In einem Interview mit Novastan.org spricht die Menschenrechtsaktivistin und Präsidentschaftskandidatin Rita Karasartowa über ihre Sorgen zur aktuellen politischen Lage in Kirgistan.
Rita Karasartowa leitet das Institut für gesellschaftliche Analysen, eine Organisation, die Zivilparteien in juristischen Prozesses begleitet und die Durchführung der laut der neuen Verfassung von 2011 geplanten Justizreform verfolgt. Sie ist außerdem die erste Frau, die ihre Kandidatur zur Präsidentschaftswahl im Oktober 2017 erklärt hat.
Mit einem engen Budget, das sie über ein Crowdfunding zusammenbringen will, möchte die Menschenrechtsaktivistin zeigen, dass Kirgistan keinen starken oder reichen Präsidenten braucht. Die aktuelle Regierung greife zu weit in die Zivilgesellschaft ein, so die Präsidentschaftskandidatin.
Novastan.org: Was hat Sie dazu bewegt, sich als Präsidentin zur Wahl zu stellen?
Rita Karasartowa: In Kirgistan verschwenden wir unheimlich viel Geld für die Wahlen. Es gibt den Mythos, dass nur Oligarchen eine Wahlkampagne durchführen können. Viele junge Leute versuchen es nicht einmal, weil die denken, dass ihnen das Geld dazu fehlt.
Ich will beweisen, dass man die Wählerstimmen nicht immer kaufen kann. Kirgistan ist müde. Wenn unsere Mitbürger an die Wahlurnen kommen, fragen sie sich: „Für wen kann ich wählen? Wer unter ihnen ist ehrlich? Warum sind es immer dieselben?“
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Außerdem nehmen nur sehr wenig Frauen an den Wahlen teil. In unserer Gesellschaft denkt man, dass der Mann der Chef ist und die Frau zuhause bleiben muss. Dabei haben in der Geschichte unseres Landes Frauen bereits die Staatsführung übernommen und dabei sehr gute Arbeit geleistet. Wir wollen zeigen, dass es möglich ist.
In welche Richtung bewegt sich Kirgistan Ihrer Meinung gerade?
Wir bewegen uns von einer Demokratie hin zu einem Totalitarismus. Die ganze Macht konzentriert sich in den Händen des Präsidenten. Es steht zwar nicht in der Verfassung, aber der Präsident hat sich aller juristischen und polizeilischen Institutionen bemächtigt, wie auch des Nationalen Sicherheitsdienstes (GKNB).
Der Präsident kann jeden Regierungszweig leiten. Und weder das Parlament, noch die Gerichte sind bereit, sich dagegen einzusetzen. Es gibt keine Gewaltenteilung, daher spreche ich von einem autoritären Regime.
Sie meinen also, die politische Lage in Kirgistan habe sich unter Almasbek Atambajew verschlechtert?
Ja. Nach der Revolution im April 2010 hat Kirgistan eine demokratischere Verfassung verabschiedet, die Regierung hatte aber keine Zeit, sie durchzusetzen.
Was beunruhigt Sie am meisten in der heutigen kirgisischen Politik?
Ich sorge mich sehr um die Rolle des Parlaments in Kirgistan. Ich würde mir wünschen, dass es sich aufrichtet und dass wir eine richtige parlamentarische Republik werden, mit einem schwächeren Präsidenten. Aber unsere Politiker machen alles, um das präsidentiell geprägte Regime zu erhalten. So leben wir weiter wie früher, in einem nicht sehr demokratischen Land.
Welche Probleme würden sie gerne lösen?
Alle unsere Politiker sagen, dass wir einen starken Präsidenten brauchen, der alle Entscheidungen treffen kann. Ich würde vor allem gerne zeigen, dass unser Problem gerade an diesem starken Präsidenten liegt, der alles weiss und alles kann. Ich möchte zeigen, dass wir uns dann entwickeln können, wenn der Präsident seine Macht an das Parlament und an andere Institutionen abgibt, wenn er auf seine Kontrolle über die Justiz verzichtet und dem Premierminister mehr Freiheiten zugesteht.
Denken Sie, dass die kommenden Wahlen fair ablaufen werden?
Die Opposition ist schon dadurch geschwächt, dass ihr wichtigster Kandidat (Ömürbek Tekebajew, Anm. d. Red.) im Gefängnis sitzt. Die Regierung schüchtert die kleinen Parteien ein und unsere jungen Kandidaten sind bereit, die Politik von Atambajew weiterzuführen. Das finde ich am traurigsten.
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Ich habe starke Zweifel daran, dass diese Wahlen fair ablaufen werden. Da unser Präsident so viel Macht hat, sind unsere Kandidaten bereit, den Kopf zu senken und alles zu akzeptieren, um an die Macht zu kommen.
Was denken sie über die jüngsten Prozesse gegen die Presse und gegen Menschenrechtsaktivisten?
Wenn die Gerichte gesetzeswidrige Urteile fällen, muss die neue Regierung im Oktober daran etwas ändern. Heute hängen unsere Gerichte ganz vom Präsidentenkabinett ab. Sie sind sehr schwach.
Ist dieser Einsatz der Regierung gegen die Meinungsfreiheit eine neue Entwicklung?
Ja und es ist sehr traurig, denn Kirgistan hat eine lange mündliche Tradition. Wir hatten nichts geschriebenes. Alles, was von Eltern an ihre Kinder weitergegeben wurde, wurde mündlich weitergegeben. Wir haben ein Sprichwort: Sie können uns den Kopf abschneiden, aber niemals die Zunge.
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Diese Ausdrucksfreiheit ist uns nicht mit der Unabhängigkeit vor gut 20 Jahren gekommen. Sie lässt sich sehr weit zurückverfolgen, sie liegt quasi in unserem Blut. Wir können nicht schweigen, wir müssen unbedingt etwas sagen. Also ja, es ist sehr traurig, denn wir können nicht aufhören, Kirgisen zu sein.
Mit Rita Karasartowa sprach Marion Biremon
Aus dem Französischen von Florian Coppenrath
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