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Kirgistan: Herausforderungen auf dem Weg zu mehr erneuerbaren Energien

Expert:innen weisen auf das große Potential Kirgistans bei der Entwicklung erneuerbarer Energiequellen hin. Damit dieser Sektor jedoch voll funktionsfähig ist, müssen noch viele Probleme gelöst werden.

Erneuerbare Energien (Symbolbild). Foto: Jan Boedeker (Wikimedia Commons).

Expert:innen weisen auf das große Potential Kirgistans bei der Entwicklung erneuerbarer Energiequellen hin. Damit dieser Sektor jedoch voll funktionsfähig ist, müssen noch viele Probleme gelöst werden.

Die Notwendigkeit einer beschleunigten Entwicklung erneuerbarer Energiequellen in Kirgistan wird von mehreren Faktoren bestimmt. Dabei handelt es sich insbesondere um eine globale Verpflichtung, die auf der Klimakonferenz in Dubai im Dezember 2023 unterzeichnet wurde. Im Rahmen dieses Dokuments einigten sich die Länder darauf, die Produktionskapazität für erneuerbare Energien bis 2030 zu verdreifachen, um den Einsatz fossiler Brennstoffe zu reduzieren.

Ein weiterer wichtiger Faktor ist die Energiekrise in der Republik, die erst in den letzten Jahren an Dynamik gewonnen hat. Vom Sommer 2023 bis Ende 2026 gilt gemäß Präsidialerlass in der Energiewirtschaft der Ausnahmezustand. Der Mangel beträgt mehr als drei Milliarden Kilowattstunden Strom. Um das Defizit auszugleichen, konzentrieren sich die Behörden laut dem Direktor des Grünen Energiefonds, Emilbek Orosbajew, auf erneuerbare Energiequellen.

Was unternimmt der Staat?

In einem Interview mit Cabar.asia sagte Orosbajew, dass im Jahr 2023 zwölf kleine Wasserkraftwerke in verschiedenen Regionen Kirgistans in Betrieb genommen wurden. In diesem Jahr sollen etwa 16 weitere solcher Anlagen in Betrieb genommen werden. Ihm zufolge seien die Investor:innen dieser Stationen kirgisische Staatsbürger:innen. Seit März 2023 vereinfacht das Präsidialdekret die Zuteilung von Grundstücken für die Installation von Anlagen für erneuerbare Energien.

„Während sich früher ein Investor/eine Investorin, an die lokalen Selbstverwaltungsorgane wenden musste, um Land zu erwerben, wurde jetzt auf der Grundlage des Fonds das sogenannte Single-Window geschaffen. Es unterstützt Investor:innen bei der Beschaffung von Genehmigungen und Grundstücken für den Bau von Anlagen für erneuerbare Energien“, sagt der Beamte.

Darüber hinaus wurde gemäß dem Beschluss des Ministerkabinetts eine Liste von Waren und Ausrüstungen genehmigt, die bei der Einfuhr in das Hoheitsgebiet der Republik von der Mehrwertsteuer befreit sind. Diese Liste wird regelmäßig aktualisiert.

Im Rahmen des über mehrere Jahre hinweg angepassten Erneuerbare-Energien-Gesetzes gibt es auch eine Kulanzfrist für den Strombezug. Für Projekte, die Wasserenergie nutzen, beträgt sie 15 Jahre, für Wind- und Solaranlagen 25 Jahre.

„Angenommen, ein Investor/eine Investorin baut ein kleines Wasserkraftwerk, nimmt es in Betrieb, schließt die Anlage an die Netze an und beginnt mit dem Stromverkauf. Dann wird der Staat mit einer Garantie von 15 Jahre Strom vom Investor/der Investorin kaufen“, erklärt Orosbajew.

Der Direktor des Grünen Energiefonds fügt hinzu, dass sich die Behörden Kirgistans nicht auf den Bau kleiner Wasserkraftwerke beschränken. Geplant ist unter anderem auch die Entwicklung von Solar- und Windparks.  

