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Kirgistans Kulturminister liebäugelt nach Skandalshow mit Zensur

Nach einer umstrittenen Comedy-Show bei YouTube erwägt der kirgisische Kulturminister eine stärkere staatliche Kontrolle von Musikern. Kulturschaffende und Teile der Zivilgesellschaft reagieren empört und kritisierten die quasi abwesende Kulturförderung in Kirgistan.  

Florian Coppenrath 

Kural Tschokojew
Kural Tschokojew

Nach einer umstrittenen Comedy-Show bei YouTube erwägt der kirgisische Kulturminister eine stärkere staatliche Kontrolle von Musikern. Kulturschaffende und Teile der Zivilgesellschaft reagieren empört und kritisierten die quasi abwesende Kulturförderung in Kirgistan.  

Eine Gruppe von Komikern nimmt gespielt einen Gast auf die Schippe. Das in Stand-Up-Kreisen als „Roast“ bekannte Format hat in den letzten Jahren auch im russischsprachigen Raum stark an Popularität gewonnen, vor allem auch durch die Internet-Show „Schto bylo dal’sche“ (kurz TschBD, „Was passierte danach“) mit ihrem Millionenpublikum. Ein kürzlicher Versuch, das Format auch in Kirgistan einzuführen, endete aber im Skandal.

Bereits nach zwei Folgen wurde die vom kirgisischen Pop-Sänger Kural Tschokojew moderierte Show „W pi#du zvezdu“ (in etwa „F#ck den Star“) zum Streitthema in sozialen Medien. Als erste Gäste wurden der einstige The Voice Russia Finalist Kairat Primberdijew und der extravagante Sänger Kairat Kyrgyz bei Shisha und bescheidener Deko in einer Mischung aus Kirgisisch und Russisch in die Mangel genommen.. Vor allem die obszöne Sprache und die als beleidigend empfundenen Scherze bewegten einige Internetnutzer dazu, in dem Format ein Zeichen „gesellschaftlicher Degradierung“ zu sehen oder zum Boykott der Sponsoren aufzurufen.

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In einer Antwort auf die Kritik entschloss sich Tschokojew schließlich das Projekt zu beenden und die Aufnahmen von seinem YouTube-Kanal zu löschen. „Ihre Meinung ist sehr wichtig für mich. Wenn unsere Videos und unsere Inhalte jemanden verletzt haben, bitten wir natürlich um Entschuldigung“, so der Sänger in einer Videobotschaft bei Instagram. Auch Primberdijew nahm eine Videobotschaft auf, um sich für das Video zu entschuldigen.  

Minister droht mit schärferen Gesetzen

Der Skandal erreichte auch Kulturminister Nurdschigit Kadyrbekow, der seine Empörung über die Show ausdrückte. „Leider sehen die Gesetze keine Druckmittel gegen unabhängige Sänger vor. Aber wir werden hoffentlich einen Weg finden, sie zur Moral zu bewegen“, ließ er am 9. Januar über die Facebook-Seite des Kulturministeriums verlauten. Weiter erwog er mögliche Maßnahmen gegenüber Tschokojew und Primberdijew, darunter Sende- und Konzertverbote für die beiden Sänger. Wie die Online-Zeitung Kloop.kg anmerkt, wären das die ersten Verbote dieser Art in der Geschichte des unabhängigen Kirgistans.

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Kadyrbekow sprach sich auch für eine grundsätzlich stärkere staatliche Kontrolle von Musikern aus: „Es wäre nicht schlecht, Sängern für ihre Tätigkeit Lizenzen zu erteilen“, so der Minister, der Hochschulabschlüsse aus den Vereinigten Staaten und Japan besitzt. „Ansonsten wird noch das Ministerium für jeden Unfug von Musikern und Pfeifern beschuldigt.“

Auf Worte folgten Taten. Am 12. Januar erklärte das Kulturministerium, es habe Tschokojew ein 2011 erteiltes Kulturabzeichen aberkannt und der Präsidentenverwaltung vorgeschlagen, den 2017 an Primberdijew erteilten Titel des „Geehrten Künstler der Kirgisischen Republik“ zurückzunehmen. Außerdem sollen die beiden in näherer Zukunft nicht zu staatlich organisierten Kulturveranstaltungen eingeladen werden.  

