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Letzter Halt: Bischkeks Trolleybusse vor dem Aus

Der Bürgermeister von Bischkek hat angekündigt, dass die Trolleybusse der Stadt ausgemustert und durch Elektrobusse ersetzt werden. Eine Entscheidung, die viele Bürger:innen kritisieren.

Bischkeks Trolleybusse stehen vor dem Aus, Photo: A. Savin / Wikimedia Commons.

Der Bürgermeister von Bischkek hat angekündigt, dass die Trolleybusse der Stadt ausgemustert und durch Elektrobusse ersetzt werden. Eine Entscheidung, die viele Bürger:innen kritisieren.

Sie sind ein vertrautes Bild in den Stadtlandschaften der Länder der ehemaligen Sowjetunion: Trolleybusse, auch Oberleitungsbusse genannt, die mithilfe von Oberleitungen nahezu geräuschlos Wohn- und Industriegebiete miteinander verbinden. In der kirgisischen Hauptstadt Bischkek sollen sie nun durch Elektrobusse ersetzt zu werden. Entsprechende Gerüchte kursierten seit dem Frühjahr. Im Juli hat sie Bischkeks Bürgermeister Aibek Dschunuschalijew bestätigt.

„Wir tun alles, um komfortable Bedingungen für die Bürger zu schaffen. Wir entfernen nicht nur Werbetafeln, sondern auch Trolleybuslinien. […] Trolleybusse können nur auf einer Strecke verkehren und wir können sie nicht vorübergehend auf andere Straßen umleiten. Elektrobusse sind mobiler, und um die Stauprobleme in der Stadt zu lösen, kann ihre Route geändert werden. Mit Trolleybussen ist das unmöglich“, erklärte der Bürgermeister gegenüber der staatlichen Agentur Kabar.

Eine Entscheidung, die bei vielen Bürger:innen Unverständnis hervorruft. Bereits vor der Bestätigung durch das Rathaus iniitierten einige die Kampagne „Rettet den Trolleybus“. Radio Azattyk, der kirgisische Dienst von Radio Free Europe, schrieb darüber im Mai dieses Jahres.

Das Kollektiv startete eine Petition und schickte einen Brief an Kirgistans Präsidenten Sadyr Dschaparow. Doch vergeblich. Im August waren bereits 14 Kilometer des Netzes abgebaut, berichtet Kaktus Media. Das Rathaus hatte im Juni mit den Arbeiten begonnen.

„Illegaler Abbau“

Als Begründung nennt der Bürgermeister den Rückgang der Fahrgastzahlen von acht Millionen im Jahr 2023 auf fünf Millionen im Jahr 2024. Doch die Aktivist:innen kritisieren, dass er diese Zahl bewusst zu klein schätze. Der Bürgermeister verweist ebenfalls auf die „exorbitanten“ Kosten für die Wartung der Busse, die sich auf umgerechnet 2,1 Millionen Euro belaufen würden. Außerdem weist er auf die Ästhetik der Hauptstadt hin, die künftig einen „offenen Himmel“, also frei von Kabeln, haben solle.

Im August ging der Bürgermeister während einer Stadtratssitzung auf die Situation des öffentlichen Nahverkehrs in Bischkek ein. Wie Kaktus Media berichtete, bekräftigte er die Notwendigkeit eines öffentlichen Nahverkehrs und erinnert daran, dass die Stadt über ein Netz von 1.000 Bussen verfügt. „Bei den Trolleybussen sprechen wir von der Schaffung eines „offenen Himmels“. Es war Teil unseres Programms. Wir dürfen die heutige Dynamik nicht stoppen. […] Es ist die Politik des Staates, die Politik der Führer des Landes, es ist die Politik des Rathauses von Bischkek“, so der Bürgermeister weiter.

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Laut der Aktivistin Bermet Borubajewa, Gründerin der Initiative BishkekSmog, könne „die unansehnliche Natur“ von Trolleybus-Kabeln kein Argument sein. „Solche Entscheidungen sollten in öffentlichen Anhörungen getroffen und in die Verkehrsstrategie einbezogen werden“, betont sie. Die Aktivistin erinnert daran, dass die Rückbauarbeiten noch vor dem Ende der öffentlichen Anhörungen begonnen haben.

Gesetzlich festgeschrieben ist eine Mindestfrist von einem Monat für öffentliche Debatten über Themen, die die Interessen der Bürger:innen berühren. Rechtlich gesehen hätte das Rathaus seine Arbeit frühestens am 6. Juli aufnehmen dürfen. Die Aktivist:innen haben deshalb rechtliche Schritte wegen „illegaler Demontage von Infrastruktur“ eingeleitet, berichtet Kaktus Media.

Grüne Darlehen in Frage

Bermet Borubajewa erinnert auch daran, dass ein Darlehen der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBWE) in Höhe von 23,5 Millionen Euro zwischen 2016 und 2018 den Kauf neuer Trolleybusse und Instandhaltungsarbeiten an einem großen Teil des Netzes ermöglichte. Ein Kredit, dessen Rückzahlung noch läuft, betont sie. Darüber hinaus stelle die Entscheidung des Bürgermeisters, die ausgemusterten Trolleybusse in andere Städte des Landes zu verlegen, ihrer Meinung nach einen „eklatanten Verstoß“ gegen das EBWE-Darlehen dar, das der Stadt Bischkek gewährt wurde.

