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Kirgistan sperrt TikTok

Die kirgisische Regierung sperrt die App TikTok. Die Behörden berufen sich dabei auf den Schutz von Kindern und nationalen Werten. Doch gibt es auch politische Gründe?

Die kirgisische Regierung hat beschlossen, TikTok im Land zu sperren (Illustration), Photo: Wikimedia Commons.

Die kirgisische Regierung sperrt die App TikTok. Die Behörden berufen sich dabei auf den Schutz von Kindern und nationalen Werten. Doch gibt es auch politische Gründe?

Kurze Videos, die einen durch ihren nicht zu verachtenden Suchtfaktor schnell mal die Zeit vergessen lassen: Das Erfolgsrezept von TikTok hat die Welt erobert und zählt heute mehr als 1,7 Milliarden Nutzer. Die kirgisische Regierung sorgt sich jedoch um die Auswirkungen der App. Darum wurde sie im April dieses Jahres gesperrt, unter dem Vorwand, es handle sich um eine Maßnahme zum Schutz der Kinder.

Eine Blockade, die in Kraft getreten ist

Mit 69% Nutzern in der Bevölkerung ist TikTok eines der beliebtesten sozialen Netzwerke des Landes. Mehr kirgisische Nutzer hat nur Instagram (72%), berichtet die kirgisische Nachrichtenagentur 24.kg.

Die Verbreitung der App in der Gesellschaft beunruhigt vor allem das kirgisische Kulturministerium bereits seit August letzten Jahres. Der Aufbau der kurzen Videos sei gefährlich, außerdem befinde sich das Zielpublikum oft noch in der kindlichen Entwicklungsphase. Die Stabilität der Kinderpsyche würde auf dieses Weise überstrapaziert. Zudem bestünde ein Risiko, dass bestimmte bedenkliche Trends nachgeahmt werden.

Es dauerte jedoch noch bis April, bis die Sperrung wirksam wurde. Laut dem Ministerium für digitale Entwicklung hätte das Staatliche Komitee für nationale Sicherheit die Sperrung zum Schutz von Kindern vor allem darum beantragt, weil es an einer wirkungsvollen Kontrolle der Inhalte fehle, erklärt Kaktus Media. Ab dem 18. April berichteten Leser von 24.kg, dass sie nicht mehr auf die Inhalte der App zugreifen konnten. Ihre Provider O!, Beeline und Mega setzten die Nutzer ebenfalls über die Sperrung in Kenntnis.

Politische, wirtschaftliche und soziale Folgen

TikTok wird zwar oft als reine Unterhaltungsplattform betrachtet, bietet allerdings auch die Möglichkeit des Gedankenaustauschs. Aktivisten schreiten hier zur Tat, verbreiten Informationen und stellen bestimmte Verhaltensweisen an den Pranger. In diesem Sinne führt die Blockierung von TikTok auch dazu, dass bestimmte, als sensibel eingestufte Inhalte, nicht mehr verbreitet werden können.

Kaktus Media holt hier die Meinung des Rechtsanwalts Akmat Alaguschew ein: „Es handelt sich zuallererst um eine politische Frage. Und die hat zwei Seiten: Auf der einen werden die Kinder tatsächlich weniger Zeit in diesem sozialen Netzwerk verbringen. Auf der anderen werden die Inhalte dort ordentlich reguliert. Folglich ging es eher darum, die Bevölkerung daran zu hindern, die Behörden zu kritisieren“.

Seitens der Regierung hatte Akylbek Dschaparow, Leiter des Ministerkabinetts, im Februar erklärt, dass er TikTok-Inhalte kontrollieren wolle, die „nicht den kirgisischen Traditionen entsprechen“, wie Radio Azattyk, der kirgisische Zweig des US-Mediums Radio Free Europe, berichtete. Beispiele für solche Verstöße wären seiner Meinung nach, seine Schwiegereltern nicht zu respektieren oder sich scheiden zu lassen, vor allem als Frau. „Es ist eine Schande, dass all dies in den Netzwerken gepostet wird (…) und es ist dringend notwendig, all dies wieder auf die richtige Bahn zu lenken“, sagte er vor dem Vorstand des Kulturministeriums.

Eine unpopuläre und umstrittene Entscheidung

Während der ersten Diskussionen um die Sperre im Jahr 2023 kam es zu Kritik: Blogger forderten das Ministerium auf, die Anordnung zurückzuziehen. Sie argumentierten, dies wirke sich riskant auf die Wirtschaft des Landes und Kleinunternehmen aus.

Auch heute noch ist die Blockade unpopulär. In einer von 24.kg initiierten Umfrage sprechen sich 49% der Bevölkerung gegen die Blockierung von TikTok aus, während 31% diese gutheißen. Auch Reporter ohne Grenzen (ROG) äußerten sich besorgt über die Entscheidung: Laut ihnen würde der Vorwand des Kinderschutzes es den Regierungen ermöglichen, die Verbreitung von Informationen einzuschränken.

Außerdem würde dies kleine Unternehmen gefährden, die auf soziale Netzwerke angewiesen sind, um auf sich aufmerksam zu machen und die Sichtbarkeit kirgisischer Künstler und touristischer Medien auf internationaler Ebene verringern. Der Abgeordnete Dastan Bekechev weist gegenüber Kaktus Media darauf hin, dass Kleinunternehmen und Start-ups „eine riesige Plattform verlieren werden, auf der sie bisher ihre Dienstleistungen mit minimalem Aufwand anbieten konnten.

Es handelt sich also um eine kontroverse Entscheidung mit weitreichenden Folgen für das Land, sowohl auf politischer als auch auf sozialer und wirtschaftlicher Ebene. Lediglich über VPNs wird es der kirgisischen Bevölkerung weiterhin möglich sein, auf TikTok-Inhalte zuzugreifen.

Die Situation von TikTok in Zentralasien

Auch im Rest Zentralasiens ist das Thema brandaktuell.

In Turkmenistan, wo viele Websites gesperrt sind, möchte die Regierung mithilfe von Influencern ein wohlhabendes und positives Bild des Landes vermitteln, berichtet Radio Azattyk, der turkmenische Zweig von Radio Free Europe. Die Netzwerke werden genutzt, um das Bild des Regimes im Ausland herauszuputzen. Die Produzenten negativer Inhalte riskieren im Gegenzug Repressionen durch Erpressung oder Inhaftierung.

In Kasachstan ist eine Diskussion über die Blockierung der App entbrannt, berichtet das kasachische Medium Kursiv. Laut der Kulturministerin Aida Balajeva findet diese Diskussion einerseits vor dem Hintergrund der Sperrungen in Nachbarländern wie Kirgistan statt, andererseits gehe es darum, die Einheit des Landes zu wahren.

In Usbekistan war 2022 eine Lockerung der Netzwerke zu beobachten: Usbekische Nutzer konnten wieder auf Twitter, VKontakte und WeChat zugreifen, nachdem diese 2021 gesperrt worden waren, berichtet der usbekische Ableger des russischen Medienunternehmens Sputnik. TikTok blieb jedoch gesperrt.

Caroline Jullien, Redakteurin für Novastan

Arthur Siavash Klischat, Übersetzer für Novastan

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