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„Wir verfügten immer über genügend Wasserressourcen, also machten wir uns daran, Strom aus Wasser und dem Wasserkraftwerk Toktogul zu erzeugen. Aber die Praxis der letzten Jahre zeigt, dass es in den Regionen angesichts des Klimawandels weniger Wasser gibt, deshalb ergreifen wir Maßnahmen, um sicherzustellen, dass wir eine Alternative haben“, sagt Orosbajew.

Beispielsweise wurde im April letzten Jahres in der Region Issyk-Kul der Grundstein für den Bau eines Solarkraftwerks mit einer Leistung von 300 Megawatt gelegt. Das Projekt wird vom kirgisischen Unternehmen Bishkek Solar und dem russischen Unternehmen Unigreen Energy umgesetzt. Außerdem wurde laut Orosbajew zuvor eine Vereinbarung mit dem chinesischen Unternehmen China Power über den Bau eines Solarkraftwerks mit einer Leistung von einem Gigawatt unterzeichnet.

Am 26. März unterzeichnete das kirgisische Energieministerium auf dem Forum ATOMEXPO-2024 in Sotschi außerdem eine Vereinbarung mit der Windenergieabteilung von Rosatom über den Bau eines Windparks. Die Anlagen sollen in der Region Issyk-Kul errichtet werden. 

Orosbajew wies darauf hin, dass ähnliche Projekte auch in anderen Bereichen geplant seien. Potenzielle Investor:innen kommen aus verschiedenen Ländern, darunter Südkorea, Frankreich, den Vereinigten Arabischen Emiraten und so weiter.

Generell verfügt Kirgistan seiner Meinung nach über ein großes Potenzial für den Ausbau erneuerbarer Energiequellen und, unter Berücksichtigung der geplanten Vorhaben, wird die Republik bis 2030 „nicht nur in der Lage sein, diesen Sektor zu auszubauen, sondern auch die Stromknappheit auszugleichen und die Erzeugung im ganzen Land zu steigern.“ „Ein wichtiger Faktor hierbei ist natürlich die Projektfinanzierung. Während kleine Kraftwerke von unseren einheimischen Investoren gebaut werden können, erfordern größere Anlagen – Wind- oder Solarkraftwerke – mehr Geld. Deshalb suchen wir nach Möglichkeiten, ausländische Investor:innen anzuziehen“, sagte Orosbajew.

Niedrige Tarife

Die Tarife für Strom aus erneuerbaren Energiequellen sind immer noch Gegenstand der Diskussion. Im März 2024 wurden in einer Parlamentssitzung in erster Lesung Änderungen des Gesetzes „Erneuerbare Energiequellen“ beschlossen.

Dieser schlägt insbesondere vor, anstelle eines festen Stromtarifs für erneuerbare Energien einen maximalen Strompreis festzulegen, der die Einführung eines Auktionsmechanismus ermöglicht. So soll der Höchstpreis 4,42 Som (etwa fünf Cent) pro Kilowattstunde betragen, der gesenkt werden kann.

Außerdem ist eine monatliche Anpassung der Stromtarife für erneuerbare Energien in Abhängigkeit der Veränderungen des Wechselkurses der Landeswährung gegenüber Fremdwährungen vorgesehen, um die Investor:innen vor Verlusten im Falle einer Abwertung zu schützen.

Laut der Vorsitzenden des Verbandes Erneuerbarer Energiequellen, Eleonora Kasakowa, wird die monatliche Neuberechnung der Tarife problematisch sein, da das Gesetz „Erneuerbare Energiequellen“ nicht festlegt, welche Fremdwährung in die Landeswährung umgerechnet wird.

„Zweitens werden Rechnungen, die monatlich zur Zahlung von verschiedenen Einrichtungen für erneuerbare Energien ausgestellt werden, mit Neuberechnung des Tarifs und unter Berücksichtigung des Wechselkurses der verschiedenen Währungen am letzten Tag des Monats zu Verwirrung bei den Zahlungsvorgängen führen“, ist sich Kasakowa sicher.

