Autoren haben’s schwer, Autorinnen haben’s schwerer. Kaum ein kasachischer Verlag, der weiblichen Nachwuchs fördert. Kaum eine Autorin, die in ihrem Schaffen nicht mit den Klischees der Literaturszene zu kämpfen hat. Hinzu kommt, dass sie ihre Arbeit noch immer zum Hobby verzärtelt sehen. Wie soll Frau auch ihren sonstigen häuslichen Verpflichtungen nachkommen? Unsere beiden Interviewpartnerinnen lassen sich so leicht nicht von ihrem Handwerk abbringen. Ein Gespräch über das literarische Schaffen als Frau in Kasachstan.
In diesem Artikel haben wir mit zwei Autorinnen aus Kasachstan gesprochen. Wir sprachen über die Stellung der Frau in der kasachstanischen Literatur, über Feminismus in der Prosa und coole Projekte für Schriftstellerinnen.
Die Autorinnen
Madina Bostambaeva
Autorin der Bücher „Erinnerungen aus Almaty“ und „Erinnerungen aus Akmolinsk“ (ehem. Name der Hauptstadt Astana; Anm. d. Ü.) und Gründerin des Estelikter-Verlags.
Alima Suleımenova
Gründerin von Aina, der ersten Online-Literaturzeitschrift für zentralasiatische Autorinnen.
Von der Idee bis zum Buch
Madina: Als ich 15 Jahre alt war, hatte ich eine Idee: Ich wollte die Erinnerung von Menschen aus verschiedenen Teilen der Welt sammeln und in einem Buch zusammenstellen. 2021 begann ich in Almaty ein Studium und setzte mich nebenbei akribisch mit der Stadt und ihren Bewohnern auseinander. Bald hatte ich genug Geschichten zusammen. Neben den Erinnerungen anderer Leute sind das auch viele persönliche Erinnerungen von mir.
Alima: Ich war viele Jahre lang im Verlagswesen für Kinderliteratur tätig, wo wir Weltbestseller für Kinder ins Kasachische übersetzt haben. Damals, 2014, war mir noch nicht in den Sinn gekommen, wie unterentwickelt unser heimischer Markt doch ist.
Im Laufe der Jahre kehrte ich der Kinderliteratur den Rücken, um mich der Literatur für Erwachsene zu widmen und machte mich auch selbst ans Schreiben. Das brachte mich unausweichlich dazu, darüber nachzudenken, was wir als Menschen einmal für unsere Nachwelt hinterlassen werden: Wer wird einmal die Geschichten lesen, in denen sich unsere Epoche widerspiegelt? Wie sollen wir unsere eigenen Werte und kulturellen Codes weitergeben, wenn wir hauptsächlich ausländische Literatur lesen? Aus diesen Überlegungen entstand das Projekt „Aina“.
Unterstützt Novastan – das europäische Zentralasien-Magazin
Als vereinsgetragene, unabhängige Plattform lebt Novastan vom Enthusiasmus seiner ehrenamtlichen Mitarbeiter:innen – und von eurer Unterstützung!Als Autorin in Kasachstan
Madina: Die Lage der Schriftstellerinnen in Kasachstan hat sich in den letzten Jahren deutlich verbessert. Frauen verschaffen sich immer aktiver Zugang zur literarischen Welt und verschaffen sich zunehmend Gehör.
Gleichzeitig treffen sie auf allerlei Schwierigkeiten und erhalten zum Beispiel kaum Unterstützung durch Verlage. Trotzdem schaffen immer mehr Autorinnen den Durchbruch, nicht nur in der Literatur, sondern in den Künsten allgemein. Aller Anfang ist schwer.
Alima: Für mich hat sich gerade vieles zum Guten entwickelt – die Lesekultur hat Fahrt aufgenommen und mit ihr entstehen neue Verlage, Zeitschriften, Schreibschulen und Buchklubs. Für die Verleger gilt nun, diesen Stimmen Gehör zu verschaffen und keine falsche Scheu bei der Akquise unbekannter Autorinnen zu zeigen.
Feminismus in der kasachstanischen Literatur
Madina: Ich bin froh, dass die kasachstanische Gesellschaft mittlerweile mehr über wichtige Themen wie Femizid und Frauenfeindlichkeit spricht. Mehr und mehr hören wir Geschichten, die offen über Tabuthemen sprechen – und das ist sehr wichtig. Die Veröffentlichungen von Mai Sara („Elliot“) oder Altynai Sultan („Ablösung“) sind dafür gute Beispiele – ehrliche Prosa über die traumatischen Erfahrungen, die viele Frauen erleiden.
Alima: Der Feminismus hatte sicherlich einen Einfluss auf die kasachstanische Literatur. Autorinnen nehmen sich der gesellschaftlichen Rolle der Frau an, überdenken sie, thematisieren die Frauenrechte und brechen mit Stereotypen. Dadurch weiten Sie den literarischen Horizont und schaffen einen Raum für ignorierte und tabuisierte Themen.
Ich könnte ihnen einen ganzen Strauß an Autorinnen nennen, ich kenne sie fast alle. Ihre Erfahrungen sind inspirierend. Sie motivieren mich, die taufrischen Texte auf unseren Schreibtischen endlich zu veröffentlichen. Da sind viele potenzielle Sterne dabei und es juckt mich in den Fingern, die endlich zum Leuchten zu bringen! Wir experimentieren gerne mit untypischen Texten, auch wenn das nicht jedem schmeckt. Aber wenn mir beim Lesen das Herz singt, muss der Text einfach unter die Leute!
