Es gibt wohl kaum jemanden in Kirgistan, der die Künstlergruppe DOXA nicht kennt und ihre Werke auf den Wänden der Gebäude von Bishkek, der Hauptstadt des Landes, nicht gesehen hat. In kürzester Zeit erlangten die beiden Künstler große Bekanntheit, und heute arbeiten sie nicht nur mit Strukturen des Landes zusammen, sondern auch mit Auftraggebern aus dem Ausland.
In diesem Artikel erinnern sich die zwei Mitglieder des Kollektivs, Dmitrij und Sergej, daran, wie alles angefangen hat, und eröffnen uns ihren Blick auf die Kunst und ihre Pläne für die Zukunft. Das Interview wurde im Rahmen eines Gesprächszyklus mit Künstlern in der Werkstatt „Künstlergruppe 705“ aufgezeichnet. Es wird aus dem Blick von Dmitrij und Sergej erzählt. Das Interview erschien im russischen Original auf Walkerstory.com, wir haben es mit freundlicher Genehmigung der Redaktion übersetzt.
Dmitrij: DOXA ist ein altgriechischer Begriff und bedeutet soviel wie „Stereotyp“ oder „Meinung“, bei der der Mensch davon überzeugt ist, dass etwas so ist, wie es sein sollte und der Wahrheit entspricht. In Wirklichkeit ist ihm diese „Meinung“ allerdings von außen auferlegt worden.
Wir arbeiten im öffentlichen Raum. Wenn wir auf der Straße malen, dann teilen wir unsere Sicht auf die Dinge mit. Und den Menschen gefallen unsere Arbeiten. Sie verstehen unsere Position.
Sergej und ich kennen uns schon lange. Wir haben gemeinsam an der Kunsthochschule studiert. Nach unserem Abschluss haben wir verschiedene Dinge gemacht. Als ich die Hochschule abschloss, beschäftigte Sergej sich mit Airbrush. Ich hatte großes Interesse daran, mich als Maler weiterzuentwickeln, deshalb besuchte ich Jahreskurse für zeitgenössische Kunst in der Schule „ArtIst“.
Dort haben wir das Thema „öffentliche Kunst“ behandelt. Es wurden Workshops von Profis aus diesem Gebiet angeboten, und ich merkte, dass mir genau dieser Bereich unglaublich gut gefällt. Bis dahin haben Sergej und ich parallel gearbeitet und uns mit Wandbemalung im eher kommerziellen Bereich beschäftigt.
Erste Arbeiten der Gruppe
Sergej: Lasst mich mal aus meinem Blickwinkel unsere Geschichte erzählen. Dima und ich arbeiteten vor sechs Jahren in einer Malerwerkstatt. Plötzlich verschwand Dima irgendwohin, wir dachten schon, er wäre in irgendeine Sekte eingetreten: dann kam er auf einmal mit verrückten Ideen zurück, mit seiner modernen Kunst. Und in dieser Situation überzeugte er mich davon, dass das, was wir damals machten, Airbrush, das Streichen von Innenwänden – dass das alles eine Sackgasse ist, die uns nirgendwo hin führt! Dass es besser wäre, sich der modernen Kunst zu widmen. Der erste Banksy-Film hat mich zum Umdenken gebracht: „Exit through the gift shop“ (Banksy ist ein weltberühmter Graffiti-Künstler, Anm. d. Red.). Danach wusste ich, dass ich auf die Straße gehen und dort aktiv werden muss.
Dmitrij: Die erste Frage, die uns Leute stellten, als sie sahen, was wir da machten, war: „Warum?“, „Wer braucht das?“. In vielen Ländern ist Graffiti verboten, aber trotzdem gibt es dort so viel Street-Art – Wie schaffen sie das? Bei uns ist Street-Art nicht verboten, und trotzdem sieht man es nicht besonders häufig.
Sergej: Einige Jahre lang haben wir kleine Dinge gemacht, aber im Großen und Ganzen arbeiteten wir in der Stadt auf kommerzieller Basis.
Dmitrij: Wir wollten uns schon lange mit Malerei in der Stadt beschäftigen, irgendwelche schönen, legalen Dinge machen. Ab 2008 haben wir dann angefangen, die Wände von Clubs, Büros und Restaurants zu bemalen.
Sergej: Der Übergang vom Streichen von Innenwänden zu Wänden auf der Straße war schwer. Es gab heikle Momente, in denen kein Geld da war und man sich entscheiden musste: Wollen wir Aufträge (und damit finanzielle Stabilität) oder den Kommerz hinter uns lassen und sich der Kunst widmen?
Mittlerweile können wir das vereinen – damals konnten wir das nicht, weil die Aufträge alle unsere Zeit beanspruchten. An einem Auftrag saßen wir zum Beispiel drei Monate, pausenlos. Da ist einem nicht mehr nach Kunst zumute. Das war damals ein Club in Almaty (die größte Stadt in Kasachstan, direkt an der Grenze zu Kirgistan, Anm.d.Red.), mit dem Namen „Blech“ – und alles sollte dem Namen entsprechend aussehen. Erst nach wiederholter Stagnation kamen wir wieder raus auf die Straße. In Almaty kam die Krise, und wir kehrten nach Bischkek zurück. Danach hatten wir zwei Monate frei.
