Hip-Hop, entstanden in den 1970ern in Amerika, ist schon längst zu einer Weltkultur geworden, die sich in jedem neuen neuen kulturellen Umfeld weiter verwandelt. Zentralasien macht da keine Ausnahme, wie ein schneller Überblick die Rapmusik aus der Region zeigt.
Hip-Hop ist laut Spotify weltweit die beliebteste Musikrichtung. Zentralasien gehört zwar nicht zu den Gebieten, die vom schwedischen Streamingdienst abgedeckt werden, bietet aber sehr aktive und zunehmend professionelle Rap-Szenen, mit teils großem kommerziellen Erfolg.
Das gilt in erster Linie für Kasachstan, das über die größte Musikindustrie der Region verfügt. Aber auch der kirgisische Rap hat längst seinen Weg in die erste Reihe der lokalen Popkultur gefunden. In Usbekistan, Tadschikistan und Turkmenistan ist die staatliche Kontrolle über den kulturellen Sektor stärker, was die dortigen Rap-Szenen entweder in die Komformität oder außerhalb der offiziellen Kanäle drängt.
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Auch die in weiten Teilen der Region verbreitete Mehrsprachigkeit spiegelt sich im Rap wieder. Den russischsprachigen Künstlern steht ein größeres Zielpublikum offen, der Großteil der zentralasiatischen Rapper zieht jedoch ihre jeweilige Nationalsprache vor. Auch in Sachen Themensetzung und gesellschaftlicher Einstellung unterscheiden sich die jeweiligen Szenen.
Durch grenzüberschreitende Kollaborationen, wie turkmenische Rapper als Featuring auf türkischen Alben oder Zeilen wie „Du hast keinen Platz auf meiner Street, ganz egal ob Bischkek oder Piter (ugs. für Sankt Petersburg)“ zeigt sich der zentralasiatische Rap schließlich als lebendiger Teil der Weltkultur Hip-Hop. Als Teaser hier eine -natürlich unvollständige und subjektive – Liste von zehn bemerkenswerten Rapstücken aus allen fünf zentralasiatischen Ländern.
- Skriptonit – Stil (Kasachstan/ Russland – 2015)
„Links ein Bruder, rechts ein Bruder, das nenne ich nicht „Koresch“ [Russländischer Slang für „Kumpel“]
Denn ich bin aus Pawlodar, wie Du weißt“
Mit seinem unartikulierten, atmosphärischen Flow und seinen Texten aus der Lebenswelt eines nordkasachstanischen Kleinstädters gehört Skriptonit längst zu den beliebtesten Rappern in Russland. Er selbst bezeichnet seine Musik aber gerne als „kasachstanischen Rap“: „Ich habe Glück, dass ich aus Kasachstan komme. Ich hatte wenig mit russischen Rappern zu tun und kaue sie nicht wieder“, sagte der 27-jährige Adil Dschalelow vor kurzem im Interview mit der russischen Journalistin Ksenija Sobtschak.
Skriptonits Texte drehen sich um seine Erfahrungen als Kind und Jugendlicher im Gebiet Pawlodar, im Nordosten Kasachstans. In Stil, von seinem ersten Album „Dom s normalnimi jawlenijami“ (2015 – Haus mit normalen Erscheinungen, eine Anspielung an den russischen Titel des US-Films Ghost Movie), bietet er ein Porträt seines Viertels, das „nach Gras gemischt mit Hugo (Hugo Boss Parfum) stinkt“. Seinen Durchbruch erreichte Skriptonit bereits 2013 mit VBVVCTND (Kürzel für eine „Wahl ohne Auswahl, alles, was Du uns gegeben hast“). Dort heißt es: „Schau in den Fernseher, dort bist Du wie Alice im Wunderland“. Durch den Vertrag mit dem russischen Label Gazgolder und einen Umzug nach Moskau ist ihm der Sprung durch’s Kaninchenloch jedenfalls geglückt.
- Baller – Armandar oryndalady (Kasachstan – 2017)
„Träume werden wahr
Wenn das Ziel klar ist
Mit Geduld und Vertrauen“
Nimmt man Skriptonit als Vertreter der North-Side des kasachstanischen Raps, so steht Baller für die South-Side, oder auch Schymside, wie er selber sagen würde. Der 24-jährige Künstler stammt aus Schymkent, das „Texas Kasachstans“ laut der „Texas Monthly“. Seine musikalische Laufbahn begann 2008, als er Mitglied des Schymkenter Labels 11-Block wurde. Natürlich ist eines seiner früheren Stücke auch seiner Heimatstadt gewidmet.