Aufruhr unter Kulturschaffenden

Die Worte des Ministers stießen wiederum auf ausdrucksstarke Kritik von Seiten der Zivilgesellschaft. In einer öffentlichen Erklärung forderte das „Komitee für gesellschaftliche Kontrolle“ Kadyrbekows Rücktritt: „Die Äußerungen […] sind unheilvoll, ungeheuerlich und in Sachen Gesetzes- und Verfassungswidrigkeit beispiellos in der gesamten Geschichte des souveränen Kirgistan“, so die Nichtregierungsorganisation, die auch daran erinnert, dass Kirgistan durch den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte gebunden ist. „Diese Bedrohung richtet sich nicht nur gegen die Sängerinnen und Sänger, sondern gegen jeden einzelnen von uns“.

Zensur ist wie Giftgas: eine mächtige Waffe, die Sie verletzen kann, sobald der Wind seine Richtung ändert“, erklärt auch die Juristin Sanya Toktogasijewa bei Facebook. Natürlich könne jeder seine Unzufriedenheit mit manchen Ausdrucksformen äußern, aber solche Kritik müsse immer nach dem Prinzip „mehr Wörter statt Schweigepflicht“ erfolgen.

Auch zahlreiche Medienpersönlichkeiten und Kulturschaffende drückten ihren Unmut oder ihre Solidarität mit Tschokojew und Primberdijew aus, wie das Online-Medium Kaktus.media berichtet. „Die Show auf YouTube ist natürlich ein ziemlicher Scheiß. Aber wenn das Kulturministerium auch nur versucht Kairat und Kural ihre Auszeichnungen zu entziehen, gebe ich dem Minister freiwillig alle meine Auszeichnungen zurück“,  so der TV-Moderator Erkin Ryskulbekow.

„Was hat das Kulturministerium für unsere Künstler gemacht?“

Tatsächlich gibt es bislang kaum staatliche Intervention in der unabhängigen Kulturszene in Kirgistan. Jenseits von öffentlichen Einrichtungen spielt das Kulturministerium eigentlich so gut wie keine Rolle, weder durch restriktive Maßnahmen noch durch finanzielle oder materielle Unterstützung. Einzig der Strafgesetzbuchartikel über „Anstiftung zu interethnischem, rassistischem, religiösem oder interregionalem Unfrieden“ wird öfters zum Vorgehen gegen kulturelle Inhalte herangezogen.

Damit unterscheidet sich Kirgistan stark von seinen Nachbarstaaten, die sich durchaus aktiver in ihr kulturelles Leben einmischen. Kasachstan hat zum Beispiel 2017 das umfangreiche Programm Ruhany Jańyrý („Geistige Erneuerung“) ins Leben gerufen, um zeitgenössische kasachische Kultur zu fördern. In Usbekistan gibt es bereits seit den frühen 2000ern ein Kontroll- und Lizensierungssystem für Pop-Musiker, koordiniert von der staatlichen Agentur „O’zbekkonsert“ (bis Anfang 2017 „O’zbeknavo“).

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Auch vor dem Hintergrund der staatlichen Untätigkeit in Sachen Kulturförderung in Kirgistan scheinen die Reaktionen des Kulturministers manchen – milde gesagt – unangebracht. „Wer hat die internationalen Reisen von Kairat Primberdijew bezahlt, als er unser Land gerühmt hat? Das Kulturministerium? Natürlich nicht. Wer investiert in das Schaffen unserer Künstler? Das Kulturministerium? NEIN“, kommentierte die Journalistin Meerim Osmonowa bei Instagram.