Gesellschaftliche Erwartungen an Autorinnen
Madina: Autorinnen müssen häufig mit einer Reihe Stereotypen kämpfen. Einer der häufigsten ist, dass sie über traditionell „weibliche“ Themen schreiben müssen, über Liebe, Familienbeziehungen oder persönliche Erfahrungen. Das schränkt den thematischen Horizont ein, schadet der Kreativität und führt schließlich dazu, dass Werken von Frauen weniger Bedeutung zukommt.
Das Klischee will es so, dass Autorinnen sich nicht über die leichtverdauliche, weichgewaschene Literatur hinaustrauen. Was hart ist, sei den Männern vorbehalten. Wohin das führt? Dass Frauen ihre Gedanken lieber herunterschlucken, anstatt sie zu teilen.
Ich denke aber, dass diese Klischees allmählich ihre Bedeutung verlieren. Moderne Frauen überschreiben sie, indem sie sich neuen Themen und Formen annehmen, ihrer Kreativität freien Lauf lassen. Wichtig ist, dass sie ihre Kreativität nicht durch die Erwartungen des Publikums einschränken lassen und dass sie ihre wahren Gedanken und Gefühle aufs Papier bringen.
Lest auch auf Novastan: „Der Wechsel auf die lateinische Schrift wirkt bis heute nach“ – eine Autorin und eine Verlegerin über den usbekischen Literaturbetrieb
Alima: Man muss da eine Balance finden [zwischen ihrer inneren Welt und den gesellschaftlichen Erwartungen]. Zum einen müssen Frauen die bestehenden traditionellen Normen der Literatur beherrschen. Zum anderen müssen sie ihr Künstlerdasein mit dem familiären Alltag und sonstigen Verpflichtungen vereinbaren.
Um all diese Dinge auszubalancieren, brauchen die Autorinnen Gleichgesinnte an ihrer Seite, die sie unterstützen, ihre Stärken aus ihnen herauskitzeln und einen Raum schaffen, in dem sie keine Angst vor Verurteilung haben müssen.
Die Erfahrungen von Frauen in der Literatur werden nicht wertgeschätzt
Madina: Seit vielen Jahren gelten Werke von Frauen als simpler und weniger bedeutsam als die ihrer männlichen Berufskollegen, nicht nur in Kasachstan, auch im Ausland. Doch indem sich immer mehr Schriftstellerinnen weltübergreifenden Themen annehmen und ihr Fachwissen unter Beweis stellen, erkämpfen sie sich Sichtbarkeit und Wertschätzung.
Alima: Autorinnen erleben es häufig, dass ihre Arbeit nicht als ernsthafte Arbeit, sondern als Hobby wahrgenommen wird. Es gibt auch ein tief verwurzeltes Stereotyp, dass Frauen nur sogenannte „Frauenliteratur“ schreiben. Oder dass freizügige Literatur zwangsläufig skandalös ist. Meiner persönlichen Beobachtung nach sind die meisten zeitgenössischen Autoren Frauen. Deshalb würde ich mir wünschen, dass die Erfahrungen von Frauen in der Prosa nicht als zweitrangig betrachtet werden und dass ihre Stimmen gehört werden.
Selbst ist die Autorin
Madina: Mein Hauptproblem war anfangs erstmal der Mangel an Verlagen, also habe ich kurzerhand meinen eigenen, den Estelikter-Verlag, gegründet. Estelikter ist kasachisch für „Erinnerungen“. Sechs Monate lang suchte ich nach Sponsoren, vergebens. Ich automatisierte mein Verlagssystem und begann, mit Vorbestellungen zu arbeiten. Das führte uns in den ersten Monaten vor einige Probleme: Geldlücken, Betrüger und schlaflose Nächte. Doch der Kampf blieb nicht unbelohnt: Meinen 18. Geburtstag habe ich beim Finanzamt gefeiert und dort meinen Verlag angemeldet.
Alima: Mir ist aufgefallen, dass Autorinnen untereinander schlecht vernetzt sind – sie teilen ihre kreative Arbeit zwar mit einem kleinen Publikum auf Telegram-Kanälen oder Facebook oder schicken ihre Werke an Verlage, bekommen aber keine Antworten. Darum habe ich die Plattform „Aina“ ins Leben gerufen, um die weibliche Schaffenskraft zu bündeln.
Die kasachstanische Literaturlandschaft verändert sich
Madina: Ich denke, wir werden bald ein gesteigertes Interesse an Prosa und Poesie erleben. Denn die literarische Szene zählt seit einigen Jahren immer mehr Neuzugänge, männliche und weibliche, die die etablierten Traditionen hinterfragen und umdeuten.
Ich hoffe außerdem, dass die kasachstanische Literatur auch den Genres mehr Raum bietet, die bis dato noch als Nischenliteratur gilt – Science Fiction, Horror, Fantasy – und sich auf mehr Experimente in Form und Stil einlässt.
Natürlich wünsche ich mir auch eine Verbesserung der finanziellen Situation, sei es durch weniger Druckkosten, mehr Zuschüsse bei Veröffentlichungen oder Werbung. Je erschwinglicher Literatur für die Autorinnen und Autoren selbst ist, desto wahrscheinlicher finden ihre Bücher ein Publikum.
Alima: Eine bessere Finanzierung heißt auch, kostenlose Veranstaltungsorte für Lesungen bereitzustellen, Schriftstellerinnen auf den ersten Metern ausgiebig mit Informationen zu unterstützen und Wettbewerbe mit Geldprämien für Autorinnen jeden Alters auszuschreiben.
Zere Amangeldinova für The Village
Aus dem Russischen von Arthur Siavash Klischat
Noch mehr Zentralasien findet ihr auf unseren Social Media Kanälen: Schaut mal vorbei bei Twitter, Facebook, Telegram, Linkedin oder Instagram. Für Zentralasien direkt in eurer Mailbox könnt ihr euch auch zu unserem wöchentlichen Newsletter anmelden.