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Kirgistan hält im April Verfassungsreferendum ab

Kirgistan wird am 11. April entscheiden, ob es seine Verfassung ändert. BefürworterInnen sagen, die Änderungen könnten die Regierungsarbeit effizienter machen, GegnerInnen befürchten, dass der Präsident zu viel Macht erhält und die Meinungsfreiheit leiden könnte.

Kirgistan wird am 11. April entscheiden, ob es seine Verfassung ändert. BefürworterInnen sagen, die Änderungen könnten die Regierungsarbeit effizienter machen, GegnerInnen befürchten, dass der Präsident zu viel Macht erhält und die Meinungsfreiheit leiden könnte.

Kirgistan wird also am 11. April über Verfassungsänderungen abstimmen. Präsident Sadyr Dschaparow hat am 12. März ein entsprechendes Gesetz unterzeichnet, das zuvor von Kirgistans Parlament, dem Dschogorku Kengesch, in zweiter Lesung verabschiedet worden war. 94 Abgeordnete stimmten für den Gesetzesentwurf, sechs dagegen.

Ein Entwurf der Verfassungsänderungen war erstmals am 17. November 2020 auf Initiative Dschaparows veröffentlicht worden, der sich damals im Präsidentschaftswahlkampf befand. Wie das kirgisische Nachrichtenportal Kloop berichtete, sprachen AktivistInnen angesichts der vorgesehenen Machtfülle des Präsidenten schnell von der „Chanstitucija“ [aus Chan und dem russischen Wort für Verfassung konstitucija, Anm. d. Ü.]. Talant Mamytow, Interimspräsident von November 2020 bis Januar 2021, bildete daraufhin einen Verfassungsrat, um die Änderungsvorschläge zu überarbeiten.

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Am 10. Januar, dem Tag der Präsidentschaftswahl, folgte ein Referendum, in dem gefragt wurde, welche Regierungsform die WählerInnen bevorzugen. Laut offiziellem Ergebnis sprachen sich 85 Prozent für ein Präsidialsystem aus, während knapp über 11 Prozent für ein parlamentarisches System und fast fünf Prozent „gegen alle“ stimmten. Die Wahlbeteiligung lag mit 39,12 Prozent über dem Mindestwert von 30 Prozent.

Mehr Macht für den Präsidenten

Die vorgeschlagenen Änderungen bauen die Befugnisse des Präsidenten aus. Artikel 70 räumt dem Staatschef nun das Recht ein, ein Referendum „von sich aus oder auf Initiative von mindestens 300.000 Wählern oder auf Initiative einer Mehrheit der Abgeordneten des Dschogorku Kengesch“ einzuberufen und neue Gesetzesvorlagen dem Parlament vorzuschlagen.

Derselbe Artikel sieht vor, dass der Präsident Regierungsmitglieder ernennt und auch die Vorsitzenden des Verfassungsgerichts und des Obersten Gerichtshofs sowie deren StellvertreterInnen ernennt und entlässt. Nach geltendem Recht ernennt der Präsident bereits lokale Richter und den Generalstaatsanwalt. Darüber hinaus würden die Änderungen eine zweite Amtszeit des Präsidenten zulassen und das Parlament von 120 auf 90 Abgeordnete reduzieren.

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Präsident Dschaparow erklärte gegenüber Radio Azattyk, dem kirgisischen Dienst von Radio Free Europe, dass die Änderungen nötig seien, um „Ordnung herzustellen“. Seiner Meinung nach würde im aktuellen System „weder der Präsident noch die Regierung noch das Parlament irgendetwas entscheiden“ und hinterließen so das Land in einem Stillstand.

„Nach der aktuellen Verfassung gibt es drei Zweige – Regierung, Parlament und Präsident. Die letzten zehn Jahre haben gezeigt, dass dies zu einem Anstieg der Bürokratie geführt hat. Niemand möchte die Lösung von Problemen übernehmen“, sagte Dschaparow. „Der Präsident tut alles durch die Regierung und das Parlament und verlagert die Verantwortung auf sie. Das könnte ich auch machen. Aber in diesem Fall wird Kirgistan weitere fünf bis zehn Jahre verlieren. “

Neuschaffung eines Volks-Kurultai

Ein anderer Teil des Entwurfs sieht die Einrichtung einer Versammlung namens „Volks-Kurultai“ vor – ein Name, der von einer Art Rat in der Kultur früherer Turkvölker abgeleitet ist. Er soll „Empfehlungen in Bezug auf die Ausrichtung der Sozialpolitik“ geben, wobei unklar ist, was genau das zu bedeuten hat. Der Kurultai berät den Präsidenten und schlägt dem Parlament neue Gesetze vor. Darüber hinaus kann er auch die Entlassung von Regierungsmitgliedern empfehlen.

Aksana Ismailbekova, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Leibniz-Zentrum Moderner Orient (ZMO), forscht zu Verwandtschaft und Patronage in Kirgistan. Gegenüber Novastan erklärt sie, dass der Volks-Kurultai theoretisch eine Möglichkeit ist, die Regionen des Landes einzubeziehen und Beamte zur Rechenschaft zu ziehen. „Im Idealfall könnte der Kurultai sehr wichtige politische Fragen besprechen, wobei Vertreter jeder regionalen Gruppe aktiv teilnehmen. Die Idee ist, dass die Staatsbeamten […] den regionalen Führern Kirgistans jährlich über ihre Arbeit, Aktivitäten und Projekte Bericht erstatten müssen“, meint die Forscherin.

