Seit kurzem liegt Kasachstans Tor nach Europa in Budapest. Genauer gesagt in der „Asztana utca”, einer Straße, die im Sommer dieses Jahres nach der Hauptstadt der zentralasiatischen Republik benannt wurde. Der neue Straßenname ist ein Symbol für die wirtschaftliche und politische Annäherung der letzten Jahre. Warum aber verstärkt Kasachstan seine Beziehungen gerade zu Ungarn? Welche Hoffnungen setzt Kasachstan in das sogenannte Brudervolk? Ein Blick hinter die Beziehung zweier ungleicher Partner. (Zu Teil 1 der Novastan-Reihe: Magyaren flüchten vor der Krise)
Aufwirbelnder Staub, hektisches Treiben auf Pferden – Kokpar wird gespielt. Nicht in der kasachischen Steppe, sondern in der ungarischen, in dem 3000-Seelendorf Bugac, das etwa 160 Kilometer entfernt von Budapest in der südlichen Tiefebene liegt. Hier findet jedes Jahr „Kurultáj“, das „Treffen der Stämme“ statt, wo unter anderem auch Vertreter aus Kasachstan mitmischen, um die „gemeinsame“ Vergangenheit aufleben zu lassen.
Kaum ein anderer als der Ungar István Kongur Mándoki widmete sichj intensiver der Erforschung der gemeinsamen historischen Wurzeln Ungarns und Kasachstans. Anders als sein Kollege, András Zsolt Bíró näherte sich Mándoki der Geschichte über die Turkologie. Zahlreiche seiner Publikationen geben Auskunft darüber, dass die Ungarn aus einem turkischen Reitervolk hervorgegangen seien. An den Ort wo vermeintlich alles begann, kehrte Mándoki am Ende seines Lebens auch zurück. Nach seinem Tod 1982 liegt er in Almaty begraben. Ein Teil seiner umfangreichen Bibliothek, insgesamt 16.000 Exemplare, wurden im vorigen September in die „Internationale Akademie für Turkologie”, in der über 1000 Kilometer entfernten kasachischen Hauptstadt Astana, überführt. Zu diesem Anlass unterstrich seine Ehefrau, Onaysha Maksumkyzy: „Er wollte immer, dass die turkischen Völker vereint sind.”
Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft – Rhetorisches Brücken schlagen
Der Präsident Kasachstans, Nursultan Nasarbajew spannt den Bogen von Mándokis Erbe bis in die Gegenwart: „Wir müssen in die Vergangenheit schauen, um die Gegenwart zu verstehen und die Zukunft vorauszusehen“, lautet ein berühmter Spruch des langjährigen Präsidenten. Die proklamierte „strategische Partnerschaft“ zwischen Ungarn und Kasachstan zeigt, dass Politiker beider Länder gern die kulturelle Nähe auf weitere Ebenen übertragen und somit die Vergangenheit zur Zukunft machen möchten. Denn während diplomatische Beziehungen bereits seit 1992 bestanden, weitete sich diese mit der Gründung des Ungarisch-Kasachischen Wirtschaftsrates 2012 auf eine enge wirtschaftliche Zusammenarbeit aus. Eine eigens errichtete Kommission widmet sich zusätzlich dem Kampf gegen Terrorismus und Drogenhandel.
Zu Beginn des letzten Jahres wurde die strategische Partnerschaft zwischen den beiden Ländern auf ein neues Niveau gehoben. Der Startschuss fiel im Februar 2014 als eine kasachische Delegation, allen voran der kasachische Außenminister Jerlan Ydyryssow, einem multilateralem Forum zur Annäherung zwischen der EU und Kasachstan in Budapest beiwohnte. Auf bilateraler Ebene stattete die Delegationen Kasachstans den ungarischen Ministern für Wirtschaft und Landwirtschaft Besuche ab. Auf konkrete Vereinbarungen legten sich beide Seiten zunächst nicht fest, sondern verblieben mit der Formel, eine engere Kooperation in Bezug auf Wirtschaft, Agrarwirtschaft sowie Bildung forcieren zu wollen.
