2015 war kein einfaches Jahr für Zentralasien. Es brachte fast allen Ländern der Region einen starken wirtschaftlichen Rückfall und eine Verschärfung der Sicherheitslage. Was erwartet Zentralasien 2016? Ein Überblick von der kasachischen Redaktion von Radio Free Europe/ Radio Liberty.
Wie soll mann das Jahr 2015 bewerten: Ein vorläufiger Rückfall oder die ersten Zeichen einer langfristigen Änderung zum Schlechteren?
(Wieder-)Wahlen
In fast allen Staaten der Region wurde gewählt. Zuerst in Tadschikistan, wo die Parlamentswahl am 1. März das Ende des politischen Pluralismus einläutete. Zum ersten Mal in 18 Jahren sitzt seitdem kein einziger Oppositionspolitiker im Parlament. Nicht nur das: Die größte Oppositionskraft, die „Partei der Islamischen Wiedergeburt“, wurde im September gerichtlich verboten und schließlich als extremistische Gruppierung eingestuft.
Die Präsidentschaftswahlen in Usbekistan (29. März) und Kasachstan (26. April) brachten kaum Überraschungen. Der kasachische Präsident Nursultan Nasarbajew und der usbekische Präsident Islam Karimow sind beide seit den ersten Tagen der Unabhängigkeit an der Macht und nach offiziellen Angaben wurden beide von mehr als 90% der Wähler in ihrem Amt bestätigt.
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Allein die kirgisische Parlamentswahlen, die am 4. Oktober gehalten wurden, können optimistisch stimmen. Die Direktorin der kirgisischen Redaktion von Azattyk Wenera Dschumatajewa bezeichnete sie als ein bedeutendes Ereignis für die kirgisische parlamentarische Demokratie. Ein bestandener Stresstest für das einzige parlamentarische System in der ganzen Region.
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Die Wahlen verliefen gewiss nicht reibungslos und die neuen Abgeordneten müssen erst beweisen, dass sie den hohen Erwartungen ihrer Wählerschaft gerecht werden können. Nichtsdestoweniger war der Wahlkampf der beste in der neueren Geschichte Zentralasiens.
Für die zentralasiatische Wirtschaft war 2015 kein gutes Jahr. Sie zeigt Symptome tiefgreifender Probleme, die von einigen externen Faktoren weiter verschärft werden.
Rückzahlungen im freien Fall
Die wirtschafltiche Krise in Russland hat direkte Auswirkungen auf Zentralasien. Einige der Staaten sind stark abhängig von den Rückzahlungen ihrer Migranten. So haben die niedrigen Öl- und Gaspreise und die westlichen Sanktionen gegen Russland durch den starken Wertverlust des Rubel auch die Millionen Arbeitsmigranten aus Zentralasien getroffen.
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Über viele Jahre haben Millionen Menschen aus Usbekistan ihr in Russland verdientes Geld zurück in die Heimat gesendet. 2013 waren es ca. 6,6 Milliarden Dollar. Wie der Korrespondent der usbekischen Redaktion von Azattyk Siroschiddin Tolibow berichtet sind die Rückzahlungen im vergangenen Jahr aufgrund des schwachen Rubels um 40% gesunken. Einige der Migranten kehren nach Usbekistan zurück und führen die Arbeitslosenzahlen dort weiter in die Höhe.
Kirgistan und Tadschikistan sind ebenfalls betroffen. Sie gehören zu den Ländern, deren Wirtschaft weltweit am meisten von den Rückzahlungen ihrer Migranten abhängt. Dem regionalen Trend folgend hat der kirgisische Som in den letzten Monaten stark an Wert verloren. Die Preise sind etwa um 50% gestiegen, so Wenera Dschumatajewa. Sie fügt hinzu, dass dadurch die Hälfte der Baufirmen in Kirgistan an den Rand der Pleite getrieben wurden. Auch die Landwirtschaft reagiert empfindlich auf die schlechte wirtschaftliche Lage.
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In Kasachstan bekam man zu Jahresbeginn für einen Dollar 180 Tenge, heute liegt der Dollarkurs bei 330. Als Hauptursachen gelten der Preisrückgang des Öls, der Hauptexportware des Landes, und die wirtschaftlichen Schwierigkeiten der zwei größten Handelspartner: Russland und China.
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Die niedrigen Erdgaspreise führten in Turkmenistan zu ähnlichen Problemen. Von dort kamen erstmals seit vielen Jahren Berichte über die Streichung von Arbeitsplätzen im Erdgassektor und über Streiks der Gasarbeiter im Lebalsk-Gebiet.
Sicherheitsprobleme
Die Sicherheitslage in der Region wird oft als angespannt dargestellt. Besonders in Hinsicht auf die Lage in Afghanistan, das an drei zentralasiatische Staaten grenzt, sind die lokalen Behörden in Alarmbereitschaft. Laut einiger Experten werden die Sicherheitsprobleme in der Region jedoch überzogen dargestellt und von lokalen Machthabern als Vorwand zur Stärkung ihrer Machtposition genutzt.
Ende 2014 wurde der größte Teil des ausländischen Militärkontingents aus Afghanistan zurückgezogen. In den früher eher ruhigen nördlichen Gebieten des Landes kam es zu Gewaltausbrüchen. Ende September wurde die Hauptstadt der Kundus-Provinz in der Nähe der tadschikischen Grenze für ein paar Tage von den Taliban eingenommen. Die Gefechte in Afghanistan reichten in den letzten Monaten mehrmals bis an die turkmenische Grenze.
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Dazu verstärkte sich die Bedrohung durch den Islamischen Staat (IS). Hunderte Einwohner Zentralasiens zogen nach Syrien und in den Irak, um sich dem IS anzuschließen, wobei die genauen Zahlen sehr umstritten sind. Die meisten von ihnen sind in Russland rekrutierte Arbeitsmigranten. Andere, einschließlich des ehemaligen Kommandeurs der tadschikischen Polizeisondereinheit OMON, kommen aus ihren Heimatländern zum IS.
Die Regierungsbeamten Russlands sprachen das Jahr über von einer wachsenden Bedrohung des IS in Zentralasien. Den zentralasiatischen Regierungen nutzen dies zur Initiierung von Gesetzen und anderen Maßnahmen, die innere Regimegegner neutralisieren sollen, ob religiöse oder säkulare.
Bruce Pannier und Alissa Walsamaki
Redakteure für RFE/RL
Aus dem Russischen übersetzt von Florian Coppenrath