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Ihrer Meinung nach ist es vernünftiger, jedes Jahr Anpassungen vorzunehmen, um zu sehen, wie sich die realen Produktionskosten über 12 Monate entwickelt haben und wie stark sich der Wechselkurs verändert hat, der ja auch gesetzlich festgelegt werden sollte. Gleichzeitig stellt der Geschäftsführer der Grünen Allianz Kirgistans, Ilgis Kambarow, fest, dass die aktuellen Tarife niedrig seien und dass es angesichts dieser Indikatoren in Kirgistan kein großes Interesse an erneuerbaren Energiequellen geben werde. „Deshalb glaube ich, dass es sich lohnt, darüber nachzudenken, sie zu erhöhen“, sagt Kambarow. „Und das dient nicht nur der Entwicklung erneuerbarer Energien, sondern macht die Stromproduktion selbst kosteneffizient.“

Nursat Abdyrasulowa, Präsidentin der Unison Group, weist darauf hin, dass der Preis eines Produkts von mehreren Faktoren abhängt.  Zunächst einmal sind es die Produktionskosten, denn für die Herstellung eines Produkts muss eine bestimmte Menge an Ressourcen aufgewendet werden.  Dabei handelt es sich um menschliche Arbeitskraft, Kosten für die Instandhaltung der Infrastruktur, Steuern und andere Abzüge. Sie fährt fort, dass es notwendig sei, klar darzustellen, woraus der Tarif besteht, wo und wie die Mittel verteilt werden, und dass auch ein transparentes System zur Verteilung der Ausgaben erforderlich sei.

Weitere ungelöste Probleme

Expert:innen sind sich einig, dass in Kirgistan große Chancen für den Ausbau erneuerbarer Energiequellen bestehen. Damit dieser Sektor jedoch voll funktionsfähig ist, muss noch viel Arbeit geleistet werden. 

Laut der Vorsitzenden des Verbands Erneuerbarer Energien, Eleonora Kasakowa, bleibt beispielsweise die Frage der Wasserversorgung beim Bau kleiner Wasserkraftwerke ungelöst. „Im Wesentlichen gibt es kein Konzept des ‚Rechts auf Wasser‘, das den Investor:innen die für die Stromerzeugung erforderliche Wassermenge innerhalb vorgegebenen Zeitrahmens garantiert. Unter Berücksichtigung des Vorrangs von Bewässerungssystemen sollte dieses Thema gesetzlich klar geregelt werden“, sagt die Expertin.

Sie fährt fort, dass die nächste Frage sei, wie viel Strom aus erneuerbaren Quellen sich Kirgistan leisten könne. Ihrer Meinung nach gibt es in der Presse regelmäßig Berichte über eine weitere unterzeichnete Absichtserklärung, die den Bau von Anlagen für erneuerbare Energien vorsieht. „Gleichzeitig sprechen die Behörden ständig über die Abnutzung des Energiesystems, der Ausrüstung und dergleichen. Werden unsere Netze der Strommenge standhalten können, für die wir Absichtserklärungen unterzeichnet haben? Angesichts der aktuellen Kapazität der Netze und des aktuellen Zustands höchstwahrscheinlich nicht“, sagt Kasakowa. 

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Ein weiterer wichtiger Punkt sind die geringen Personalressourcen. Laut Eleonora Kasakowa sei eine beträchtliche Anzahl von Energiearbeiter:innen in Kirgistan bereits zu Sowjetzeiten ausgebildet worden. Bei erneuerbaren Energien handele es sich jedoch um ein neues Feld „Daher haben wir jetzt katastrophal wenige junge Fachkräfte. Wir müssen Personal schulen und dies effizient tun“, sagt Kasakowa.

Die Expertin stellt fest, dass diese Probleme nicht mit einem Fingerschnippen gelöst werden können. Man sollte die Durchführung umfassender Arbeiten nicht verzögern, und Abteilungen und Ministerien sollten bei der Umsetzung von Projekten die gleiche Vision haben.

