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Den Weltraum erforschen: Die Entwicklung von Baikonur

Das Kosmodrom von Baikonur ist ebenso mit sowjetischen Triumphen der Raumfahrt wie mit Umweltproblemen verbunden. Zum „Tag des Kosmonauten“ zeichnet Masa Media die Geschichte des Weltraumbahnhofs nach.

Vom Kosmodrom Baikonur aus starten bis heute Raketen ins All, Photo: NASA

Das Kosmodrom von Baikonur ist ebenso mit sowjetischen Triumphen der Raumfahrt wie mit Umweltproblemen verbunden. Zum „Tag des Kosmonauten“ zeichnet Masa Media die Geschichte des Weltraumbahnhofs nach.

Am 12. April feiert die Welt den Internationalen Tag der bemannten Raumfahrt. Im postsowjetischen Raum ist er als Tag des Kosmonauten bekannt. Denn am 12. April 1961 startete der sowjetische Kosmonaut Jurij Gagarin mit der Raumsonde Wostok-1 vom Kosmodrom Baikonur aus und unternahm einen Orbitalflug um den Planeten Erde. Das in Kasachstan gelegene Baikonur spielte sowohl dabei als auch bei der anschließenden Weltraumforschung eine wichtige Rolle.

Die Entstehung von Baikonur

Im Februar 1955 beschloss die sowjetische Regierung, ein Testgelände für Interkontinentalraketen zu errichten. Eine Sonderkommission wählte das Gebiet Qyzylorda in der Kasachstanischen SSR als Standort für das künftige Kosmodrom. Dieses Gebiet zeichnete sich durch das Vorhandensein eines Eisenbahnanschlusses und von Süßwasser sowie durch ein großes Territorium und große Distanz zu Großstädten aus.

Zwei Jahre nach Beginn der Bauarbeiten nahm die Anlage den Betrieb auf. Von Baikonur aus wurde 1957 die R-7-Rakete mit dem weltweit ersten künstlichen Erdsatelliten gestartet. 1960 machten die Hunde Belka und Strelka vom Kosmodrom aus einen Weltraumflug und kehrten als erste Lebewesen zur Erde zurück. Und ein Jahr später, am 12. April 1961, unternahm Jurij Gagarin den weltweit ersten Flug ins All.

Bis 1991 flogen weitere 71 Menschen von Baikonur aus in den Weltraum. Insgesamt führte die Sowjetunion etwa 2.500 Starts durch. Der letzte Kosmonaut, der aus der UdSSR in den Himmel flog, war Toqtar Áubákirov.

Das Kosmodrom heute

Nach dem Zusammenbruch der UdSSR ging Baikonur in den Besitz Kasachstans über. Damals verfügte das Land nicht über genügend Ressourcen und dem Kosmodrom wurde wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Die Zahl der Weltraumstarts ging zurück, Personal wanderte nach Russland ab. Sowohl das Kosmodrom als auch die Stadt Baikonur erlebten schwere Zeiten: In Wohngebäuden gab es keine Heizung, die Wasserversorgung funktionierte nur zeitweise und das Essen wurde in den Innenhöfen der Hochhäuser gekocht.

1994 wurde das Kosmodrom für 20 Jahre an Russland verpachtet, um den Zustand der Raumfahrtindustrie und das Leben in Baikonur insgesamt zu verbessern. Die Pachtsumme betrug 115 Millionen US-Dollar pro Jahr. Im Jahr 2004 wurde der Mietvertrag bis 2050 verlängert.

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Nach der Unterzeichnung eines Abkommens über die Entwicklung der Zusammenarbeit begannen Kasachstan und Russland mit dem gemeinsamen Betrieb und der Modernisierung von Baikonur. Dies führte zu einigen Fortschritten in der Weltraumforschung. Der Weltraumtourismus begann sich zu entwickeln: Von 2001 bis 2009 reisten sieben Tourist:innen von Baikonur zur ISS. Die Raumflüge wurden von Roskosmos und der amerikanischen Firma Space Adventures organisiert.

Von 2001 bis 2020 wurden 345 Raumschiffe vom Weltraumbahnhof gestartet und 2004 wurde ein russisch-kasachstanisches Gemeinschaftsprojekt zur Errichtung des Weltraumraketenkomplexes „Baiterek“ gestartet. Dies soll den Zustand der Umwelt rund um Baikonur durch den Einsatz „umweltfreundlicher Raketen“ verbessern.

Stagnation

Trotz gewisser Erfolge befindet sich das Kosmodrom jedoch in einem Zustand der Stagnation. Dies ist zum Teil auf die Verpachtung an Russland zurückzuführen. Zuvor betrieb die Russische Föderation das Kosmodrom, um sowohl nationale als auch internationale Projekte umzusetzen. Dazu gehörten bemannte Flüge zur ISS, wissenschaftliche Programme und kommerzielle Satellitenstarts. Mit der Wiederbelebung des Interesses an Raumfahrtaktivitäten in den USA flogen amerikanische Astronauten jedoch nicht mehr aus Kasachstan, sondern aus Amerika zur ISS.

Bereits 2018 stellte der Luft- und Raumfahrtausschuss des kasachstanischen Ministeriums für Verteidigung und Luft- und Raumfahrtindustrie fest, dass „die Auslastung des Kosmodroms Baikonur durch bemannte Starts abnehmen wird“, wenn die USA sich weigern, Amerikaner mit Hilfe von Sojus zur ISS zu bringen.

