Die Vorführung des tadschikischen Films „Der Flug der Biene” bot Novastan die Gelegenheit, den tadschikischen Regisseur Dschamsched Usmonow zu treffen.
Wie ein Geschmack von Honig. Diesen Eindruck hinterließ der Film “Der Flug der Biene“ am 28. Februar bei einer Retrospektive des tadschikischen Kinos in Paris. Der Regisseur Dschamsched Usmonow war bei der Vorführung dabei.
Die Retrospektive „Western, Poesie, Musik! Eine Reise zum tadschikischen Film” war eine Initiative des Instituts für orientalische Sprachen (Inalco) in Paris. Sophie Hohmann, Dozentin für Soziologie am Institut, initiierte einen Kurs zum Kennenlernen des tadschikischen Kinos, und zeigte dabei die Filme „Tod eines Wucherers“ von Tohir Sobirow und „Der Flug der Biene“ von Dschamsched Usmonow. Novastan sprach mit ihm über seinen Film und seine Vision von Zentralasien.
Novastan: Die Geschichte Ihres Films ist recht einfach: Die Hauptfigur des Films, Anor, gräbt eine öffentliche Toilette vor dem Fenster des Hauses des Bürgermeisters. Anor hatte vergeblich seinen Nachbarn darum gebeten, seine furchtbar stinkende Toilette zu verlegen, und der Bürgermeister hat sich nicht dafür eingesetzt. Hinter dieser einfachen Geschichte steckt das Anprangern von Machtmissbrauch, aber auch eine Form von Spott, nicht wahr?
Dschamsched Usmonow: Ja. Der Bürgermeister weigert sich, Anors Bitte zu berücksichtigen, weil sein Nachbar ein reicher, einflussreicher Geschäftsmann ist. Anor hat kein Gewicht, auch wenn er Lehrer ist und die Kinder des Dorfes unterrichtet. Seine witzige, humorvolle Antwort, ist für ihn ein Hebel, ein Handlungsspielraum. Es ist ein recht einfacher Film mit einer gewissen Form von Humor. Sowas nutze ich gerne in meinen Filmen.
Warum haben Sie für diese Veranstaltung genau „Der Flug der Biene“ gewählt?
Ich habe eine besondere Zuneigung zu diesem Film, denn er erzählt die Geschichte meines Urgroßvaters. Er war ein Mann mit Charakter. In unserer Familie erzählte man, dass er Ärger mit seinem Nachbarn hatte. Das gab mir die Handlung für den Film vor.
Die öffentliche Toilette ist also eine wahre Geschichte?
Ja, diese Geschichte ist meinem Urgroßvater vor 150 Jahren passiert. Natürlich hatte sie einen anderen Inhalt und ein anderes Ende. Ich habe sie neu durchdacht und versucht, ein Kunstwerk daraus zu machen. „Der Flug der Biene“ ist der zweite Teil eines Diptychons, der erste Film hieß „Der Brunnen“. Es war ein mittellanger Film, und ich hatte ihn 1990 gedreht. Das war kurz vor dem Bürgerkrieg in Tadschikistan, der bis 1997 andauerte. „Der Flug der Biene“ habe ich erst später realisiert. Für mich bilden diese beiden Filme das, was ich als „Wasserzyklus“ bezeichne.
Erklären Sie uns diesen „Wasserzyklus“.
Kurz gesagt: In „Der Brunnen“ gräbt der Hauptdarsteller ein Loch, um Wasser zu finden. Nach mehreren Metern stößt er auf einen riesigen Felsen, den er nicht überwinden kann, und beschließt daher, eine Toilette zu bauen. Der Film wurde im letzten Jahr der Existenz der UdSSR gedreht und spiegelt meine damalige Stimmung wider.
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Als vereinsgetragene, unabhängige Plattform lebt Novastan vom Enthusiasmus seiner ehrenamtlichen Mitarbeiter:innen – und von eurer Unterstützung!Die Geschichte eines Brunnens, der sich in eine Latrine verwandelt, war eine symbolische Geschichte des Landes: Die UdSSR war als etwas sehr Positives und Interessantes gedacht, aber alles endete schlecht. In „Der Flug der Biene“ ist es genau umgekehrt. Die Filmfigur will eine Toilette machen und stößt dabei auf einen Felsen, aber dort findet er Wasser.
Sind dieser Felsen und das Wasser Symbole für die Realität mit ihren Hindernissen und Erfolgen?
