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Was läuft falsch in Kasachstans Gleichstellungspolitik?

Auch wenn die Verfassung Kasachstans die Gleichberechtigung der Geschlechter garantiert, zeigen neue Studien, dass es schlecht um die Gleichstellung im Land steht. Der folgende Artikel erschien am 25. Mai 2022 auf The Steppe. Wir übersetzen ihn (in leicht gekürzter Form) mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.

Auch wenn die Verfassung Kasachstans die Gleichberechtigung der Geschlechter garantiert, zeigen neue Studien, dass es schlecht um die Gleichstellung im Land steht. Der folgende Artikel erschien am 25. Mai 2022 auf The Steppe. Wir übersetzen ihn (in leicht gekürzter Form) mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.

Die Ungleichheit der Geschlechter drückt sich in Kasachstan, wie auch anderswo auf der Welt, in ungerechter Bezahlung, Unterrepräsentation in der Regierung und vielem mehr aus. So beträgt der Frauenanteil unter politischen Beamten nur 9,3 Prozent. Wird sich die Situation ändern, nachdem der Präsident Änderungen im Konzept der Familien- und Genderpolitik Kasachstans genehmigt hat? Die Vorschläge umfassen unter anderem den Plan, den Anteil von Frauen in staatlichen Gremien auf 30 Prozent zu erhöhen und das geschlechtsspezifische Gefälle bei den Durchschnittslöhnen zu verringern.

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Zulfiıa Baısakova, Vorsitzende der Allianz „Union der Krisenzentren“, hat eine Studie zur Gleichstellungspolitik in Kasachstan durchgeführt. Sie sammelte die wichtigsten Punkte und gab Empfehlungen an die Behörden sowie an die Frauen selbst. Dieser Artikel stellt die wichtigsten Ergebnisse dar.

Zur Effektivität der Frauenquote

Seit Ende 2019 erwägt Kasachstan offiziell eine Quote für Frauen und junge Menschen in den Parteilisten der Kandidierenden für Regionalparlamente und die Májiis [Unterhaus des Parlaments, Anm. d. Ü.]. In den Gesetzen Über Wahlen in der Republik Kasachstan und Über politische Parteien wurde am 24. Mai 2021 im Auftrag von Kasachstans Präsidenten Qasym-Jomart Toqaev eine 30-Prozent-Quote festgelegt. Als Ergebnis dieser Frauenquoten kamen neu Abgeordnete in den Senat und 28 Abgeordnete in die Májilis, was 26 Prozent entspricht. „Trotz dieser Norm hat die Vertretung von Frauen nicht einmal ein Drittel erreicht“, fügte Zulfiıa Baısakova hinzu.

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Laut dem Konzept der Familien- und Genderpolitik soll das Ziel von 30 Prozent Frauenanteil „in den Exekutiv-, Repräsentations- und Justizorganen von Staat, staatsnahem und unternehmerischem Sektor auf der Entscheidungsebene“ bis 2030 erreicht werden. Baısakova kommt aber zu dem Schluss, dass kein Mechanismus zur Überwachung oder Sanktionierung bei Nichteinhaltung der Quote entwickelt wurde. Die Parteien müssen also nicht sicherstellen, dass Frauen 30 Prozent der Abgeordnetenmandate erhalten. Der Anteil der Frauen auf den Parteilisten ist völlig abhängig von der Politik der Parteien, und es kann gut sein, dass die Quotenplätze mit jungen Leuten gefüllt werden, unter denen es eventuell sehr wenige Frauen gibt.

Kasachstanerinnen im Staatsdienst

Zum 1. Februar 2022 arbeiten in Kasachstan etwa 50.000 Frauen im öffentlichen Dienst. Das sind etwa 55 Prozent aller Beamten – also mehr als die Hälfte. Gleichzeitig ist der Frauenanteil in Führungspositionen geringer. Dort liegt er bei 39,5 Prozent (9.569 von 24.209). Noch weniger Frauen gibt es unter den politischen Beamten – 9,3 Prozent.

„Frauen werden immer noch hauptsächlich auf der Grundlage ihres Frauseins ernannt. Sie leiten in der Regel soziale Bereiche, keine wirtschaftlichen“, resümieren die Autorinnen der Studie. Die Ernennung von Frauen auf Kabinettsposten bedeutet nicht immer gleichberechtigten Zugang zur politischen Macht. Die „Union der Krisenzentren“ stellte fest, dass der gleiche Zugang davon abhängt, welche Art von Kabinettsposten Frauen besetzen und wieviel Macht und Prestige mit diesen Posten verbunden sind.

NGOs für Frauenrechte

Heute beteiligen sich rund 300 Nichtregierungsorganisationen (NGO) aktiv an der Lösung von Fragen zum Schutz der Rechte und Interessen von Frauen. 32,4 Prozent der Führungspositionen in Gewerkschaften und NGOs sind von Frauen besetzt. „Angesichts der geringen Vertretung von Frauen in der Politik bietet die Präsenz solcher Foren einen wichtigen Ausgangspunkt, um der Stimme von Frauen bei politischen Entscheidungen, die ihr Leben betreffen, mehr Gewicht zu verleihen. [Trotzdem] ist ihr Einfluss unzureichend, und die Regierung interagiert nur mit einer kleinen Anzahl von NGO-Vertreter:innen“, stellt die Studie fest.