Nach Angaben des Kollektivs sei die Demontage der Trolleybusse von Bischkek eine Auflage der Asiatischen Entwicklungsbank (ADB) gewesen, von der die Stadt im Dezember 2021 ein weiteres Darlehen in Höhe von umgerechnet 45 Millionen Euro für den Kauf von 120 Elektrobussen sowie Ladestationen erhalten hatte. Diese Busse wurden bei einem chinesischen Unternehmen bestellt. Vertreter der ADB erklärten, dass die Bedingungen des Darlehens nicht den Ersatz eines Transportmittels durch ein anderes vorsähen, und dass die Bank sich von der Entscheidung des Rathauses distanziere, berichtet das kirgisische Nachrichtenportal 24.kg.

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Die vom Rathaus geplanten fünf Buslinien seien als Ersatz für die Trolleybusse nicht ausreichend, um den Bedürfnissen der Bevölkerung gerecht zu werden, sagen die Aktivist:innen. Sie schlagen vor, dass die Busse das bestehende Angebot ergänzen und in Stadtteilen verkehren sollten, die nicht von Trolleybussen bedient werden.

Bischkek wächst

Die erste Trolleybus-Linie der Stadt wurde am 13. Januar 1951 eingeweiht. Frunse, so der damalige Name der Stadt, hatte zu diesem Zeitpunkt rund 150.200 Einwohner:innen. Nach und nach kamen weitere 10 Linien hinzu. Gleichzeitig erlebte die Stadt eine spektakuläre demografische Entwicklung, die hauptsächlich auf die wachsende Landflucht zurückzuführen ist. Mittlerweile zählt sie rund eine Million Einwohner:innen. Aufgrund der großen Zahl informeller Siedlungen am Rande der Stadt ist die genaue Zahl jedoch unklar.

In den Jahren nach der Unabhängigkeit waren Busse selten und hatten oft Pannen. Der Trolleybus war damals praktisch das einzige öffentliche Verkehrsmittel in der Hauptstadt. Die Stadt verfügt auch über ein ausgedehntes Netz von Kleinbussen, den Marschrutkas. Wie Radio Azattyk im April berichtete, sollen aber auch sie gemäß der Planung der Stadtverwaltung schrittweise aus dem Stadtzentrum verschwinden und durch Elektrobusse ersetzt werden. Pläne zum Bau einer U-Bahn wurden schnell aufgegeben, da das Projekt als zu teuer und zu komplex angesehen wurde.

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Der Bevölkerungszuwachs der Hauptstadt hat auch zu einer explosionsartigen Zunahme von Autos geführt. In Bischkek hat sich ihre Zahl seit 2005 vervierfacht und 90 Prozent der zugelassenen Autos sind über 15 Jahre alt, was zu einer Verdoppelung von Staus und Luftverschmutzung führt.

Frunse war eine der grünsten Städten der Sowjetunion, erinnert das Nachrichtenportal Vesti.kg. Aber heute gehört Bischkek zu den Städten, die vor allem im Winter am stärksten von Luftverschmutzung betroffen sind. Da die kirgisische Hauptstadt am Fuße der Berge liegt, ist die Belüftung von Natur aus schlecht. Der Smog in Bischkek führt zu einem Anstieg von Atemwegserkrankungen, die zwischen 2011 und 2015 um 20 Prozent zugenommen haben. Die Zahl vorzeitiger Todesfälle aufgrund von Luftverschmutzung wird auf 400 geschätzt.

Ein Seilbahnprojekt

Anfang September berichtete 24.kg, dass die Städte Osch und Naryn ihre ersten Trolleybusse aus der Hauptstadt erhalten hätten. Dies gehe aus Mitteilungen der jeweiligen regionalen Pressedienste von Osch und Naryn hervor. Das Rathaus von Bischkek hat zu diesen Transfers keine offizielle Mitteilung gemacht.

Das Argument, den Himmel der Stadt von Kabeln zu befreien, erscheint den Einwohner:innen von Bischkek zweifelhaft , da der Vizebürgermeister der Hauptstadt, Dschyrgalbek Schamyralijew, im April 2023 den Bau einer Seilbahn ins Gespräch brachte. Geplant sei eine sechs Kilometer lange Strecke, hauptsächlich entlang des Manas- und des Tschingis-Aitmatow-Boulevards, auf der täglich bis zu 100.000 Fahrgäste befördert werden sollen. Die geschätzten Baukosten betragen umgerechnet zwischen 45 und 54 Millionen Euro.

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Im Juli wies Kaktus Media darauf hin, dass bereits eine Kooperationsvereinbarung zwischen der Stadtverwaltung von Bischkek und einem Schweizer Unternehmen unterzeichnet worden sei. Die Journalist:innen hatten auch Architekt:innen und Stadtplaner:innen interviewt, die über die Machbarkeit des Projekts mehr als ratlos schienen.

Die Nationale Entwicklungsstrategie 2018–2040 legt den Schwerpunkt auf den Verkehr und zielt darauf ab, die kirgisische Hauptstadt an die Standards des modernen städtischen Lebens anzupassen. Bischkek trat 2019 dem „Green Cities“-Programm der EBWE bei. Angesichts des Umweltgebots erscheint die Abschaffung eines zuverlässigen und umweltfreundlichen Transportmittels, gelinde gesagt, paradox.

Eléonore Darasse für Novastan

Aus dem Französischen von Robin Roth

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