Baller rappt überwiegend auf kasachisch, spielt aber in seinen Texten mit dem im Rap schon üblichen Code-Switching mit russischen und englischen Vokabeln. Heute gehört er zu den beliebtesten Rappern in Kasachstan und erhielt im September 2017 sogar den Preis für das Beste Hip-Hip Projekt bei den Eurasian Musik Awards 2017. Träume erfüllen sich, wie er eines seiner jüngsten Stücke betitelte.
- Zamanbap – Ene Til (Kirgistan, 2015)
„Dieses Werk gehört mir, meiner Mutter, allen, die es verstehen, dir…“
https://www.youtube.com/watch?v=5aSSA6sLfTg
Vor zwei Jahre landete die bischkeker Gruppe Zamanbap (Modern) mit „Ene til“ (Muttersprache), eine Ode an die kirgisische Sprache, einen kleinen Hit. Die drei Rapper Begisch, Bajastan und Casper, pflegen dabei eine Ästhetik zwischen traditionellen kirgisischen Motiven und Hip-Hop vor einem eingängigen Text, der zur Würdigung der kirgisischen Sprache aufruft.
Die Musiker von Zamanbap sind jeweils schon gut zehn Jahre im Geschäft und heute an vorderster Front der aufstrebenden kirgisischsprachigen Rap-Szene. Gemeinsam mit ihren russischsprachigen Kollegen von Troeraznikh (drei verschiedene), nahmen sie das Titellied der beliebten Comedyserie Dscharajt City auf, dessen vierte und letzte Staffel gerade bei Youtube und im kirgisischen Fernsehen erscheint.
Zamanbaps Musik ist nicht nur durch die kirgisische Sprache geprägt, wie sie in Interviews betonen: „Unsere Mentalität basiert nicht auf smoking weed und drink Alcohol usw., wir schreiben unsere Tracks ganz anders als in Amerika und in anderen Ländern. Das ist unser kirgisischer Rap“, so Bajastan im Interview mit dem Kanal Mosgi na Wynos. Familientauglicher Rap also, ganz im Sinne der kirgisischen Identitätsfindung.
- 7gen – 1916 (Kirgistan – 2015)
„Unter einem Himmel, einer Einheit ein Weg
Vor einem Tündük, Nord und Süd seid eins!“
https://www.youtube.com/watch?v=uC5aQSn4CKo
Auch der kirgisischsprachige Rapper 7gen (Dschetigen) rappt überwiegend über Kirgistan, gerne auch mit politischem Einschlag. Das Stück 1916 dreht sich um die Aufstände von Einwohnern des russischen Zentralasiens gegen ihren Einzug an die Front des ersten Weltkriegs. Der sogenannte „Ürkün“ (Exodus) wurde blutig unterdrückt und führte unter anderem Tausende Kirgisen ins Exil nach China oder Afghanistan. 2016 jährte sich das Ereignis zum 100. Mal – eine Gelegenheit, die Kirgisen jenseits ihrer Regionalismen zur Einheit aufzurufen.
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Der junge Rapper und Absolvent der kirgisisch-türkischen Manas Universität ist das siebte Kind in seiner Familie und wurde zudem im siebten Monat des Jahres geboren, woher er auch seinen Künstlernamen zieht. Er arbeitet mit dem Produktionsfirma 45 TV zusammen, neben TopTash eine der zwei Hochburgen des Hip-Hops in Kirgistan. 7gens Texte bieten eine Fülle von Referenzen an das kirgisische Selbstverständnis: „Mein Vaterland, mein Land ist Kirgistan/Schaue ich in den Himmel, geben mir die Sterne Hoffnung“, heißt es im Stück Dajar Bol (Sei bereit), dass das Album Kyrgyz bol (Sei Kirgise) eröffnet und auf soziale Ungerechtigkeiten und die Spaltung der Gesellschaft eingeht.
- Shochruch – Hayolimdasan (Usbekistan, 2005)
„Jeden Tag, meine Liebe,
Jede Nacht, meine Liebe
Du bist ständig in meinen Träumen, meine Liebe“
Shochruch gehört, zusammen mit zahlreichen Underground Künstlern in der Region, bereits zu der älteren Generation des zentralasiatischen Raps. Erstmals wurde er 2004 mit einem im Fernsehen verbreiteten Videoclip in Usbekistan bekannt. Es folgten die zwei Alben Balandda (in der Höhe) und Bolaligim (meine Jugend), ehe er 2007 eine künstleriche Pause einlegte. Auf ersterem ist auch das Stück Hayolimdasan (Du bist in meinen Träumen) zu finden, ein Liebeslied auf orientalisch angehauchtem Beat.