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Neben dem Rückgang der kommerziellen Aufträge verzeichnet Baikonur aber auch eine rückgehende Präsenz von Russland insgesamt. Wie aus einem Artikel des Forschungsinstituts Jamestown Foundation hervorgeht, verlagert Roskosmos seine Aktivitäten schrittweise auf Weltraumbahnhöfe innerhalb Russlands – im Gebiet Archangelsk und im Fernen Osten. Während im Jahr 2021 noch 14 von 24 Starts von Baikonur aus erfolgten, waren es 2022 nur noch 7 von 22.

Auch andere Maßnahmen zeugen von einer abnehmenden Präsenz von Roskosmos auf dem Territorium Kasachstans. So wurde beispielsweise im Jahr 2021 bekannt, dass Russland die Anmietung von 16 Anlagen im Kosmodrom Baikonur verweigern und diese nach Kasachstan auslagern will.

Der Zustand der Umwelt

Auch die ökologische Situation des Gebiets um Baikonur wird von der Nutzung des Kosmodroms beeinflusst. Von 1996 bis 2017 starteten von Baikonur aus Proton– und Sojus-Raketen mit ausländischen Satelliten. Dank ihnen hat Russland in 21 Jahren etwa 7 bis 8 Milliarden US-Dollar verdient. Der Zustand der Umwelt hat sich dadurch aber verschlechtert, da die Haupteinnahmequelle Raketen waren, die mit giftigem Treibstoff gefüllt waren. KazCosmos kündigte sogar in regelmäßigen Abständen vorübergehende Verbote für den Abschuss russischer Raketen an.

Durch den Austritt von hochgiftigem Raketentreibstoff wird der Boden verseucht. Das Gebiet von Baikonur kann in Zukunft langfristig nicht mehr im Interesse der Volkswirtschaft genutzt werden. Nach einer Kontamination des Bodens mit Heptyl, einem Bestandteil des Raketentreibstoffs der Proton-Trägerrakete, bleiben dessen Spuren 80–100 Jahre im Boden. Nach dem Absturz einer von Baikonur gestarteten Proton-Rakete im Jahr 2013 formierte sich in Kasachstan eine Anti-Heptyl-Protestbewegung.

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Der Grund für die Verschlechterung der Umweltsituation in Baikonur liegt nach Ansicht des kasachstanischen Wissenschaftlers Bulat Kenesov in der Nichteinhaltung der Bedingungen für die Kontrolle der Raketen- und Weltraumaktivitäten. „In den letzten 50 Jahren gab es praktisch keine Kontrolle über das Territorium des Kosmodroms und die Einschlagsgebiete. […] Dies alles geschah in geschlossenen Labors – und der Öffentlichkeit, den Wissenschaftlern, standen praktisch keine Daten zur Verfügung. Tatsächlich führte dies über mehr als 50 Jahre hinweg zur unkontrollierten Freisetzung giftiger Verbindungen auf dem Territorium Kasachstans“, erklärte Kenesov in einem Interview mit Kursiv.

Auch Unfälle wirken sich negativ auf die Umwelt aus. In den letzten Jahren haben sich mehrere Katastrophen ereignet. Am 5. September 2007 stürzte die Proton-M-Rakete 135 Sekunden nach dem Start 40 Kilometer von Jezqasģan entfernt ab. Dabei gelangte das hochgiftige Heptyl in die Luft. Am 5. Dezember 2010 kam eine Rakete mit drei Glonass-M-Satelliten vom Kurs ab und stürzte in den Pazifischen Ozean, anstatt in die Umlaufbahn zu gelangen. Am 2. Juli 2013 stürzte eine Proton-M-Rakete in Baikonur ab. Der Unfall ereignete sich 2,5 Kilometer vom Startkomplex entfernt. In der Raumsonde befanden sich etwa 600 Tonnen Heptyltreibstoff, von denen ein Teil bei der Explosion ausbrannte.

Konflikt um Baikonur

Baikonur ist darüber hinaus zum Schauplatz von Konflikten zwischen Organisationen aus Russland und Kasachstan geworden. Anfang März 2023 wurde bekannt, dass Kasachstan Eigentum von Roskosmos beschlagnahmt hatte. Der Prozess begann mit einer Klage des kasachstanisch-russischen Joint Enterprise Baiterek gegen den Hauptbetreiber russischer Weltraumbahnhöfe, das „Zentrum für die Nutzung bodenbasierter Weltrauminfrastruktur“ (TsENKI). Die Höhe der Forderung betrug 13,5 Milliarden Tenge (circa 27 Millionen Euro).

Der Grund für den Konflikt war die Nichteinhaltung von Vertragsbedingungen durch die russische Seite. Gemäß den Anforderungen der kasachstanischen Partner hätte eine Dokumentation zur Bewertung der Umweltauswirkungen der Sojus-5-Trägerrakete auf die Umwelt erstellt werden müssen. TsENKI hat dies jedoch nicht getan.

Der Prozess fand in Kasachstan statt. Das Gericht entschied zugunsten von Baiterek. Das beschlagnahmte Vermögen der Roskosmos-Tochter wurde auf das russisch-kasachstanische Gemeinschaftsunternehmen übertragen. Außerdem verbot der Gerichtsvollzieher, Sachwerte und Vermögenswerte aus dem Land abzuziehen, was beide Arbeitsbereiche in Baikonur verlangsamte – den Bau einer neuen Startrampe für Sojus-5 Raketen und Weltraumaktivitäten im Allgemeinen.

Masa Media

Aus dem Russischen von Robin Roth

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