiben oder beim Sprechen zu benutzen.
Durch die Verwendung von sozialen Medien entstehen auch neue Begriffe, Ágnes Veszelszki nennt sie „Netologismen“. Ein kirgisisches Beispiel ist „инстадостор – instadostor (Instagramfreunde)“ aus „Instagram“ und „dostor (Freunde). Für manche Konzepte und Begriffe in sozialen Medien gibt es keine kirgisische Übersetzung. So heißt es im kirgisischen Digilect „лайк басуу – like basuu (etwas liken)“ und „хештег койуу – hashtag koyuu (Hashtag schreiben)“.
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Wenig Nachfrage nach kirgisischen Apps
Dieses Phänomen beschäftigt auch Erkebek Abdrachman uulu. Der Informatikstudent produziert Informatik-Tutorials auf Kirgisisch für YouTube. Dort erklärt er z. B., wie man das Betriebssystem Ubuntu installiert. „Manchmal ist es schwierig, Begriffe und Definitionen aus der Informatik zu erklären. Übersetzen funktioniert nicht. ‚Framework‘ bleibt z. B. im Kirgisischen einfach ‚framework, “ sagt er.
Viele Menschen in Kirgistan sind zweisprachig und benutzen je nach Kontext abwechselnd Kirgisisch und Russisch. Geht es um Technik wird meistens Russisch verwendet, weil es in dieser Sprache die notwendigen Begriffe gibt, im Kirgisischen aber nicht. Erkebek studiert am Kirgisisch-Deutschen Institut für Angewandte Informatik in Bischkek. Unterrichtssprachen sind dort Russisch, Deutsch und Englisch. Er denkt, dass mobile Anwendungen meistens auf Russisch entwickelt werden, weil es zu wenige Experten gibt, die kirgisischsprachige Anwendungen herstellen könnten. Weil so viele Menschen in Kirgistan Russisch können, bleibt die Nachfrage nach Programmen in Kirgisisch gering.
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Informatik-Tutorials für die Regionen
Auch Erkebek macht seine Tutorials nicht für seine eigenen Freunde und Kommilitonen. „Im Allgemeinen sind die für sie nicht nützlich, alle können Englisch und Russisch. Aber in den ländlichen Regionen gibt es viele Menschen, die nicht so gut Russisch sprechen. Ich hoffe, meine Videos helfen diesem Publikum“, sagt er.
Den Einfluss der Digitalisierung auf die kirgisische Sprache sieht er eher negativ. „Es gibt Neologismen, Sprachvermischung und Slang, der die Struktur der Sprache zerstört. Obwohl meine Videos nicht so populär sind, möchte ich versuchen zur Entwicklung der kirgisischen Sprache beizutragen.“
Bekbolot Nurmanbetov
Student am Kirgisisch-Deutschen Institut für Angewandte Informatik in Bischkek
Der Text ist im Rahmen des Projekts „Digitalisierung in Kirgistan“ entstanden. DAAD-Sprachassistent Folke Eikmeier erarbeitete im Sommersemester 2019 mit Studierenden des INAI journalistische Artikel zu diesem Thema.
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Enders, 2019-07-9
Sehr schön beobachtet! Werde ich in meine Vorlesungsreihe „Wissenschaft – Sprache – Gesellschaft“ aufnehmen sowie unseren Linguisten und Informatikern empfehlen. Den Schaden für die Nationalsprache halte ich ebenfalls für bedenklich. Tausche mich gern mit den Studenten in Bischkek aus.
Peter Enders, z. Z. Prorektor für Internationalisierung an der Taraser Staatlichen Pädagogischen Universität, enders.kbd@gmx.de
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