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„Hymnes de sang“ – Tadschikische Kurzgeschichten aus der Perestroika

Im August 2022 hat der französische Historiker und Schriftsteller Stéphane Dudoignon „Hymnes de sang“ veröffentlicht - eine Sammlung von Kurzgeschichten tadschikischer Schriftsteller der Perestroika, die ins Französische übersetzt wurden. Er nutzt die Gelegenheit, um von einer Zeit des Optimismus und des intellektuellen Aufruhrs in der Hauptstadt Duschanbe vor dem Ausbruch des Bürgerkriegs zu erzählen.

Tadschikistan Schriftsteller
Bedeutende tadschikische Schriftssteller auf dem Gebäude des Schriftstellerverbands in Duschanbe

Im August 2022 hat der französische Historiker und Schriftsteller Stéphane Dudoignon „Hymnes de sang“ veröffentlicht – eine Sammlung von Kurzgeschichten tadschikischer Schriftsteller der Perestroika, die ins Französische übersetzt wurden. Er nutzt die Gelegenheit, um von einer Zeit des Optimismus und des intellektuellen Aufruhrs in der Hauptstadt Duschanbe vor dem Ausbruch des Bürgerkriegs zu erzählen.

Es ist eine Sammlung von Kurzgeschichten über ein Tadschikistan, das nicht wiederzuerkennen ist. „Hymnes de sang“ (frz. „Hymnen aus Blut“), das diesen Sommer beim Verlag Les Indes Savantes erschien, enthält Kurzgeschichten verschiedener tadschikischer Autoren. Jeder von ihnen stellt in seinem eigenen Stil die Herschafftsformen der UdSSR in Zentralasien in Frage. Dschanibek Akabir, Muhammad-Zaman Saleh, Bahmanyar, Qadir Rustam und Rahim Saidar stellen in ihren Werken die Frage, wie die Zukunft eines unabhängigen Tadschikistan aussehen könnte.

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Die acht Kurzgeschichten in der Sammlung wurden von Stéphane Dudoignon vor etwa 20 Jahren ausgewählt und übersetzt, als er im tadschikischen Schriftstellerverband in Duschanbe mit tadschikischen Autoren zusammenkam, die inzwischen seine Freunde geworden sind. „Ich liebte es, dort zu landen, Billard zu spielen, Wodka zu trinken und mit diesen Leuten, die fast ständig dort waren, über Literatur zu sprechen“, sagt er.

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Dudoignon reiste im Rahmen seiner Forschungen über den Reformislam regelmäßig in das Zentralasien der späten Sowjetzeit. Er arbeitete auch als Filmimporteur für französische Unternehmen und kam so mit der „schöpferischen Intelligenzija“ in Kontakt, also die Mitglieder der intellektuellen Kreise in der UdSSR.

Abrechnung mit der Herrschaft

Der Historiker hat sich für die Veröffentlichung dieser Kurzgeschichten entschieden, um seine Freunde zu ehren, aber auch, erklärt er, entlang einer „thematischen Einheit rund um die Kultur der politischen Herrschaft“. In lyrischen, symbolischen oder gar grotesken Registern hinterfragen die Schriftsteller auf ihre Weise das Erbe der russischen und sowjetischen Herrschaft. Was sie verbindet, ist in gewisser Weise „eine Abrechnung mit dieser Herrschaft, die in den 1920er und 1930er Jahren in Zentralasien besonders blutig war“, so Dudoignon.

In der Kurzgeschichte „Hymnen aus Blut“, die der Sammlung ihren Namen gab, erzählt der Schriftsteller Muhammad-Zaman Saleh beispielsweise von der Herrschaft und der Zwangsarabisierung Bagdads über die entlegene Provinz Chorasan im Abbasidenreich zwischen dem 8. und 9. Jahrhundert. Dies ist laut dem Historiker eindeutig eine Metapher für die Herrschaft Moskaus über die Gesellschaften Zentralasiens. Die Kurzgeschichte „Dschingis Khan“ von Qadir Rustam wiederum erzählt von den Überlegungen der Bewohner eines Dorfes, sich eines Tyrannen zu entledigen, und prangert damit die Last der sowjetischen „kleinen Chefs“ an, die Tadschikistan im 20. Jahrhundert dominierten.

Das Thema wird mit einem überraschenden Optimismus angegangen, da die Autoren versuchen, sich Wege zur Emanzipation vorzustellen, insbesondere durch die Kultur. Die persisch-zentralasiatische Identität, die viele von ihnen wieder aufleben lassen, wird als ein Mittel gesehen, das beim Wiederaufbau einer modernen und unabhängigen tadschikischen Nation helfen kann.

Eine verlorene Freiheit

Die Zeit von 1987 bis 1992 „war eine sehr besondere Zeit in Tadschikistan, insbesondere mit Literaturzeitschriften wie ‚Der Weg des Ostens‘ in Duschanbe, in denen Schriftsteller regelmäßig für eine große Leserschaft publizierten.“ Denn während die Zensur in der untergehenden UdSSR immer mehr abnahm, quollen die damals äußerst zahlreichen Buchhandlungen und Kioske in Tadschikistan über von neuen Ideen, neuen Strömungen und waren Schauplatz literarischer Experimente. „Dies ist heute in Tadschikistan schwer vorstellbar“, bedauert Stéphane Dudoignon, da das Land unter der Diktatur von Präsident Emomali Rahmon leidet, der jede abweichende künstlerische Äußerung blockiert.

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Viele der in „Hymnes des sang“ vorgestellten Autoren haben Tadschikistan oder Duschanbe während des Bürgerkriegs verlassen. Einige starben im Exil, wie Rahim Saidar, der in Moskau verstarb. Infolge ihrer Abreise verflüchtigte sich das kulturelle und intellektuelle Treiben, das in der Hauptstadt stattgefunden hatte.

Emma Collet Autorin für Novastan

Aus dem Französischen von Florian Coppenrath

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