Ideell wurde die Partnerschaft hingegen gestärkt. Der damalige ungarische Außenminister, János Martonyi hob dabei den vermeintlichen Abstammungmythos hervor: „Wir teilen eine gemeinsame Vergangenheit und Wurzeln. Wie in vielen Untersuchungen nachgewiesen wurde, befindet sich das historische Mutterland der Ungarn auf dem Territorium des modernen Kasachstans.” Perspektivisch würde sich Kasachstan für Ungarn als „Brücke in den Osten” erweisen. Ungarn, so Martonyi weiter, wäre im Gegenzug bereit als Kasachstans „Brücke in den Westen” zu fungieren.
Den Seychellen auf den Fersen – WTO Beitrittsverhandlungen
Der gleiche Tenor wurde im Mai und Juni letzten Jahres bei gegenseitigen Treffen zwischen den Premierministern Orbán und Mässimow in Budapest und Astana angeschlagen. Dort stand vermehrt die wirtschaftliche Kooperation zwischen beiden Ländern im Vordergrund. Orbán verwies in seiner Rede darauf, dass Kasachstan, zumindest wirtschaftlich, einer blühenden Zukunft entgegensteure.
Damit hat der ungarische Premier wohl auch auf den WTO-Beitritt Kasachstans angespielt. Die Beitrittsverhandlungen hängen nach zehnjähriger Verhandlungenphase letztlich an den rechtlichen Rahmenbedingungen zum Schutz einheimischer Hersteller und Arbeitskräfte sowie der Tarifharmonisierung. Wenn diese Punkte geklärt sind, könnte Kasachstan noch in diesem Jahr den Seychellen in die WTO folgen.
Für Kasachstan ist der Beitritt besonders durch die Gründung der Eurasischen Wirtschaftsunion (EAWU) von großer Bedeutung. Russland, das bereits seit 2012 Mitglied der WTO ist, hat seinen Markt und dadurch automatisch den gemeinsamen Wirtschaftsraum mit Belarus und Kasachstan für Drittstaaten geöffnet. Zwangsläufig fand auch ein Gros der WTO-Standards Eingang in die Vereinbarungen im Rahmen der EAWU, ohne dass Kasachstan jedoch von den institutionellen Vorteilen wie etwa den Streitschlichtungs-Mechanismen profitieren kann.
Dosen, Mais und Pestizide
Kasachstans Reichtum basiert nach wie vor auf dem Export von Rohstoffen, allen voran Erdöl. Hauptabnehmerland in Europa ist seit mehreren Jahren Italien.[1] Auch Deutschland kauft hier Erdöl ein – etwa jede vierte Tonne kommt aus Kasachstan.[2] Seit einigen Jahren versucht Kasachstans Regierung sich aus dieser Rohstoffabhängigkeit zu lösen. „Einer der potenziell entwicklungsstarken Wirtschaftssektoren Kasachstans sind die Landwirtschaft und die Verarbeitung landwirtschaftlicher Produkte”, hebt eine Analyse der Delegation der Deutschen Wirtschaft für Zentralasien hervor.
Es fehlt an langlebigen Geräten, Kühlhäusern und Silos. Die wenigen Fabriken konzentrieren sich zudem auf den Süden des Landes. So kann sich das Land trotz steigender Ernteerträge nicht selbst versorgen. Nach Angaben des Ministeriums für Landwirtschaft importiert Kasachstan aktuell etwa 40 Prozent der benötigten Milchprodukte, 29 Prozent Fleisch und etwa 40 Prozent Gemüse und Obst pro Jahr. In einer Marktstudie der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) heißt es: „Den Hauptgrund für die desolate wirtschaftliche Lage des Agrarsektors bildet die schlechte Finanzausstattung.”[3]
Und hier kommt Ungarn ins Spiel: Denn der Partner im Westen bringt neben Investitionen in die Industrieentwicklung auch den Import von Technologie für den Agar- und Lebensmittelsektor. Dulat Aitzhanov, der Leiter der staatlichen Agrar-Holding „KazAgro“ hofft, dass die Kooperation mit Ungarn die Lage der Verarbeitung landwirtschaftlicher Produkte verbesssern werde. Aitzhanov zeigt sich überzeugt, dass Spezialisten aus Ungarn helfen werden, die Probleme mit Produktionsqualität, zum Beispiel bei Fleisch und Milch, dem Mangel an innovativen Technologien und qualifizierten Arbeitskräften zu lösen. Ungarn ist schon seit der Sowjetunion für seine eigene Obst- und Gemüsekonserve bekannt.
