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Besuch im Sperrgebiet: Kasachstans Hoffnungen auf Weltraumtouristen in Baikonur

Ein Artikel unseres Partners Edge.kz. Von Michelle Witte. Aus dem englischen übersetzt von Christoph Richter.

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Auf dem Weltraumhafen Baikonur

Ein Artikel unseres Partners Edge.kz.
Von Michelle Witte. Aus dem englischen übersetzt von Christoph Richter.

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Auf der Suche nach mehr Besuchern: Nach Baikonur, diesen ehemals geheimen 13.000 Quadratkilometern in der kasachischen Steppenlandschaft, hat sich bisweilen noch kaum ein Tourist verirrt. Der älteste und mittlerweile ebenso betriebsamste Weltraumhafen öffnet sich nun allerdings teilweise einem ausländischen Publikum. Mithilfe der Investition von einer Million US-Dollar durch das Unternehmen „Diamond Technology“ sollen auch Touristen von einer Plattform des errichteten „Weltraumhafens Baikonur“ aus Raketenstarts beobachten können.

Aufschwung im Kalten Krieg, Abschwung nach der Sowjet-Ära

Baikonur

Alles begann zunächst streng im Verborgenen. Erst 1957, noch in der Frühzeit des Kalten Krieges, erfasste das US-amerikanische Spionageflugzeug U2 nach immerhin zwei Jahren Aufklärungsdienst die gewaltige Anlage in der Provinz Qysylorda. Indes hatten die Sowjets ihre technologische Überlegenheit auf dem Weg zu den Sternen gestählt. Sputnik-1 startete 1957 in Baikonur erfolgreich als erster künstlicher Erdsatellit, Juri Gagarin und Walentina Tereschkowa begannen 1961 bzw. 1963 ihre gefeierte Reise als erster Mann bzw. erste Frau im Orbit, und Alexei Leonov hob von diesem Fleckchen Erde als erster „Weltraumspaziergänger“ ab – Baikonur ist der Ort sowjetischer Weltraumpioniere schlechthin.

Die Stadt selbst wurde um das sich immer weiter ausbreitende Raumfahrtzentrum erbaut und wuchs mitsamt Wohnungen, Kindergärten, Schulen, Läden und anderen Infrastruktureinrichtungen zu einer Kleinstadt heran – und tatsächlich war dieser Ort vorübergehend als „Sternenstadt“ bekannt. Während der Kalte Krieg inzwischen unerlässlich Fahrt aufnahm, prosperierte Baikonur ungehemmt und versammelte auf seinem Höhepunkt in der Mitte der 80er Jahre fast 100.000 Menschen.

Mit dem Niedergang der Sowjetunion brach hingegen der finanzielle Abstieg herein. Einst ein Ort fest in russischer Hand auf kasachischem Boden, vollzog sich der Wandel zu einer durch und durch kasachischen Stadt. Heutzutage mietet die Russische Föderation auf Grundlage eines bis 2050 laufenden Pachtvertrages den Kosmodrom in Baikonur für jährlich 115 Millionen US-Dollar. Insgesamt werden, wiederum jährlich, ungefähr 27,6 Millionen US-Dollar des russischen Staatsetats für das Areal aufgebracht. Dennoch: Baikonur sei „physisch gealtert“, wie gar Präsident Wladimir Putin meinte. Sowohl Industrie als auch allgemeine Entwicklung ziehen arbeitstechnisch immer noch mit dem Kollaps nach 1990 gleich, und selbst in der kaum vorhandenen Industrie abseits des Raumfahrtzentrums sind tendenziell vor allem ausländische Ingenieure in den besserverdienenden Positionen beschäftigt.

Rettungsleine für Baikonur

Zumindest am Raumfahrtzentrum geht es geschäftig weiter. Baikonur verzeichnet jedes Jahr Dutzende von Raketenabschüssen, wovon ungefähr lediglich die Hälfte durch Russland veranlasst werden. Die USA, Kanada, Japan und die EU nutzen den Hafen, um ihre eigenen bemannten Weltraumflüge zu starten – mitunter auch mangels Alternativen. Erst im März 2014 landete hier das russisch-amerikanische Drei-Mann-Team nach fast sechs Monaten auf der Internationalen Raumstation (ISS); Ausgangspunkt ihrer Reise war eben das kasachische Baikonur am 25. September 2013 mit einem Raumschiff der Sojus-Reihe.

