Am 2. Februar erschien „Kara Toru Begish“, in der seit zehn Jahren währenden Karriere das erste Soloalbum des kirgisischsprachigen Rappers Begish. Eine Rezension.
„Kommt zusammen als Zeugen/ Hier wird es interessant“, skandiert der Bischkeker Rapper Begish mit seiner durch Auto-Tune gefärbte Stimme über einen langsam hallenden Beat. Und dann etwas schneller: “Ich möchte die kirgisische Sprache zur Mode machen/ Glaube mir! Wir brauchen unsere Muttersprache wirklich!“
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Bereits Ojundan ot Tschygyptyr („Aus dem Spiel ist ein Feuer entflammt“), das Intro seines am 2. Februar erschienenen Soloalbums „Kara Toru Begish“ ist Programm. Kara-Toru heißt auf Kirgisisch so viel wie „dunkelhäutig“, eine Anspielung an Begish’s eigene Hautfarbe wie auch an die Ursprünge des Rap als „schwarze“ Musik. Begish vermag es wie kein zweiter, moderner Rap-Musik ein eigenes, kirgisisches Kolorit zu verleihen.
Sprachmelodie und Dreifachreime
In erster Linie natürlich durch die Sprache. Der 28 Jahre alte Rapper ist bei weitem nicht der erste, der in der Landesprache schreibt, bereits Mitte der 2000 zirkulierten kirgisischsprachige Rap-Hits wie Derzkii (Rus. „Frech“) unter der städtischen Jugend. Im vergangenen Jahrzehnt hat Begish dem Genre maßgeblich zu landesweiter Popularität verholfen und zählt heute zu den wenigen Rap-Berühmtheiten im Inland.
Bereits frühe Videoclips wie Akyrky Kat („Der letzte Brief“) blieben nicht unbemerkt. Begish war federführend bei den Texten von Zamanbap („Modern“), dem allerersten vollständig kirgisischsprachigen Rap-Album, aufgenommen im Trio mit seinen Mitstreitern Bayastan und Casper. „Ein neuer Standard“ in der kirgisischen Musik, hieß es damals in einer Rezension.
Wie schon bei Zamanbap kommt auch in Kara Toru Begish die kirgisische Sprachmelodie voll zur Geltung. Die Regeln der Vokalharmonie und die vielen einsilbigen Wörter spiegeln sich in aneinandergereihten Dreifach- oder Vierfachreimen und in einem dichten Netz an Alliterationen wider. Das selbstdarstellerische Stück Kara Toru At („Dunkelbraunes Pferd“) wirkt stellenweise gar wie eine lyrische Machtdemonstration, mit Reimhagel und Ego-Trip Zeilen wie „Meine Worte sind Kultur/ Wer kann sich mit solchen Worten messen?“.
Oder auch „Die modernen Akyns stehen mir zur Seite/ Zusammen lassen wir Herzen entflammen“ (Obondorum, „Meine Melodien“). Akyns, das sind in Kirgistan und in Kasachstan traditionelle Dichter und Improvisationskünstler, seit 2008 ist deren Kunst als immaterielles Kulturerbe anerkannt. Auch Begish wird von Mitstreitern oder Fans nicht selten als zeitgenössischer Akyn bezeichnet, für seine literarischen Fertigkeiten. In einem Kontext in dem vor allem Russisch als Bildungssprache empfunden wird und viele Kirgisisch nur auf einem Alltagsniveau sprechen, sticht das umso mehr heraus.
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In seinem Album gibt sich Begish teils fast prophetisch, mit einer sozialen Mission versehen: „Wenn es sein muss kannst Du meine scharfe Zunge abschneiden/ Ich werde trotzdem meine wahren Worte aussprechen“, antwortet er in Obondorum seinen Kritikern.
Heimatdarstellungen
Wie Akyns ihrerseits stilisieren sich auch Rapper auf der ganzen Welt als Stimmrohr für ihre Gemeinschaft und vertreten dabei stolz ihre Herkunft. Für den in Gültschö, im Süden Kirgistans, geborenen Begish liegt der Bezirk Alay „in meinem Blut und in meinem Charakter“, wie es im gleichnamigen Stück heißt. Dort zieht der auch den Bogen zur vorsowjetischen Geschichte der Region: „Ich bin ein Kind von Alymbek Datka/ Kurmandschan Datka ist unsere Mutter“, in Anspielung an die „Königin des Alay“, die am Ende des 19. Jahrhunderts regierte, nachdem ihr Mann ermordet wurde.
Auf Alay folgt Kyrgyzstanim („Mein Kirgistan“), eine musikalische Reise durch die verschiedenen Regionen des Landes, das so „schön ist und mit einer reichen Geschichte“, so der Sänger Aybek Zamirov im Refrain. Dieser übernimmt neben Nursultan Asykbajew, Raliya und dem Rapper G-Voo (aka. Casper), der bereits bei Zamanbap mitrappte, die gesungenen Parts des Albums.
Mit dem Stück schließt sich auch der erste Teil von Kara Toru Begish, der sich überwiegend mit Fragen der Herkunft, Geschichte und traditionellen Werten auseinandersetzt. Begish wendet sich dort an zahlreichen Stellen an seine kirgistanischen ZuhörerInnen mit Aufrufen zur Einheit, zum Frieden und zur gemeinsamen Entwicklung des Landes. „Halte die Faust fern von der Straße/ Lass die Waffe, lass das Messer/ Wir sollen in Harmonie leben“, heißt es bereits im Intro.