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Ismailbekova hebt aber hervor, dass dies das Ideal sei und die Praxis davon abweichen könne. „Die große Frage ist, ob die aktuelle Staatsführung den Mitgliedern des Kurultai erlauben würden, die Staatsbeamten objektiv zu kontrollieren“, erklärt sie. „Es gibt auch Gruppen, die das Wesen und die Bedeutung der Volks-Kurultai verzerren. Einige Staatsbeamte könnten den Kurultai als politisches Instrument nutzen, um an die Macht zu gelangen.“

Die Bischkeker Bürgerrechtsorganisation Adilet äußert sich negativer und nennt die Gründe für die Schaffung des Volks-Kurultai unklar. Sie betont, dass die neue Versammlung dazu dienen könnte, den Zwecken des Präsidenten zu dienen. „Es besteht die Gefahr, dass auf alle Machtinstitutionen sowie auf den zivilen Sektor Druck ausgeübt wird – vom Präsidenten durch den Volks-Kurultai“, heißt es in einer Analyse des Verfassungsentwurfs.

„Moralische und ethische Werte“

Ein weiterer umstrittener Teil des Entwurfs ist Artikel 10, der besagt, dass „Veranstaltungen, die moralischen und ethischen Werten und dem öffentlichen Bewusstsein der Menschen in der Kirgisischen Republik widersprechen“, per Gesetz eingeschränkt werden können. Weiter heißt es, dass die Aktivitäten, die der Beschränkung unterliegen, gesetzlich festgelegt werden, ohne jedoch weitere Einzelheiten zu bestimmen.

„Artikel 10 der Verfassung stellt eine Bedrohung der Meinungsfreiheit dar“, sagte der ehemalige Abgeordnete Rawschan Dscheenbekow in einer von Radio Azattyk organisierten Diskussion. „Es ist gefährlich, die Meinungsfreiheit einzuschränken, indem Bezug auf die Wahrung moralischer Werte genommen wird.“

Laut Mars Tulegenow, Leiter der Medienrechtsorganisation „Journalist“, bestehe diese Sorge trotz der Absätze 1-3 von Artikel 10, die die Meinungs- und Medienfreiheit garantieren. „Es gibt Punkte, die Fragen aufwerfen. Wenn die Verfassung mit den Normen verabschiedet wird, dass ‚der Rest durch ein zusätzliches Gesetz bestimmt wird‘, welche Gesetze werden dann verabschiedet? … Wir haben genug Mediengesetze. Mehr brauchen wir nicht“, meint der Medienrechtler.

Ein umstrittenes Projekt

Obwohl erwartet wird, dass die Verfassungsänderungen im Referendum bestätigt werden, gibt es viele kritische Stimmen. „Wir kehren zurück zum Autoritarismus“, schrieb der Abgeordnete Dastan Bekeschew auf seiner Facebook-Seite. Das kirgisische Nachrichtenportal Kloop berichtete, dass Ex-Präsidentin Rosa Otunbajewa davon ausgehe, dass internationale Organisationen nach der Verabschiedung einer solchen Verfassung ihre Hilfe für Kirgistan einstellen werden.

Als Reaktion auf die Kritik wurde der Entwurf vom neugeschaffenen Verfassungsrat überarbeitet. Eine neue Version wurde am 9. Februar veröffentlicht. Obwohl Adilet in der Analyse des Dokuments „positive Änderungen“ feststellt, kommt die Organisation zu dem Schluss, dass es „gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit und der Rechtssicherheit verstößt“ und dass es „interne Widersprüche grundlegender Natur“ gebe.

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Lokale Medien heben auch hervor, dass die parlamentarische Verabschiedung des Gesetzentwurfs zum Referendum nicht dem richtigen Verfahren entsprach. So behauptet Kloop, dass zwar 100 Abgeordnete abstimmten, sich aber nur rund 80 Personen im Raum befanden. Das bedeutet, dass einige Abgeordnete im Namen ihrer KollegInnen Stimmen abgegeben haben müssten.

Der Abgeordnete Dschanar Akajew sagte gegenüber JournalistInnen, dass das Parlament unter Druck abgestimmt habe. „Diejenigen, die in der ersten Lesung gegen [den Gesetzentwurf] gestimmt haben, wurden unter Druck gesetzt und bedroht. Deshalb sind sie heute nicht zur Abstimmung gekommen“, sagte er laut 24.kg. „Die Abgeordneten haben Angst, offen zu sprechen.“

Aksana Ismailbekova erklärt den Druck, der auf das kirgisische Parlament ausgeübt wird, damit, dass ihren Recherchen zufolge viele Abgeordnete Geschäftsleute sind. „Es ist unmöglich, in Kirgistan legal Geschäfte zu machen. Daher sammelt das Staatskomitee für nationale Sicherheit [der Inlandsgeheimdienst, Anm. d. Ü.] kompromittierende Materialien und man kann nichts dagegen sagen“, erläutert die Forscherin. „Infolgedessen kann dieses Parlament nicht unabhängig sein, solange der Präsident Einfluss auf den Sicherheitssektor hat.“

Valentine Baldassari, Redakteurin für Novastan

Aus dem Englischen von Robin Roth

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