In den letzten Wochen rollt in Kasachstan eine Welle der Chinaphobie durch das Land. Kaktakto sprach hierüber mit den PolitologInnen Aygul Omarowa und Schaksylyk Sabitow. Wir übersetzen den Artikel mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.
In letzter Zeit lässt sich in Kasachstan ein richtige Welle der Chinaphobie beobachten. In den sozialen Netzwerken erscheinen Posts, deren AutorInnen ihren Hass auf ChinesInnen ergießen und es tauchen Videos auf, in denen wackere kasachische Dschigiten ihre Landsfrauen ermahnen keine Chinesen zu heiraten und nicht – Obacht! – die Heimat zu verraten.
Am 2. Juli wurde bekannt, dass eine Gruppe junger Leute nachts auf das Gelände eines chinesischen Unternehmens in Schymkent gedrungen war, um Vergeltung zu üben. „Dies sind die Adler des Wohngebiets Schuldys der Stadt Schymkent im Turkestaner Gebiet. Es sind circa 100 Mann zusammengekommen. Wir haben uns versammelt um die Chinesen zu vertreiben“, schreibt in den sozialen Netzwerken ein Autor eines Videos.
Ein Vater einer Kasachin, die einen Chinesen geheiratet hat, erzählt, dass ihn aufgrund der Wahl seiner Tochter ständig Bedrohungen erreichen. „Seit dem 15. Juni gibt es aggressive Übergriffe und Kommentare von mir bekannten und unbekannten Personen. Seitdem erreichen mich aus der Weite des Internets Bedrohungen und Beleidigungen, Anrufe von mir nicht bekannten Leuten, Verwünschungen meiner Sippe, bis hin zur Verbreitung von persönlichen Bildern und Daten, die nur engen Freunden zugänglich waren, mit dem Hinweis, dass eine Kasachin einen Chinesen geheiratet hat. Zu meiner Verwunderung befördern einige in Kasachstan prominente Persönlichkeiten den Völkerhass und verbreiten in den sozialen Netzwerken und in der Presse Bilder und Videos unserer Familie mit Kommentaren. So wächst das gesellschaftliche Interesse an dem interethnischen Konflikt“, erzählt Askar Suleymen.
Aygul Omarowa: Kampf der Interessensgruppen
„Das Erscheinen verschiedener Videos, Posts und Gerüchte verschiedener Art, die sich gegen ChinesInnen im Land richten, hängt von mehreren Faktoren ab. In erster Linie kann man das mit der Angst der KasachstanerInnen vor dem östlichen Nachbarn erklären, dessen Bevölkerung unsere um ein Hundertfaches übertrifft. Die Leute fürchten, dass eine Assimilierung stattfindet und es weder KasachInnen, noch RussInnen oder andere Völker geben wird. Des Weiteren sorgen sich die KasachstanerInnen um ihr Territorium und die Souveränität des Landes. Und diese Furcht ist berechtigt, da es wenig KasachstanerInnen gibt und niemand ein so großes Territorium verteidigen kann.
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Wie wir SinologInnen versichern, plant die chinesische Führung aber nicht Kasachstan einzunehmen – gibt es doch in China genug innere Probleme. Die sich entwickelnde Aggression gegen ChinesInnen auf derzeitigem Niveau kann man als zielgerichtete Politik werten, die einzelnen Machtgruppen entgegenkommt. Es ist wahrscheinlich, dass sich die Aggression gar nicht direkt gegen die ChinesInnen richtet, sondern gegen Oligarchengruppen, die wirtschaftliche Verbindungen zu China haben.
Gleichzeitig ist es beunruhigend, dass die Hysterie in Bezug auf China auf die BürgerInnen unseres Landes übergegangen ist. Es geht soweit, dass im Internet Videos auftauchen, in denen aufgerufen wird keine ChinesInnen zu heiraten. Solche Tatsachen sprechen für eine zielgerichtete Arbeit um unter der Bevölkerung die Stimmung gegen BürgerInnen Chinas aufzuheizen. Und das ruft Beunruhigung hervor, da es dabei nicht bleiben muss.