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Nach Angaben der „Union der Krisenzentren“ befassen sich 34 Prozent aller NGOs in Kasachstan mit Menschenrechtsfragen, Umweltschutz und Genderpolitik. Etwa zwei Millionen Bürger:innen nehmen ihre Angebote in Anspruch. Diese umfassen das Wohlergehen und die wirtschaftliche Förderung von Frauen, aber auch die Unterstützung von Frauen, die Opfer von Gewalt sind. Damit die Frauenbewegung jedoch zu einer einflussreichen politischen Kraft werden kann, ist es notwendig, dass sich die Frauen zusammenschließen.

„Derzeit wird die ausgeweitete Konsolidierung durch Gründe wie weiblichen Konservatismus, weibliche Konkurrenz oder die mangelnde Bereitschaft, einer Rivalin nachzugeben […] behindert“, fassen die Autor:innen der Studie zusammen. Gulzada Serjan stellte in einer Umfrage unter weiblichen Angeordneten auf verschiedenen Ebenen fest, dass „geringer Ehrgeiz und fehlende Ambitionen, Konkurrenz auszuhalten und zu überwinden“ Gründe für die geringe Vertretung von Frauen in der politischen Sphäre seien.

Die Autorinnen der Studie kamen zu dem Schluss, dass es heute in Kasachstan keine Bestrebungen unter weiblichen Parteimitgliedern gibt, innerparteiliche Frauenblöcke oder Koalitionen zur Förderung von Frauenrechten zu gründen. Auch innerparteiliche Strategien zur Unterstützung und Förderung von Frauen auf Entscheidungsebene wurden nicht entwickelt. Generell ist die Beteiligung von Frauen am Prozess der politischen Einflussnahme noch begrenzt.

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Die Empfehlungen, die Zulfiıa Baısakova daher zur Erreichung der Gleichstellung der Geschlechter gibt, umfassen unter anderem die Einführung einer 50-Prozent-Quote für die Repräsentation von Frauen in allen Lebensbereichen in das Konzept der Familien- und Genderpolitik Kasachstans sowie die Verpflichtung von Parteien, die Quote auf der Grundlage der Wahlergebnisse einzuhalten. Hierzu muss ein Mechanismus eingerichtet werden, der es ermöglicht, ausgeschiedene Abgeordnete durch Nachfolger:innen des gleichen Geschlechts zu ersetzen.

Darüber hinaus empfiehlt sie Trainings und Mentoring für Frauen, die in Entscheidungsgremien gewählt werden, sowie die Schaffung eines Gender-Assets oder einer Reserve von Politikerinnen, die künftig Abgeordnete auf regionaler und nationaler Ebene werden könnten. Außerdem sollten sich Frauen-NGOs und Parteivertreter:innen zur Entwicklung einer gemeinsamen Genderpolitik zusammenfinden. Es ist möglich, die Frauenbewegung unter Beteiligung amtierender weiblicher Abgeordneter zu entwickeln, die weibliche Führungskräfte vereinen und anleiten würden.

Wie Kasachstans Gesetzgebung Gleichstellung reguliert

Die Gleichberechtigung der Geschlechter ist durch das Verbot von geschlechtsspezifischer Diskriminierung  in der Verfassung Kasachstans verankert. Die Verfassung proklamiert „die Gleichheit aller vor Gesetz und Gericht“ und besagt, dass „niemand aufgrund von Herkunft, sozialer, amtlicher und vermögender Stellung, Geschlecht, Rasse, Nationalität, Sprache, Einstellung zur Religion, Überzeugungen, Wohnort oder aus anderen Gründen“ diskriminiert werden darf.

Auch der Aktionsplan für Menschenrechte betont die Notwendigkeit, die Gleichstellung der Geschlechter zu gewährleisten und die Diskriminierung von Frauen zu beseitigen. Das 2009 verabschiedete Gesetz Über staatliche Garantien für gleiche Rechte und Chancengleichheit für Männer und Frauen bekräftigt staatliche Garantien in einer Reihe von Bereichen, darunter im öffentlichen Dienst, auf dem Arbeitsmarkt, bei der Gesundheitsversorgung, bei Bildung und Familienleben. Das Gesetz sieht auch vor, dass ausnahmslos alle staatlichen Institutionen für die Umsetzung der Genderpolitik in ihrem Tätigkeitsbereich verantwortlich sind.

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Gemäß Artikel 25 des Pakts über bürgerliche und politische Rechte sollte jede:r Bürger:in ohne Diskriminierung oder unzumutbare Einschränkungen das Recht und die Möglichkeit haben, sich am politischen Leben des Landes in verschiedenen Formen zu beteiligen: Wahlen, Referenden, öffentlichen Dienst, Eingaben an Behörden, Kundgebungen, Versammlungen, Demonstrationen, politische Parteien, Verbände.

Kasachstan hat als Mitgliedsstaat der UN im Jahr 2015 eine Reihe internationaler Verträge zur Umsetzung der globalen Agenda bis 2030 verabschiedet. Dazu gehören unter anderem die Pekinger Erklärung zur Förderung der Frau (1995), das Übereinkommen der Vereinten Nationen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (1998), das Übereinkommen über die politischen Rechte der Frau (2000) und das ILO-Übereinkommen über gleichen Lohn für Männer und Frauen bei gleichwertiger Arbeit (2000).

Am 13. April hat Qasym-Jomart Toqaev das Dekret „Über weitere Maßnahmen der Republik Kasachstan im Bereich der Menschenrechte“ ergänzt und an die Regierung delegiert, die Förderung gleicher Rechte und Chancen zwischen Angehörigen unterschiedlichen Geschlechts und in Bezug auf die Diskriminierung von Frauen auszubauen.

Kamilıa Sadykova für The Steppe

Aus dem Russischen von Robin Roth

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