Der Geschäftsführer der Grünen Allianz Kirgistans, Ilgis Kambarow, weist wiederum darauf hin, dass man sich nicht nur auf Wasserressourcen verlassen und sich auf kleine Wasserkraftwerke beschränken könne. „Ich halte die  Politik, den Ausbau von Kleinwasserkraftwerken durch das Single-Window-System zu beschleunigen nicht für falsch, gleichzeitig müssen aber auch die Risiken von Niedrigwasser berücksichtigt werden. Die Budgetkosten für die Erneuerungen oder Wartung eines großen Gigante werden im Laufe der Jahre nur steigen. Und ob es in 20, 30, 50 Jahren noch Wasser geben wird, ist ungewiss. Deshalb sollte man nicht alles auf eine Karte setzen, sondern auch Solar- und Windparks entwickeln“, glaubt der Experte. 

Nursat Abdyrasulowa, Präsidentin der Unison-Gruppe, weist darauf hin, dass sich Kirgistan im Rahmen des Pariser Abkommens verpflichtet hat, die Emissionen bis 2030 durch Maßnahmen in den Bereichen Energie, Landwirtschaft und anderen Bereichen der Landnutzung, Industrie und Abfallwirtschaft zu reduzieren. „Wir müssen zusätzliche externe Hilfe und Gebergelder gewinnen, um diese Maßnahmen umzusetzen und einerseits die Emissionen zu reduzieren und andererseits den Anteil erneuerbarer Energiequellen an der Energiebilanz zu erhöhen“, sagt Abdyrasulowa. Sie betont auch, dass Nachfrage Angebot schafft, und wenn es ein globales Abkommen gibt und die Menschheit vor der Aufgabe steht, das Potenzial erneuerbarer Energiequellen zu verdreifachen, dann werden bereits bestimmte finanzielle Ressourcen, Interessent:innen, Investor:innen und technische Spezialist:innen auftauchen.

Das Potenzial der Mikroerzeugung

Abdyrasulowa fährt fort, dass der Bau von kleinen Wasserkraftwerken, Wind- oder Solaranlagen recht arbeitsintensiv sei. In der Regel müssen alle Verfahren eingehalten werden, wozu nicht nur die Suche nach Geldern, sondern auch die Einholung von Genehmigungen, die Durchführung einer Gebietsbewertung, der Abschluss eines Vorvertrags, die Festsetzung von Tarifen, Verhandlungen mit der örtlichen Bevölkerung usw. gehören.

„An der Arbeit ist in der Regel ein ganzes Team von Spezialist:innen beteiligt – Anwält:innen, Wirtschaftswissenschaftler:innen, Bauherr:innen und Energieingenieur:innen. Es kommt vor, dass der gesamte Prozess mehrere Jahre dauert. Natürlich ist es notwendig, große Energieanlagen zu bauen, und das sollte unser strategisches Ziel sein, aber ich denke, es lohnt sich, auch der Mikroerzeugung Aufmerksamkeit zu schenken“, sagt die Expertin.

Ihrer Meinung nach ist die Entwicklung der Mikroerzeugung eine Chance, inländische Investor:innen, also die Bürger:innen des Landes, in den Prozess einzubeziehen. „Vielleicht hat jemand ein großes Grundstück, jemand anderes hat eine andere Möglichkeit, eine 10-20-Kilowatt-Anlage bei sich zu Hause oder auf dem eigenen Grundstück zu errichten“, schlägt sie vor. Auf diese Weise, sagte sie, könnten die Bewohner:innrn die Energieeffizienz ihrer Unternehmen oder Häuser verbessern und dies würde dem Land die Möglichkeit geben, die Energieunabhängigkeit zu erhöhen, die Umwelt zu entlasten und den Kohlendioxidausstoß zu reduzieren. 

„Natürlich ist hier eine technische Analyse lokaler Netze erforderlich, und Energietechniker:innen haben in dieser Richtung noch viel zu tun. Aber wenn wir erneuerbare Energiequellen ausbauen wollen, dann haben wir wenig Zeit, um loszulegen. Wir sollten uns beeilen und alle auftretenden Probleme auf dem Weg lösen“, schloss Abdyrasulowa.

Die Redaktion von CABAR.asia

Aus dem Russischen von Irina Radu

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