Seit ein paar Jahren ist der heute 31-jährige Künstler wieder aktiv. Mit Rap-Musik oft assoziierte Tabubrüche findet man in seinen Stücken kaum. Auf seinem Instagram-Konto stellt Schochruch sich zuerst als Mitglied der regierenden „Liberaldemokratischen“ Partei Usbekistans vor.
- Konsta – Blabla (Usbekistan, 2017)
„Ich bin früh in einer Bar aufgewacht
hab verstanden, dass es hier kein ‚Paradize‘ gibt“
Konsta, eine neuere Erscheinung in der überschaulichen usbekischen Rap-szene, schließt stilistisch mehr an zeitgenössigen US-rap als an traditionelle usbekische Musik an. Der junge Künstler aus Guliston, begann seine musikalische Laufbahn 2009 als Student. Sein erstes Stück T.B.U.K.K. schrieb er in russischer Sprache.
Seitdem hat er seine Kunst zwischen seinen Aufenthalten in Moskau und in Usbekistan verfeinert und schreibt den Großteil seiner Stücke auf Usbekisch. Bemerkenswerterweise ist er einer der wenigen zentralasiatischen Rapper mit einer eigenen Webseite.
BlaBla, kurz vor dem Jahreswechsel erschienen, ist Konstas neuestes Musikvideo. Vor dem Hintergrund des Stadtbildes der aserbaidschanischen Hauptstadt Baku geht es dabei um seinen künstlerischen Werdegang und um die Schwierigkeiten, sich im Ausland durchzuschlagen. „Willst Du es hier schaffen, mach es mit ‚Vitamin B‘. Wer hier Arbeit sucht, tut es immer wieder“, heißt es etwas weiter in dem Stück. Womöglich eine Anspielung auf die knapp zwei Millionen Usbeken, die in Russland ihr Geld verdienen.
- Master Ismail/ M.One – Assalom Alaykum (Tadschikistan, 2017)
„Ich mache tadschikischen Rap wie Tupac“
Master Ismail ist seit 1999 im Rapgeschäft und gehört schon längst zu den bekanntesten Rappern Tadschikistans. Seine Karriere baute er zwischen Tadschikistan und Russland, wo er jährlich zwei bis sechs Monate verbrachte. Auch seine Stücke sind teils in russischer, teils in tadschikischer Sprache geschrieben.
Zu Beginn der 2010er zählte Asia Plus Master Ismail zu den regimekritischen Rappern des Landes. Im russischsprachigen Stück „Rachmon, auf Wiedersehen“, widmete er sich zum Beispiel der Korruption und der schlechten Wirtschaftslage, die viele junge Tadschiken ins Ausland treibt. Doch wie viele seiner Kollegen brachte der Druck der Behörden auch ihn zu einer inhaltlichen Kehrtwende. In seinen neueren Stücken ist nicht nur die Tonqualität geschliffen, auch die Texte haben an politischer Schärfe verloren.
Assalom Alaykum ist ein Beleg dafür, dass auch Autotune Zentralasien erreicht hat. Mit einem Gruß „an alle im In- und Ausland“ leitet Master Ismail ein weiteres patriotisches Lied über seine Heimat ein („Watan“ auf tadschikisch, das wie ein Leitmotiv zu hören ist). Egal, wieviel er herumgekommen ist, es zieht den Rapper immer wieder nach Tadschikistan, genauer gesagt nach Duschanbe, der „besten Stadt der Welt“, wie er in Ponedel’nik (Montag auf Russisch, eine Anspielung auf die Bedeutung von Duschanbe) hervorhebt.
- Bacha84 – Tok’i Todschiki (Tadschikistan, 2012)
„In der Tok’i ist liegt das ganze Geheimnis“
https://www.youtube.com/watch?v=ONWb7vx0DxU
Bachtior Kosimows Bühnenname Bacha84 leitet sich von seinem Wohnort ab, dem Mikrorajon N°84 in Duschanbe. Der 29-jährige Künstler begann seine musikalische Karriere im Jahr 2002 mit einem Stück, das er auf einer KWN-Veranstaltung (ein aus Sowjetzeiten stammender Comedy-Wettbewerb) sang. Wie er im Interview mit VIPZoneOnline erzählte, weckte seine Mutter, die für eine internationale Organisation arbeitete, sein Interesse für Rap.