Es gibt noch einen Grund zur Beunruhigung. Ständig vermehren sich die Gerüchte, dass chinesischen ArbeitnehmerInnen mehr bezahlt werden würde als den örtlichen MitarbeiterInnen, dass sie bessere Arbeitsbedingungen haben als die KasachstanerInnen. Und hier muss die Staatsmacht das Wort ergreifen. Es ist notwendig alle Unternehmen mit chinesischem Kapital dahingehend zu überprüfen, damit solche Reden erst gar nicht entstehen. Und wo sich solche Gerüchte bestätigen, müssen Arbeitsbedingungen entsprechend den Gesetzen Kasachstans umgesetzt werden. Und das Gehalt muss gleich sein. Wenn sich die Gerüchte als wahr erweisen und die Situation sich nicht ändert, kann dies äußerst bedauerliche Folgen für jene haben, die an der Macht sind. Es kann sein, dass sie an dem Ast sägen, auf dem sie sitzen.“
Schaksylyk Sabitow: Natürlicher Rechtsruck
„Was antichinesische Aktivitäten in Kasachstan betrifft, so sehe ich hier keine zielgerichtete Politik. Hier sind einige Faktoren miteinander verflochten. Erstens die irrationale Angst vor dem großen, östlichen Nachbarn. Unter DemografInnen gibt es den Witz: „Die Bevölkerung Kasachstans entspricht der statistischen Fehlertoleranz bei einer Volkszählung in China.“ Das sagt alles über die Bedeutung Chinas und „demografische Nichtigkeit“ Kasachstans. Und das erschreckt viele schon unterbewusst.
Zweitens ist es unumgänglich zu erwähnen, dass China sich in letzter Zeit sehr aggressiv gegenüber ethnischen Minderheiten verhält. Es herrscht eine Politik der Assimilierung von Mongolnnen, TiberterInnen, KasachInnen und UigurInnen.
In Xinjiang wurde praktisch ein Polizeistaat aufgebaut, der zeitgleich einen Kampf gegen den Islam und gegen die uigurische und kasachische nationale Identität führt. Aus Sicht der chinesischen Regierung illoyale KasachInnen und UigurInnen schickt man in spezielle Umerziehungslager, wo man versucht ihnen eine allgemein-chinesische nationale Identität aufzuzwingen.
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Die chinesische Führung ist einerseits nicht von ethischen Bedenken in Bezug auf Menschenrechte belastet und strebt andererseits wie jedes Imperium danach, seine anders-ethnische Bevölkerung mit Gewalt zu halten. Die chinesische Führung hat aus dem Zerfall der UdSSR gelernt und ist nicht bestrebt ein solches Szenario bei sich zuzulassen. Deswegen wird die Politik der Assimilierung von KasachInnen und UigurInnen noch ausgebaut werden. Es ist nicht auszuschließen, dass in der nächsten Genration in China die kasachische Jugend die kasachische Sprache nicht mehr kennen und überwiegend auf Chinesisch sprechen wird. Angesichts dessen, was KasachInnen aus China über die Vorgänge im Land berichten, wächst die Sympathie gegenüber ChinesInnen in Kasachstan keinesfalls.
Drittens verhalten sich chinesische Unternehmen nicht immer korrekt in Kasachstan, was auch das Verhältnis belastet. Und viertens findet in Kasachstan ein Wandel der ethno-kulturellen Landschaft statt. Der Anteil der KasachInnen in der Bevölkerungsstruktur erhöht sich. Dies führt zum Erscheinen von WählerInnengruppen, die recht unfreundlich gegenüber „Fremden“ gestimmt sind. Das ist eine normale Situation.
In europäischen Ländern erhalten politische Parteien, die auf solche WählerInnengruppen ausgerichtet sind regelmäßig 10 bis 20 Prozent der Stimmen. Deswegen sind die antichinesischen Aktivitäten der letzten Zeit am ehesten ein Symptom dessen, dass sich in der politischen Landschaft Kasachstans Gruppen ultrarechter NationalistInnen eingerichtet haben, die derzeit noch keine politische Vertretung haben und möglicherweise auch noch auf lange Zeit nicht haben werden. Was die Folgen der „antichinesischen Aktivitäten“ betrifft, so denke ich nicht, dass sie einen ernsthaften Einfluss auf die innenpolitischen Prozesse in Kasachstan haben werden.“
Evgenij Andrejew auf Kaktakto
Aus dem Russischen von Robin Roth
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