Auch Nurbakh Rustemov, Kasachstans Botschafter in Ungarn, unterstreicht in einem Interview mit der Astana Times, dass man an den Erfahrungswerten bei der Optimierung und Automatisierung landwirtschaftlicher Produkte interessiert sei.
Aufblühen dank Ungarn?
Angesichts der desolaten Landwirtschaft hat die Regierung Kasachstans ein hochgestecktes Ziel. In dem Strategiepapier „Agrobusiness 2020“ plant Kasachstan 80 Prozent des Bedarfs an Lebensmitteln mit eigener Produktion abzudecken. Staatliche Subventionen wie bisher werden hier nicht reichen, also müssen ausländische Investoren gefunden werden. 2003 wurden dafür einige Erleichterungen eingeführt: beispielsweise die Befreiung von Zollgebühren oder Steuerbegünstigungen für juristische Personen. Ende 2014 gründete die ungarische Eximbank mit der staatlichen Holding „KazAgro“ einen Fond in der Höhe von 40 Millionen Dollar, um gemeinsame Projekte im Agrarsektor zu realisieren.[4]
Ein wichtiger Faktor besteht im ungarischen Saatgut. Ungarn gründete mit FLORA im Jahr 2012 ein eigenes Konsortium für die Belieferung des kasachischen Marktes mit Saatgut aus Ungarn. 25 000 Säcke Maissaatgut exportierte Ungarn im Vorjahr nach Kasachstan. Bald schon sollen es 60.000 werden, kündigte FLORA Ende des Vorjahres an. Geplant seien auch Exporte von Pestiziden. Weiters sollen Studien zu Maissorten auf kasachischem Boden durchgeführt werden.
Abseits des Agrarsektors möchte sich Kasachstan für ungarische Banken und Finanzinstitute, aber auch für andere Investoren attraktiv gestalten, so der Botschafter Rustemov. “Kasachstan interessiert sich für wichtige Medizin und medizinisches Equipment aus Ungarn”. In Astana hat bereits ein ungarisches Handelszentrum eröffnet. Unter der Führung von Premier Karim Mässimov wurde diesen Sommer auch ein Vertrag zum Transfer von Technologie und zur Investition im Umfang von 100 Millionen Dollar zwischen Alibi LLP und Tranzit-Ker Zrt unterzeichnet.
Ungarischen Medienberichten zufolge wurde 2014 die Zusammenarbeit der beiden Länder auch im Bildungssektor auf den Weg gebracht. Ein Austauschprogramm schickt künftig Studenten und Lehrende aus Kasachstan an die Corvinus Universität nach Budapest. Im Interview hebt der Botschafter auch die Notwendigkeit einer direkten Flugverbindung zwischen den beiden Hauptstädten hervor (Novastan berichtete).
Auf Seiten Ungarns zeigt man sich offen für die breite Zusammenarbeit. In Medienberichten wird die Rolle der zentralasiatischen Republik als Ungarns drittgrößter Handelspartner innerhalb der GUS-Länder betont. Außenhandelsminister Varga begleitet die wirtschaftliche Annäherung mit persönlicher Bewunderung für das selbsternannte Brudervolk auf der Webseite eines Kunen-Vereins, dessen Präsident er ist. Kasachstan sei demnach ein Vorbild für Ungarn. Der Minister bewundere vor allem das Selbstwertgefühl der kasachischen Nation, und hebt schließlich hervor: „Öl oder Gas, Steppe oder Puszta, eines dieser Dinge braucht jede Nation.”
Alina Kozhakhmetowa
Antje Lehmann
Daniela Neubacher
[1]http://www.gtai.de/GTAI/Content/DE/Trade/Fachdaten/PUB/2012/11/pub2012112680031111_159840.pdf
[2] http://liportal.giz.de/fileadmin/user_upload/oeffentlich/Kasachstan/30_wirtschaft-entw/KAS_marktstudie-agrar-lebensmittel.pdf
[3] Ebda.
[4] http://www.blackseagrain.net/novosti/jsc-kazagro-together-with-hungary2019s-eximbank-is-planning-to-set-up-a-kazakh-hungarian-fund-by-the-end-of-2014-to-make-investments-in-agricultural-projects