Es ist eine Allegorie auf das tägliche Leben, das voller Hindernisse steckt. Ich erzähle die Geschichte einer Person, die auf Schwierigkeiten stößt, aber nach ihren Prinzipien handelt und nicht nachgibt. Wenn man vor einer Sackgasse steht, bedeutet das für mich, dass der Sieg nicht weit entfernt ist. Man muss noch einige Schritte weitergehen.
Er geht bis zum Ende und hat ein schönes Geschenk, als er Wasser findet. Und er sagt, dass das Wasser so süß sein wird wie der Honig der Bienen. Honig bedeutet für mich Hoffnung. So endet der Film mit der Hoffnung.
Sie widmen Ihren Film Satyajit Ray (bengalischer Regisseur, 1921-1992, Anm. d. Ü). Bei ihm sind das Alltägliche und die Heiligkeit des Wassers miteinander verbunden. In Ihrem Film gibt es zahlreiche Verweise auf ihn.
Gleich zu Beginn mit der Musik! Sie stammt von Satyajit Ray. Dieser bengalische Regisseur war ein Archetyp des Schöpfers mit vielen Talenten. Er war Schriftsteller, Zeichner, Musiker … Er ist mein Lieblingsregisseur. Als ich diese Musik zum ersten Mal hörte, dachte ich mir, dass sie die Musik meines Films sein muss. Ich habe mir die Frage nach den Urheberrechten nicht gestellt, obwohl meine Produktionsmittel sehr gering waren. Zum Glück gewährte uns Satyajit Rays Sohn kostenfrei die Rechte für nichtkommerzielle Vorführungen.
Unter Ihren Vorbildern nennen Sie Bernard Bresson und Jean Becker. Könnten Sie uns sagen, warum?
Bernard Bresson ist für mich Kino in seiner reinsten Form. Er macht „pures Kino“. Dasselbe gilt für Jean Becker, aber sein Stil, würde ich als sanfter bezeichnen: Sagen wir so, die Pille ist bei ihm weniger bitter. Zur Rolle der Musik sagte Bernard Bresson, dass sie das Kino ausmacht. Schon zu Beginn eines Films hört man Musik. Sie gibt die Stimmung und den Ton an, bis zum Ende. Ohne sie gibt es kein Kino.
Aber es gibt noch andere berühmte Regisseure von überall her: aus Indien, aus Japan wie Akira Kurosawa oder Yasujiro Ozu, aus Russland wie Sergej Eisenstein oder Andrej Tarkowski, aus Italien wie Federico Fellini oder Michelangelo Antonioni … Die Liste ist lang.
War es wichtig, diesen Film inmitten Ihres Heimatdorfes zu drehen?
Warum an einem anderen Ort? Das ist der Ort, an dem mein Urgroßvater seinen Brunnen gegraben hatte! Es ist mein Heimatdorf und ich kenne jeden Winkel. Warum sollte ich woanders arbeiten, wenn es einen kleinen Ort gibt, den ich wirklich gut kenne?
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Alle meine Filme stammen von meiner Familie, einem Freund oder einem Nachbarn. Sherwood Anderson sagte einmal zu William Faulkner, einem amerikanischen Schriftsteller, den ich sehr verehre: „Sie sind ein Junge vom Land, alles, was Sie kennen, ist dieses kleine Stück Land in Mississippi, wo Sie angefangen haben. Allerdings reicht das aus. Das ist auch Amerika. Schreiben Sie darüber!“
Ihr Film ist schwarz-weiß und wurde mit sehr geringen Mitteln gedreht. Ich habe gehört, Sie hatten nur sehr wenig Filmrollen…
Ich kaufte die letzten Meter Film, die ich noch auf Lager hatte, in einer alten ukrainischen Fabrik, die die Sowjetunion belieferte – in Schostka. Wir hatten gerade genug, um nur eineinhalb Einstellungen zu machen. Wir probten die Szenen also sehr, sehr oft, bevor wir sie drehten. Stellen Sie sich die Schweißperlen in dem Moment vor, in dem ich sage: „Action!“. Die Kamera war eine sowjetische Konvas aus den baltischen Staaten. Ich erinnere mich, dass sie sehr laut war. Aber wir haben es geschafft.
Lassen Sie uns den Fokus erweitern. Gibt es Ihrer Meinung nach eine Besonderheit des tadschikischen Kinos im Vergleich zu den Filmen anderer zentralasiatischer Länder?
