Dariģa Nazarbaeva, Tochter des ehemaligen Präsidenten Kasachstans, wurde vom amtierenden Staatspäsidenten Qasym-Jomart Toqaev, dessen Befugnisse gerade erweitert wurden, aus dem Amt der Senatspräsidentin entlassen.
Kasachstans Präsident Qasym-Jomart Toqaev hat Dariģa Nazarbaeva, bisherige Nummer 2 im Staat und Tochter des ehemaligen Präsidenten Nursultan Nazarbaev, aus ihrem Amt entlassen. In einem Dekret, das am 2. Mai auf der kasachstanischen Präsidialverwaltung veröffentlicht wurde, verkündet er lakonisch, dass „die Befugnisse der Senatorin des Parlaments der Republik Kasachstan Dariģa Nursultanovna Nazarbaeva beendet werden“. Es wurde kein offizieller Grund angegeben.
Wenige Minuten nach der Veröffentlichung des Erlasses bedankte sich der Präsident Kasachstans auf Twitter bei Dariģa Nazarbaeva „für ihre aktive und erfolgreiche Arbeit als Präsidentin des Senats des Parlaments der Republik Kasachstan“.
Выражаю благодарность Д.Н. Назарбаевой за активную и плодотворную работу в качестве Председателя Сената Парламента Республики Казахстан.
— Qasym-Jomart Toqayev (@TokayevKZ) May 2, 2020
Die 56-jährige Dariģa Nazarbaeva ist die älteste Tochter des ersten Präsidenten Kasachstans, Nursultan Nazarbaev (1989-2019). Im Laufe der Jahre leitete sie die Staatliche Nachrichtenagentur Khabar, Parlamentsabgeordnete, Vizepräsidentin des Unterhauses und von 2015 bis 2016 stellvertretende Ministerpräsidentin für soziale Angelegenheiten. Seit September 2016 war sie Senatorin und Vorsitzende des Ausschusses für Internationale Angelegenheiten, Verteidigung und Sicherheit, bevor sie im März 2019 Senatspräsidentin wurde. Dabei folgte sie direkt auf Qasym-Jomart Toqaev, der nach dem überraschenden Rücktritt von Nursultan Nazarbaev Interimspräsident geworden war. Im vergangenen August wurden ihre parlamentarischen Befugnisse durch den Präsidenten verlängert, nachdem dieser im Juni 2019 mit 70 Prozent der Stimmen gewählt worden war.
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Die Ankündigung, Dariģa Nazarbaeva aus dem Amt zu entlassen, erfolgt zu einem überraschenden Zeitpunkt. Angesichts des Coronavirus, der Kasachstan und seine Wirtschaft schwer in Mitleidenschaft zieht, hat Qasym-Jomart Toqaev die bisher schwerste Krise seiner Amtszeit zu bewältigen. So wurden am 29. April die Befugnisse des Präsidenten im Rahmen des bestehenden Notstandsregimes im Kampf gegen die Epidemie erweitert, was jedoch keine Personalangelegenheiten betrifft.
Tobt hinter der Kulisse ein Kampf um Einfluss?
Wie der Politologe Arkadij Dubnow betont, hat der Präsident Kasachstans auch ohne Erweiterung seiner Befugnisse die Möglichkeit, die Senatspräsidentin zu entlassen. So sei dies „völlig legal, weil Senatorin Dariģa Nazarbaeva durch die Präsidentschaftsquote ihres Vaters Nursultan Nazarbaev ernannt worden war, als dieser Präsident war“, sagte er gegenüber dem Fergana News. „Die Amtszeit von Dariga Nasarbajewa sollte im September dieses Jahres ablaufen„, fügte der Experte hinzu. Er glaubt, dass Qasym-Jomart Toqaev seine präsidiale Macht nutzte, um „die Möglichkeit einer Doppelherrschaft in den inneren Angelegenheiten Kasachstans auszuschließen„.
Laut Arkadij Dubnow habe Dariģa Nazarbaeva in den letzten Monaten neue politische Ambitionen gezeigt und Toqaev habe in der Folge seine präsidialen Befugnisse benutzt, um die Möglichkeit einer Doppelherrschaft zu beseitigen. Außerdem, so der Politologe, wurde diese Entscheidung vom ersten Präsidenten selbst gebilligt.
Am 30. April sagte der Pressesprecher des ersten Präsidenten Nursultan Nazarbaev, welcher immer noch als Vorsitzender des Sicherheitsrat über sehr breite, aber unklare Befugnissen verfügt, in einem Interview mit dem kasachstanischen Nachrichtenportal Informburo, dass der Präsident, also Qasym-Jomart Toqaev, letztendlich die Entscheidungen treffe und nicht Nursultan Nazarbaev. In der Corona-Krise verfestigt sich somit die Macht Toqaevs, während Dariģa Nazarbaeva lange Zeit als mögliche Erbin ihres Vaters galt.
„Wir können sicher sein, dass der Elbasy (ein Ehrenname Nazarbaevs, Anm. d. Red.) die Möglichkeit erhalten wird, seinen 80. Geburtstag mit allen möglichen Ehren am 6. Juli zu feiern, während er seine Privilegien als Führer behält. Aber es scheint, dass sein Einfluss auf die Politik nach der Entlassung von Dariģa Nazarbaeva und seinem Geburtstag beständig abnehmen wird“, glaubt Arkadij Dubnow.
Für den kasachstanischen Politikwissenschaftler Dosym Sátbaev, der sich in einem Beitrag auf seiner Facebook-Seite äußerte, sind mehrere Erklärungen möglich: Die erste wäre, dass „alles vereinbart ist (mit Nazarbaev, Anm. d. Red.) und für seine Tochter am Vorabend der Parlamentswahlen eine andere Position gefunden wurde. Vielleicht hat Nazarbaev dieses Thema in einem Gespräch mit Wladimir Putin während seines jüngsten Besuchs in Russland angesprochen.“
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Die zweite Möglichkeit wäre laut Sátbaev, dass „etwas passiert ist und der Krieg um die Macht begonnen hat. Dann können wir schon von einem echten Machtübergang sprechen, und die Ära des „halben Übergangs“ wäre vorbei. […] Oder der amtierende Präsident hat sich dafür entschieden, auf einem Vorsprung unter den Bedingungen des Notstandes zu setzen. In diesem Fall muss er starke Unterstützung von einem Teil der politischen und wirtschaftlichen Elite sowie von Sicherheitsbeamten haben.“
Nach Ansicht von Dosym Sátbaev müssen wir die Nominierung des neuen Präsidenten des kasachstanischen Senats abwarten, um zu wissen, welche dieser beiden möglichen Erklärungen die richtige ist, denn für ihn „ist es ein wichtiger Indikator dafür, ob das Kräfteverhältnis innerhalb der Elite gewahrt wurde oder ob es eine signifikante Umverteilung des Einflusses zugunsten des derzeitigen Präsidenten gegeben hat.“
Die Redaktion von Novastan France
Aus dem Französischen von Arnaud Enderlin und Robin Roth
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