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Kirgistan „Die Wahl ist kompetitiv aber nicht frei“

Auf die Demokratie in ihrem Land sind die Kirgisen sehr stolz. Doch das Wahlsystem des einzig demokratischen Landes in Zentralasien ist nicht vollkommen frei. Medet Tiulegenow, Direktor des Instituts für vergleichende Politikwissenschaft an der Amerikanischen Universität Zentralasiens spricht am Vorabend der Präsidentschaftswahl mit Novastan. 

Sooronbaj Dscheenbekow über den Oberleitungen der Busse Bischkeks
Der Präsidentschaftskandidat Sooronbaj Dscheenbekow über den Oberleitungen der Busse Bischkeks

Auf die Demokratie in ihrem Land sind die Kirgisen sehr stolz. Doch das Wahlsystem des einzig demokratischen Landes in Zentralasien ist nicht vollkommen frei. Medet Tiulegenow, Direktor des Instituts für vergleichende Politikwissenschaft an der Amerikanischen Universität Zentralasiens spricht am Vorabend der Präsidentschaftswahl mit Novastan. 

Wie schätzen Sie den Grad an Demokratie in Kirgistan ein?

Das ist sehr schwer zu sagen und hängt stark davon ab, von welchem Demokratiekonzept man ausgeht. Schaut man sich die  elektorale Demokratie an und die letzten Wahlen im Land (Präsidentschaftswahlen, Parlamentswahlen und Wahlen auf Lokaler Ebene) so verbessert sich das Demokratieniveau. Die Wahlen werden gerechter und vor allem kompetitiver. Am Vorabend der Präsidentschaftswahl wissen wir nicht, wer gewinnen wird — das sagt schon viel aus. Allerdings bleiben die liberale Demokratie, die deliberative Demokratie und die egalitäre Demokratie recht schwach. Die Regierung unterdrückt die Opposition. Was das angeht, leidet unsere Demokratie stark und lässt Platz für autoritäre Tendenzen.

Es gibt natürlich eine schwache politische Konkurrenz, aber sie führt nicht zu Reformen, die das Leben der Menschen wirklich verändern würden. In diesem Aspekt ist das Demokratieniveau unseres Landes recht niedrig. Vergleicht man die Situation mit der in seinen Nachbarstaaten, ist Kirgistan selbstverständlich eine gute Demokratie. Wenn man aber einen Blick auf unsere Geschichte seit der Unabhängigkeit wirft, bekommt man das Gefühl, dass noch viel Luft nach Oben für Verbesserungen ist.

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Wie hat sich die Situation unter dem scheidenden Präsidenten Almasbek Atambajew verändert?

Vergleicht man das heutige Kirgistan mit dem Kirgistan seiner Vorgängerin Rosa Otumbajewa, ist das Demokratieniveau gesunken. Vor allem gegen Ende des Mandats Atambajews ist die Demokratie regelrecht zusammengebrochen, vor allem im Bezug auf Meinungs- und Pressefreiheit.

Was sind die Hindernisse für eine gute Demokratieentwicklung in Kirgistan?

Die Politik möchte sich näher am Volk positionieren, da das Wahlsystem mehr oder weniger frei ist. Dies führt allerdings zu Populismus und das Land riskiert sein parlamentarisches System aufzugeben und zu einer stärker präsidential ausgerichteten Republik. Innerhalb der Bevölkerung sehen viele keine konkreten Ergebnisse der Politik der Regierung. Das Parlament ist schwach und die Bevölkerung traut ihm nicht. Auch das bedroht die kirgisische Demokratie. Und  natürlich ist in diesem sehr armen Land auch die Wirtschaftslage ein wichtiges Thema. Dennoch hat Kirgistan die Möglichkeit nicht von nur einem Land abzuhängen und so seine Autonomie zu wahren.

Wie steht es  um die Korruption?

Die generelle Situation hat sich unter Atambajew nicht wirklich verändert. Was sich verändert hat, ist die Art der Korruption annimmt. Wenn ein Regime autoritär ist, konzentriert sich alles auf eine Person. Je demokratischer der Staat wird, desto mehr dezentralisiert sich auch die Korruption und die Regierung kann sie schlechter kontrollieren. Der Kampf gegen die Korruption war zwar eines der Haupt-Wahlkampfversprechen Atambajews, er hat allerdings so gut wie nichts in diese Richtung unternommen.