Allerdings baut Russland gerade auf seinem eigenem Territorium in Wostotschny seinen eigenen Weltraumbahnhof, was neue Spannungen über Baikonurs Zukunft zu entfachen drohte. Die beiden Länder sind generell nicht immer einer Meinung über ihre gemeinsam genutzte Anlage gewesen. Russland wühlte zudem damit auf, sich im Jahr 2018 aus Kasachstan zurückzuziehen, sobald der eigene Komplex einmal fertiggestellt sein wird. Mittlerweile haben sich beide Seiten davon jedoch distanziert.

„Weder ich noch irgendeine andere vernünftig denkende Person möchte, dass Russland Baikonur verlässt. Wir sind Partner, Verbündete und auf dem Level einer internationalen Zusammenarbeit sind gemeinsame strategische Projekte üblich“, bekräftigte Talgat Mussabaev, Vorsitzender von „Kazcosmos“, der kasachischen Weltraumbehörde, in einem Interview mit der Tageszeitung Izvestia bereits im Januar.

Russland habe keine Pläne, Baikonur aufzugeben, beruhigte ebenfalls Vladimir Nesterov, stellvertretender Direktor des „GKNPZ Chrunitschew“, ein in Moskau ansässiger Hersteller von Raketen und Raumfahrzeugen. Die neue Abschussbasis in Wostotschny biete Russland schlichtweg mehr Freiheit für eigene Programme, fügte er hinzu. Kasachstan und Russland unterschrieben so erst vor Kurzem einen Fahrplan für die nächsten drei Jahre, in dem die beiderseitige Nutzung des Startplatzes in Baikonur geregelt wurde.

Und trotzdem: Es erscheint nicht unklug, über eine gestreute Nutzung von Baikonur auch weiterhin nachzudenken. Sicher ist sicher.

Weltraum und Touristen als Geschäftsmodell

Kasachstan baut nun immerhin seine eigene – angeblich sogar umweltfreundlichere als bisher existierende – Bajterek-Abschussrampe und plant ambitioniert, drei eigene Raumschiffe starten zu können. Man möchte mit dem Kosmodrom hier eine internationalere Rolle einnehmen – mithilfe des Tourismus. Und Tourismus ist ein Wirtschaftsfaktor, von dem Kasachstan gerne mehr hätte und daher auch Geld für Investitionen freigibt.

Der Ausschuss der Tourismusindustrie im Ministerium für Industrie und neue Technologien der Republik Kasachstan entwarf unlängst ein touristisches Entwicklungskonzept für den gesamten Staat. Von fünf herausgearbeiteten regionalen Tourismus-Clustern befinden sich drei im südlichen Kasachstan – darunter neben den Städten der Seidenstraße Otrar und Turkestan eben auch Baikonur.

Zwar existieren bereits jetzt einige Touren in und nach Baikonur, allerdings werden diese eher unregelmäßig angesetzt. Ein Drei-Tages-Paket umfasst beispielsweise den Besuch der Abschussbasis, an der auch Gagarin abhob, und des derzeitigen Kosmonautenmuseums; sogar ein Halt bei der Raketenabschussrampe von Proton und Sojus und im anliegenden Montagewerk könne arrangiert werden. Bewerbungen für die 3.000 bis 3.500 US-Dollar teure Unternehmung sollten jedoch bis zu zwei Monate im Voraus eingereicht werden.

Aber Stadt und Raumfahrtzentrum sind ebenso reich an anderen geschichtlich bedeutsamen Stätten. Juri Gagarins Haus und sein Bett zum Beispiel, in dem er die Nacht vor seinem historischen Start in den Orbit verbrachte, sind nun für Besucher zugänglich. Auf die Frage übrigens, wie er denn vor so einem Ereignis überhaupt an Schlaf hätte denken können, erwiderte Gagarin offenbar: „Hätte ich ein Recht gehabt, abzuheben, ohne ausgeruht zu sein? Es war meine Pflicht zu schlafen, daher schlief ich.“ Die Stadt ist daneben voller Kunst im öffentlichen Raum, die die Raumfahrt feiert und Kosmonauten als Helden bejubelt, sowie restaurierten Raketen.