Dmitrij: 2012 reiste ich zusammen mit Ewgenij Makschakow nach New York, wir wollten uns mit anderen Künstlern austauschen. Wir lernten New Yorker Künstler und Institutionen kennen, trafen uns mit Gabriel Specter, der auch Street-Art macht. 2014 kam er dann mit einem Projekt nach Kirgistan, das er mit uns gemeinsam realisieren wollte. Die amerikanische Botschaft zahlte alles. Sie gaben uns die Schule Nr. 12, dort konnten wir die Fassade verschönern. Das geschah nach einer Skizze von Gabriel, wir waren nur Gehilfen.
Sergej: Die Sache war nur, dass die Schule zwei Fassaden besaß. Als wir Gabriel geholfen hatten, die erste zu malen, entschied die Botschaft Ende des Sommers, als Zeichen des Dankes, dass wir die zweite Fassade bekommen sollten. Das war echt ein super Start-Art, damit fing für uns alles an! Wir malten „Aigul“ (zentralasiatischer Mädchenname, Anm. d. Red.). Man gab uns die Fassade und sagte „Malt, was ihr wollt!“. „Aigul“ hatten wir schon auf einer Ausstellung gemalt, zuerst auf Karton, für einen Wettbewerb. Die Idee fand Gefallen, und ich dachte, es wäre cool, als erste Arbeit eben diese „Aigul“ zu machen, da sie eine herausragende, interessante und lebendige Arbeit ist.
Ich hatte nicht erwartet, dass die Botschaft, als wir ihr zwei Varianten vorschlugen – mit Kopfhörern und ohne – sich die Version mit Kopfhörern aussuchen würde, also genau wie im Original. Sie baten nur darum, das „Apfel“-Logo zu ändern. Da machten wir daraus ein „Birnphone“ und malten anstelle des Apfels eine Birne.
Pläne für die Stadt – die kirgisische Kunst voranbringen
Sergej: Alle innovativen Ideen kommen von Dima, ich bin eher ein Mensch der alten Schule. Mir gefällt der Realismus sehr, Schischkin (russischer Maler des 19.Jh., Anm.d.Red.), Gemälde im Allgemeinen, und alle diese Experimente mit Street-Art – das ist Dima. In unserer Arbeit ist es zum Beispiel so: Ich male die Fassaden, auch Portraits, Falten, Landschaften. Dima hingegen malt die Grafiken, alles, was mit moderner Kunst zusammenhängt.
Das letzte Jahr, 2015, war sehr gefüllt. Wir haben sechs Fassaden gemalt, was für Bischkek ziemlich viel ist. In Zukunft wollen wir auch in die anderen Oblaste (Verwaltungsgebiete Kirgistans, Anm.d.Red.) fahren und dort Installationen machen. Wir wollen uns eine kleine Verschnaufpause von den Fassaden gönnen.
Dmitrij: Wir suchen momentan den visuellen Teil, versuchen, unseren Arbeiten einen Sinn zu geben. Wir befinden uns ständig auf der Suche nach Material, Umsetzungen, interessanten Arbeiten, experimentieren mit Größe, Farbe und Licht; aber dabei darf man nicht die Idee vergessen, sie ist das absolut Wichtigste.
Sergej: Außerdem haben wir die Idee, die kirgisische Kunst voranzubringen und mit Semjon Tschujkow, der sehr coole Arbeiten gemacht hat, anfangen zusammenzuarbeiten. Wir wollen der Jugend die Coolness unserer Kunst nahebringen, auf diesem zeitgemäßen Weg. Damit die Menschen sich zum Beispiel daran erinnern (viele tun es nämlich schon nicht mehr), wer die Tochter des sowjetischen Kirgistan ist.
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Dmitrij: Mittlerweile arbeiten wir schon mit örtlichen Institutionen zusammen. Es gibt ein Projekt, das wir schon lange verwirklichen wollen: Die Bemalung der Brücken auf der Sowjetstraße. Jetzt kommen die Leute uns in dieser Frage schon entgegen. Während es früher schwer war, zu erklären, dass Street Art cool und klasse ist, kann man jetzt am Beispiel anderer Städte zeigen, wie offen die Stadtplaner jetzt für solche Dinge sind.
Sergej: Wir befinden uns diesbezüglich in einer Marktlücke. Also im Prinzip wollen die Menschen Street-Art, aber wer soll es machen? Es gibt viele Künstler, aber mit dieser Kunstform beschäftigt sich so gut wie keiner. Mittlerweile gibt es darüber viele Informationen. Natürlich wäre es seltsam wenn keiner von uns beiden sich in einem solchen Kontext auch im Street-Art ausprobieren wollen würde. Es gibt sehr viele Street-Arter, die auf der Straße angefangen haben und jetzt sehr gefragt sind.
Ich bin ein relativ zynischer Mensch. Ich sehe supergute Möglichkeiten, als Maler auf Weltniveau zu gelangen. Auch vor dem Hintergrund, dass ich aus Kirgistan bin – sich genau damit einen Namen zu machen. Das örtliche Kolorit zu nehmen und mit ihm zu arbeiten, denn auf der Welt gibt es Millionen von Künstlern und alle sind sie sich ähnlich, und es ist sehr schwer, sich aus dieser Masse abzuheben, aber wir haben diese krasse Möglichkeit. Ich kann nicht behaupten, dass ich das örtlichen Kolorit besonders intensiv studiere, aber mir gefallen unsere Persönlichkeiten, Gesichter, unsere Mimik…
Im Russischen Original auf Walkerstory.com erschienen
Aus dem Russischen übersetzt von Katharina Kluge