Lyrische Hälfte
Mit 8 wird die zweite, lyrische Hälfte des Albums eingeleitet: „Du bist hell wie der Mond im Himmel/ Wie eine allein für mich geschaffene Seele/ Nur dich wähle ich für immer/ Mein Herz widme ich dir allein“. Auch Atasynyn Kyzy („Die Tochter ihres Vaters“), Kyz Kuumay („Mädchen fangen“, ein in Zentralasien verbreitetes Reitspiel) und Zher-Ay („Erde-Mond“) sind je gefühlvolle Liebeslieder, teils mit moralisierenden Elementen, wie in letzterem Stück: „Sie schläft nicht mit Jungs/ Sie bewahrt ihre Jungfräulichkeit“. Aufgrund dieser Zeilen wurde der Track eine Zeit lang nicht im Radio gespielt.
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Umso stärker kommt der Kontrast zum Folgestück Beybydschan, einer der kirgisischen Partyhits des vergangenen Sommers. Mit seiner suggerierten Erotik und Kokain-Metaphern hat das Stück Begishs konservativeren ZuhörerInnen gewiss empört: „Du bist mein Kokain/ Ich zittere, wenn ich ohne dich bleibe/ Du bist mein Sexy-Mädchen/ Ich genieße es, wenn ich dich in die Hand nehme“.
Einheimische Beats
Beybidschan sticht auch durch seine Dancehall-angehauchte Musik heraus, geschrieben von Jaya (ehemals DJ XTZ), ein eher auf Tanzmusik spezialisierter Musiker, der bereits für Zamanbap den Track Tarbiya („Erziehung“) geschrieben hatte. Das Stück hat auch als einziges aus dem Album einen Videoclip, in sommerlich-gelblichen Tönen auf dem Flughafen von Bischkek gefilmt.
https://www.youtube.com/watch?v=i9-gwmPkwfU
Die Musikalische Einheit des Albums wird ansonsten durch die Arbeit von Shino6i garantiert, der mit seinem ehemaligen Künstlernamen Reenboy oft genannt wird: „Reen baut den Beat/ Ich füge die Worte hinzu“ (in Karatoru At). Seine langsamen Trap-Beats und die starke Nutzung von Auto-Tune setzen das Album in Kontinuität zu weltweiten Rap-Trends des letzten Jahrzehnts. Shino6i ist einer der produktivsten und berühmtesten Beatmaker innerhalb der Bischkeker Rapszene und ist auf Kara Toru Begish Autor der Musik von zehn von 12 Stücken.
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Die zweite Ausnahme, neben Beybidschan, ist der Bonustrack Ojlosungbu („Denkst Du?“), produziert von Erny Beats, der auch die Aufnahme und das Mastering des Albums übernommen hat. Auch hier experimentiert Begish und beweist, dass Kirgisisch auch eine passende Sprache für Reggae ist. Inhaltlich schließt der Rapper das Album so, wie er es eröffnet hat, mit einem sozial engagierten Stück und ein Aufruf zur Arbeit an einer besseren Gesellschaft: „Wir brauchen keine Millionen, wir brauchen Menschlichkeit“.
Ein bischkeker Rap für die ganze Welt
Selbst die Veröffentlichung des Albums am Spiegeldatum 02.02.2020 ist natürlich kein Zufall. Nun ist Kara Toru Begish durch den Vertrieb das Bischkeker Label Infinity Music über verschiedene Streaming- Plattform wie Deezer oder Youtube überall zu hören.
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Und das Hören lohnt sich. Auch wer sich nicht an Begishs reicher Sprache erfreuen kann, wird sich beim von dessen Musikalität überzeugen lassen. Das Album wirkt insgesamt etwas intimer und persönlicher als sein Vorgänger Zamanbap. Es ist wie eine Betrachtung von Kirgistan, seiner Gesellschaft und von der Liebe durch die Augen des Autors, auf hohem Niveau geschrieben, aufgenommen und produziert. Alles in allem eine Dreiviertelstunde hervorragender Musik.
Florian Coppenrath
Novastan.org
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utjatin, 2020-02-10
Lieber Florian, liebes Team!
Dass Zeilen wie
„Sie schläft nicht mit Jungs/ Sie bewahrt ihre Jungfräulichkeit“.
hier so unkritisch zitiert werden, und auch nicht kontextualisiert, finde ich, un ehrlich zu sein, erschütternd. Und ich verstehe das nicht. Es gibt ja in Kyrgyzstan durchaus Stimmen, auch musikalische, die einen Gegenpol zu diesen patriarchalischen Tendenzen darstellen. Dass hier also nicht mal im Geringsten eine Einordnung in die aktuellen gesellschaftspolitischen Debatten in Kyrgyzstan geschiet, verstehe ich absolut nicht. Von einer Rezension — zumindest hier bei Novastan — erwarte ich dann doch mehr, als Übersetzung und Lob. Insbesondere aufgrund des offensichtlichen Machismo des besprochenen Albums.
Trotzdem, vielen Dank für Eure ja ansonsten wirklich herausragende und verdienstvolle Arbeit!
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Florian Coppenrath, 2020-02-11
Moritz, Vielen Dank für den Kommentar. Ich fand es tatsächlich wichtig auch diese Zeile aufzuführen, um diese machistischen Tendenzen darzulegen. Der Kontrast zum nächsten Stück legt die dabei geltende Doppelmoral offen. Vielleicht ist die Bezeichnung „moralisierend“ dafür zu schwach, aber eine gewisse einordnung findet doch statt, wenn auch nur angedeutet. Als Gegenstimme habe ich noch Zeres Interview verlinkt.
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