Durch Sehen erfahren

Baikonur2

Wie in der Kunst, so gründet auch der neueste Vorstoß in Baikonur auf dem Konzept „durch Sehen erfahren“. Den Kristallisationspunkt auf dem Areal des neuen Weltraumhafens bildet eine gewaltige, durchsichtige Kuppel, durch die Besucher Sterne, Himmel und natürlich Raketenstarts beobachten können – Hotelanlagen, ein Planetarium, ein Weltraummuseum, ein Kino, Restaurants und ein Zentrum für die Flugkontrollanzeige sollen für die Touristen folgen.

Laut der Webpräsenz der ausführenden „Diamond Technology“ finden bereits auf 1,2 Hektar (12.000 Quadratmeter) rege Bautätigkeiten statt, die laut Planung auf bis zu 2,5 Hektar ausgeweitet werden. Zukünftig soll der Weltraumhafen auf 100 Hektar anwachsen und zahlreiche weitere Bequemlichkeiten wie einen Wasserpark und eine Bowlingbahn an einem Ort versammeln. „Sobald man einen Fuß in den neuen Weltraumhafen setzt, wird man sich hoffentlich so fühlen, als ob man die Eroberfläche verlassen hat und einen völlig neuen und von Menschenhand gemachten Planeten betritt – den Planeten Weltraumhafen“, verkündet die Webseite nicht ganz ohne Pathos. Die Gesamtanlage erhält nun auch Unterstützung durch staatliche Stellen der kasachischen Tourismusentwicklung und durch die Russische Föderation.

„Die russische Seite hat ihre Bereitschaft signalisiert, eine Kooperation im Tourismusbereich anzustreben“, erklärt Marat Igaliyev, Vorsitzender der kasachischen Tourismuskommission, und ergänzt: „Auch die Verwaltung in Baikonur sitzt schon in den Startlöchern, um Reiserouten zur Startplattform zu auszuschreiben und hält nunmehr Ausschau nach einem geeigneten Aussichtspunkt, um das Baugeschehen verfolgen zu können.“ Yevgeny Samotoi, Direktor des städtischen „Hotel Baikonur“, berichtete im Edge Magazine: „Ja, ich habe davon gehört, dass sie den neuen Komplex außerhalb der Stadt bauen wollen.“ Sein Hotel arbeite nur mit der russischen Raumfahrtbehörde Roskosmos zusammen und der Zustrom an Touristen beträfe sein Geschäft wohl kaum. „Aber auf jeden Fall kommt die Stadt voran.“

Ein lang erwartetes Projekt wird wahr

Touristen in Baikonur spiegeln einen schon seit einiger Zeit gehegten kasachischer Traum wider. Präsident Nasarbajew selbst richtete 2009 an die 18. Vollversammlung der Welttourismusorganisation (UNWTO): „Wir schenken der Entwicklung des Weltraumtourismus Aufmerksamkeit. Derzeit gibt es mehr als drei Dutzend Startanlagen auf der Welt, aber von besonderer Bedeutung ist lediglich die Basis in Baikonur. Ich finde den Gedanken ziemlich erfolgversprechend, dass man Raketenstarts tatsächlich von Baikonur aus beobachten kann und dass sich Menschen aus allen Teilen der Erde in diesem Weltraumhafen begegnen.“

Sogar Touristenflüge in den Orbit kämen für Baikonur zukünftig in Betracht. Der französische Astronaut Jean-Pierre Haigneré äußerte erst jüngst gegenüber Studierenden der Nasarbajew-Universität, dass er kommerzielle Weltraumreisen für das Jahr 2020 erwarte und sich Kasachstan als Schaltstelle des globalen Weltraumtourismus vorstellen könne.

Für die EXPO 2017 in der kasachischen Hauptstadt Astana bereitet man sich bereits jetzt auf einen beispiellosen Zustrom an Touristen vor. Kasachstan bewirbt sich zudem gegenwärtig für die Aufnahme der Städte an der Seidenstraße zum UNESCO-Weltkulturerbe. Baikonur, dieses ehemalige Sperrgebiet, so hofft man schließlich vor Ort, wird dann auch ein Stopp für Besucher in Kasachstans Süden – vor allem als Pilgerstätte für Weltraumbegeisterte.

Michelle Witte

 

 

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