Wie erklären Sie das relativ geringe Interesse an der morgigen Wahl?

Die Wahlbeteiligung könnte niedriger ausfallen als 2011, weil aber die Situation eine vollkommen andere ist. 2011 spürten die Wähler, dass es sich um einen wirklich wichtigen Zeitpunkt handelte, ein Zeitpunkt in dem sich die Zukunft des Landes entscheiden würde. 2011 war ein Jahr nach der Revolution, viele Probleme waren noch ungelöst. Es war eine Zeit des Übergangs und um wieder ein gewisses Grad an Stabilität zu erlangen musste ein Parlament und ein Präsident gewählt werden.

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Bei der jetzigen Wahl geht die Bevölkerung nicht mehr davon aus, dass sie besonders einschneidend für die Zukunft des Landes sein wird. Dscheenbekow oder Babanow, die beiden führenden Präsidentschaftskandidaten – für viele gibt es da keinen großen Unterschied.

Was halten Sie vom Demonstrations- und Versammlungsverbot, das sei Juli 2017 in Kraft ist? 

Dieses Verbot besteht, um das durchaus reale Gewaltrisiko im Kontext der Wahlen zu vermindern. Allerdings ist es auch eine Möglichkeit, die Opposition zum Schweigen zu bringen und die Regierung als Garant von Stabilität zu präsentieren. Das gleiche gilt für die kürzliche Festnahme des Abgeordneten Kanatabek Isaew (der dem Oppositionskandidaten Babanow nahesteht und dem vorgeworfen wird, Unruhen nach der Wahl organisieren zu wollen, Anm.d.Red.): die Regierung bemüht sich zu zeigen, dass es auf der einen Seite – der Seite der Opposition – die Unruhestifter und auf der anderen – die der Regierungspartei – Sicherheit gibt.

 Gehen Sie davon aus, dass es nach Bekanntgabe der Ergebnisse Unruhen geben könnte?

Das würde mich wundern. Und falls es Unruhen geben wird, dann zumindest nicht in dem Maße wie 2005 und 2010. Zum einen gibt es nicht so viel Unzufriedenheit. Zum anderen sind die Kirgisen erschöpft und wollen keine Revolutionen mehr. Es müsste wirklich einen starken Auslöser geben, damit die Menschen zu den Waffen greifen würden. Vor allem wüssten sie auch nicht gegen was und gegen wen sie kämpfen würden. Wenn die Regierung so weit gehen würde, Babanow zu verhaften, dann gäbe es sicherlich gewaltvolle Ausschreitungen. Die Wahl ist zwar korrupt, aber nicht so sehr, dass das Volk den Eindruck hat, man habe sie ihm gestohlen.

Wie schwer ist es in Kirgistan, Kandidat der Opposition zu sein?

Es ist dahingehend schwer, dass der Staatsapparat vollständig in der Hand der Regierungspartei ist. Dscheenbekow, der Kandidat der derzeitigen Regierung, kann alle Resourcen mobilisieren, die er braucht. Außerdem tendieren die Wähler eher dazu für Stabilität zu wählen, als für jemanden Unbekannten, daher ist natürlich die Partei Atambajews im Vorteil.

Glauben Sie, dass diese Wahl endlich frei und gerecht sein wird?

Sie sind es schon jetzt nicht. Atambajew hat Position bezogen und von diesem Moment an, gab es schon keine faire Konkurrenz mehr. Korruption und Stimmenkauf gibt es in beiden Lagern. Dadurch, dass es damals noch keine starke Regierungspartei gab, war die Wahl 2011 noch sehr viel gerechter.

 

Marion Biremon
Sergey Idelev

Aus dem Französischen von Charlotte Dietrich

 

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Kommentieren (1)

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Gerhard Haggenmueller, 2017-10-16

Und das amerikanische wie das deutsche Wahlsystem – gerechter oder demokratischer? Man sollte nicht mit quasi intellektuellen Steinen werfen wenn man selber im amerikanischen Glashaus sitzt.

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