Ich habe schon so sehr genug von den Populisten, die an die Macht kommen und Entscheidungen um ihrer selbst willen treffen“, fügt sie hinzu. So wurde Kadyrbekow erst im Oktober zum Kulturminister, als der nun zum Präsidenten gewählte Sadyr Dschaparow an die Spitze der Exekutive kam. „Ist Mat (obszönes Sprachregister in der russischen Sprache) das größte Problem in unserem Land? Vielleicht sollte das Kulturministerium sich mit den Fans von Sadyr beschäftigen, deren jedes zweite Wort Mat ist, und nicht mit unseren Künstlern?

 „Eine Revolution in der Kultur“

Die aktuelle Gesetzeslage in Kirgistan sieht freie Meinungsäußerung als ein Grundrecht vor und verbietet jede Art von Zensur. Das könnte sich aber mit der anstehenden Verfassungsreform ändern. Zumindest sah der erste der der Öffentlichkeit vorgestellte Entwurf der neuen Verfassung ein Verbot für Inhalte vor, die „der Moral und Kultur des Volkes von Kirgistan Schaden zufügen“. Nach dem Referendum für ein präsidentielles Regierungssystem ist die Verfassungsreform nun für den Frühling geplant.

Parallel dazu haben die vergangenen Monate auch eine zunehmende Politisierung in der Popmusik-Szene mit sich gebracht. Der kirgisische Superstar Mirbek Atabekow war zum Beispiel ein prominenter Teilnehmer der Proteste am 5. und 6. Oktober, wo er sich neben jungen Aktivisten für eine Neuerung der politischen Klasse aussprach. Im Sommer erklärte auch Primberdijew, er werde nicht mehr an politischen Wahlkampagnen teilnehmen: „Ich schäme mich dafür, dass ich früher bei Wahlkampf-Konzerten aufgetreten bin. Ich bitte das kirgisische Volk dafür um Entschuldigung.“   

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Laut der jüngsten Erklärung von Tschokojew war auch „W pi#du zvezdu“ ein gesellschaftspolitischer Akt. „Das Hauptziel des Projektes war ein verzweifelter Versuch die Aufmerksamkeit staatlicher Organe auf die Kulturentwicklung in unserem Land zu ziehen“, schreibt er, und verweist darauf, dass selbst das Nationalepos „Manas“ durch Initiativen der Zivilgesellschaft und einzelner Künstler gefördert wird. Statt einer konstruktiven Diskussion rund um das eigentliche Problem habe das Kulturministerium „standardmäßig“ durch Strafen gehandelt.

Ich habe viel zu sagen, viele Vorschläge und Träume! So kann es nicht weitergehen. Ich erkläre eine KULTURELLE REVOLUTION!“, so Tschokojew. „Wie oft habe ich aus eigener Kraft an internationalen Wettbewerben teilgenommen und allein für mein kirgisisches Volk die Flagge geschwungen! Dieses Projekt war ein Schritt, den ich vollziehen musste.“  

Am 18. Januar gab die Kommission für staatliche Auszeichnungen schließlich dem Antrag des Kulturministeriums nicht statt, wie Kloop.kg berichtet. Es gebe „keine gesetzliche Grundlage dafür, dem Sänger Kairat Primberdijew seinen Titel abzuerkennen“, denn er habe gegen kein Gesetz verstoßen.

Kadyrbekow lud am selben Tag die zwei betroffenen Sänger zu einem Treffen ein, wie das Kulturministerium berichtet. Dabei besprachen sie „bei freundlicher Stimmung“ neben der Show auch Projekte zur Förderung kirgisischer Kultur im Ausland.

Florian Coppenrath
Novastan.org

Edit (18.1.2020): Die zwei letzten Absätze über den Ausgang des Skandals wurden hinzugefügt.

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