Zunächst die Sprache. Die tadschikische Sprache gehört zur Gruppe der persischen Sprachen, im Gegensatz zu den Turksprachen der anderen zentralasiatischen Länder. Tadschikistan hat eine sehr alte Kultur und Zivilisation. Ich habe sogar das Gefühl, dass sie auf Adam und Eva zurückgeht, auf die Geburt der Menschheit. Sie ist uralt.
Die Tadschiken sind ein sesshaftes Volk, während die anderen zentralasiatischen Länder überwiegend Nomadenvölker waren. Aber diese Unterschiede in der Geschichte und den Kulturen sind der Reichtum und die Identität Zentralasiens.
Möchten Sie lieber betonen, was den gemeinsamen Fundus Zentralasiens ausmacht?
Die zentralasiatischen Länder sind seit den 1990er Jahren unabhängig und haben ihre eigene Identität, aber sie sind auch sie haben auch viele russische Einflüsse geerbt. Alle sprechen neben der Volkssprache auch Russisch. Das ist ein Pluspunkt.
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Was die zentralasiatischen Kinos betrifft, so verdanken sie viel der sowjetischen Filmkunst, die in industrieller und künstlerischer Hinsicht unglaublich reich war! Ich selbst wurde am Staatlichen Höheren Filminstitut in Moskau ausgebildet, das 1919 gegründet wurde und als eine der größten Filmausbildungsstätten der Welt gilt. Jedes Land hat seine eigene Kultur, aber die Prägung durch die Geschichte kann man nicht unterdrücken. Außerdem hat Zentralasien das Glück, an der Kreuzung verschiedener Länder zu liegen, die in der Welt des Kinos einen guten Ruf haben.
Sie haben 2010 in Frankreich einen Film mit französischen Schauspielern gedreht – „Falsches Spiel“ (im Original: „Le roman de ma femme“, Anm. d. Ü.) – mit Olivier Gourmet und Léa Seydoux. Wie war diese neue Erfahrung für Sie?
Es war eine sehr bereichernde Erfahrung. Die Schauspieler sind sehr gut und die Qualität des französischen Kinos liegt auf der Hand. Aber ich muss sagen, dass ich durch die Anforderungen der Produktion ein wenig eingeschränkt war. In meinen früheren Filmen, in denen ich als Produzent tätig war, hatte ich freie Hand. Ich mache meine Filme sehr spontan und lasse den Instinkt und die Empirie mitwirken. Ich höre auf die Möglichkeiten, die sich mir bieten.
Eben, Sie sagen, dass das Kino wie ein lebender Organismus ist. Ist es das, was Sie meinten, wenn Sie von Spontanität sprechen?
Ja, meiner Meinung nach ist das Kino wie ein lebender Organismus. Es ist ein Spiegel des Lebens. Das spürt man bei jedem Film, der seine eigene Dynamik hat. Natürlich gibt es das Drehbuch und das, was man sich vorgenommen hat, aber man muss auf das hören, was während des Drehs passiert. Es können viele Überraschungen auftauchen, und man muss sie berücksichtigen. Das kann eine Figur sein, die im Drehbuch auftaucht, oder auch etwas ganz anderes.
Was sind Ihre Pläne: bereiten Sie einen weiteren Film vor?
Ja, ich werde in Tadschikistan drehen. Das Drehbuch habe ich bereits geschrieben, aber ich muss das Projekt noch zusammenstellen. Es ist die Geschichte vom Bau eines Gartens in der Wüste, mitten im Nirgendwo.
Eine letzte Frage: Nach der Vorführung von „Der Flug der Biene“ kam eine Frau zu Ihnen und sagte Ihnen etwas. Erzählen Sie uns davon.
Ja, sie kam zu mir und sagte: „Bevor ich Ihren Film gesehen habe, wollte ich mich an jemandem rächen. Und jetzt will ich mich nicht mehr rächen“. Ich kenne ihre Geschichte nicht und weiß auch nicht, über wen sie sprechen wollte. Was ich festhalte, ist, dass mein Film ihren Wunsch nach Rache verändert hat.
Ich habe nicht den Anspruch, die Welt zu verändern, aber manchmal kann die Verschiebung von ein paar Millimetern, das Zusammenstellen von kleinen Dingen neue Hoffnung geben und zeigen, dass es nicht nur das Böse als Antwort gibt. Es gibt immer ein Zeichen der Hoffnung, das Gute hat seinen Platz in unserem Leben. Das ist der Grund, warum ich Filme mache.
Patrick Do Dinh für Novastan
Aus dem Französischen von Giulia Manca
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