Bacha ist vor allem für seine Liebeslieder bekannt. Stücke wie In oschiki (Das ist Verliebtsein) oder Dili Dewona (Verrücktes Herz) liefen zu ihrer Zeit in allen Taxis des Landes. Im Tok’i Todschiki (Tadschikische Tok’i, also eine typische „nationale“ Kopfbedeckung in Tadschikistan) erzählt er dem Zuhörer, wie sehr er an seiner Tok’i hängt, die er selbst auf Aufforderung von Jennifer Lopez nicht ausziehen würde. Neben den obligatorischen patriotischen Stücken berührt Bacha84 teils auch soziale Themen und ein kürzlich in Duschanbe eröffnetes Soziales Café trägt den Namen seines Stücks Dar jak samin (auf einer Welt).
- Godek, Vagrant, Zumer & BlackShadow – Demir Tiken (Turkmenistan, 2012)
„Ich bin sehr schnell erwachsen geworden
Die Zeit hat mich gelehrt
Von meinen Straßen habe ich Mut und Eifer gelernt“
https://www.youtube.com/watch?v=SKZ-BOKOs_w
Die turkmenische Rap-Szene ist ohne Zweifel die unbekannteste Zentralasiens. Hip-Hop Kultur passt schlecht in das stereotypische Bild eines allmächtigen totalitären Staats mit irrwitziger Propaganda. Dazu schrieb ein gewisser Khan vor ein paar Jahren auf NewEurasia: „Die Außenwelt denkt, wir Turkmenen leben in ständiger Angst vor unserer Regierung. Nicht ganz, viele von uns merken nicht einmal, dass etwas nicht stimmt. Nein, meistens sind wir nur gelangweilt… […] Die junge Generation hat wirklich nichts zu tun. Deswegen lieben sie Hip-Hop.“
Laut Khan kann man turkmenischen Hip-Hop bis 2000 zurückverfolgen. Aber erst mit Zumer, der letzte MC in diesem Stück, kam die Szene richtig in Schwung. Der Rapper, der an einer türkischen Universität studiert hat und auch viel Zeit in der Türkei verbringt, gilt als Vater des turkmenischen Raps. Mit seiner Gruppe Darkroom Posse vertritt er die turkmenische West-Side, oder Balkan-Side.
Um Zumers Heimatstadt Türkmenbaschi (ehemalig Krasnowodsk) geht es auch im Stück Demir Tiken (Stacheldraht), ein nachdenkliches Stück über die Jugend auf den Straßen vom „dunklen Paradies“, wie die Stadt genannt wird. „Meine Beine verfangen sich in diesem Stacheldraht“ – eine Metapher für die Lektionen, die die Straße den jungen Leuten erteilt hat.
- Ulykazy – Ekskurs (Turkmenistan, 2015)
„Ich weiß nicht mehr, wieviele Frauen ich hatte
Manchmal treffe ich eine von ihnen auf der Straße
Und das Leben erinnert mich an die Vergangenheit“
Neben den städtischen Räumen wie Türkmenbaschi und Aschgabat, vor allem vertreten durch Zumers ehemaligen Diss-Gegner Syke, entwickelt sich der turkmenische Rap auch viel im Ausland. In erster Linie in der Türkei, die sprachlich naheliegt und in die turkmenische Staatsbürger visafrei einreisen können, aber auch in Russland gibt es lokale Rap-Gemeinschaften und Konzerte in turkmenischer Sprache.
Der junge Rapper Ulykazy, wie Zumer aus Turkmenbaschi und vom Jahrgang 1988, wie er in seinem Stück Biographie erwähnt, bietet uns hier einen Exkurs durch sein Liebesleben. Auch er nimmt seinen Clip im Ausland auf, in der belarussischen Hauptstadt Minsk.
Bonus Track: Syng Syng (Kasachstan, 2017)
“Weißes T-shirt, verrückte Brille…“ mit ihrem bisher einzigen Musikvideo Syng-Syng bricht das Youtuber-Kollektiv Jokeasses aus Almaty (Kasachstan) Rekorde. Bereits über 14 Millionen Views bei Youtube verbuchte das Stück in drei Monaten. Geschrieben in einem Gemisch aus Kasachisch und Russisch, durchsetzt mit Anglizismen und name-dropping aus der Pop-Kultur („Hier und da, Tom & Jerry, Katy Perry, Jim Carrey“) ist es eine bunte Rap-Parodie, und ein wahrer Ohrwurm…
Florian Coppenrath
Mitgründer von Novastan.org
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