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Aktuelle Debatte um „LGBT-Propaganda“ in Kasachstan

Unter dem Vorwand, Kinder, Kultur und Traditionen zu schützen, hat die kasachstanische Elternvereinigung eine Petition gegen „LGBT-Propaganda“ gestartet. Nur einen Monat und 50.000 Unterschriften später bahnte diese sich ihren Weg zur öffentlichen Debatte. LGBT-Aktivisten sehen durch die Aktion ihre Rechte beschnitten und fürchten stärkere Diskriminierung.

Indira Ramírez 

Kasachstans Parlament Mäjilis (Symbolbild)

Unter dem Vorwand, Kinder, Kultur und Traditionen zu schützen, hat die kasachstanische Elternvereinigung eine Petition gegen „LGBT-Propaganda“ gestartet. Nur einen Monat und 50.000 Unterschriften später bahnte diese sich ihren Weg zur öffentlichen Debatte. LGBT-Aktivisten sehen durch die Aktion ihre Rechte beschnitten und fürchten stärkere Diskriminierung.

In einer Stellungnahme verurteilten LGBT-Gruppen und -Aktivisten des Landes Ende Juli die drakonischen Maßnahmen von Anti-LGBT-Gruppen und Behörden. Sie sehen die Meinungsfreiheit von Minderheiten bedroht.

Die Aktivisten halten den Vorschlag der Elternvereinigung für verfassungswidrig und frei jeglicher juristischen oder wissenschaftlichen Basis. „Auf nationaler Ebene tuen wir alles in unserer Macht stehende, um uns diesen Verbotsversuchen der sogenannten LGBT-Propaganda zu widersetzen. Eine solche ist absurd und inexistent“, betonen sie.

The Times Central Asia berichtet, dass Janar Sekerbaeva, Mitbegründerin der kasachstanischen feministischen Initiative Feminita, im Podcast des Politologen Marat Şibutov Stellung bezog. „In der Verfassung ist unmissverständlich festgelegt, dass wir vor dem Gesetz alle gleich sind und dass niemand Opfer von Diskriminierung sein darf. Diesen Artikel gilt es zu respektieren, das ist ein Grundrecht der Republik Kasachstan. Wir haben uns dafür eingesetzt, die Vereinbarungen im Sinne der Menschenrechte zu respektieren“, so Sekerbaeva.

Die Regierung prüft die Vorschläge

Die Elternvereinigung hat sich durch ihre konservativen und zuweilen verschwörungstheoretischen Ansichten einen Namen gemacht. So zeigte sie sich nicht nur als Impfgegner, sondern lehnte sich auch gegen die Verabschiedung des Gesetzes gegen häusliche Gewalt auf. Infolge der aktuellen Anti-LGBT-Petition entfachte am 1. August eine Debatte in Astana. Anhänger und Gegner der Maßnahmen waren zugegen, und auch Regierungsmitglieder gaben ihre Meinung und Unterstützung kund, so das kasachstanische Medium Vlast.

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Im Anschluss an die Debatte formierte sich im Fahrwasser des Ministeriums für Information und Kultur eine Arbeitsgruppe, die den Antrag zu Teilen unterstützte. Mehrere Ministerien sollten daraufhin wissenschaftliche Gruppen bilden. Unter den verschiedenen Forschungsthemen fand sich auch der Einfluss der LGBT-Bewegung auf die Jugendlichen. „Der genaue Inhalt der Forschungen ist weiterhin unklar“, betont Vlast und führt fort, dass „die Unterstützung der Petition seitens der Regierung beinah unaufhaltsam auf ein Inkrafttreten eines einschränkenden Gesetzes zusteuert. Immerhin hat der legislative Prozess Kasachstans einen sehr automatischen Charakter.“

Erzwungene Unterschriften

Die Elternvereinigung veröffentlichte ihre Petition mit dem Titel „Wir sind gegen offene und heimliche LGBT-Propaganda in der Republik Kasachstan“ auf einer neu angelegten offiziellen Website. Diese zielt darauf ab, die Regierung für Petitionen ab einer bestimmten Anzahl von Unterschriften empfänglicher zu machen. Gemäß der administrativen Vorschriften weist jene Petition die nötigen Unterschriften vor.

Die kasachstanische LGBT-Bewegung prangert derweil an, dass „die Petition nur durch die Unterstützung von Regierungsgruppen genügend Unterschriften erhalten hat. Sie übten enormen Druck auf Angestellte, Schuldirektoren und Lehrer aus, damit sie ihre Unterschrift setzen. Nur aufgrund dieses intensiven administrativen Aufwands konnte die Petition die nötige Anzahl Stimmen erreichen, sodass das Ministerium für Kultur und Information mit der Prüfung beginnen musste.“

UNO-Experten zeigen sich besorgt

Experten der UNO erklärten am 31. Juli: „Die Regierung Kasachstans sollte die zur Prüfung stehende Petition zurückweisen. Sie riskiert sonst, ein Gesetz zu verabschieden, dass nicht nur gegen die Meinungsfreiheit verstößt, sondern auch gegen die Versammlungsfreiheit und die Freiheit zur Vereinsgründung auf Grundlage der sexuellen Orientierung und Geschlechtsidentität. Die Petition selbst fußt auf Vorurteilen und jegliche Gesetzgebung würde unausweichlich in einem gesetzeswidrigen Verstoß der Menschenrechte enden.“

Diese Worte stammen von Graem Reid, unabhängige Expertin für den Schutz gegen Gewalt und Diskriminierung aufgrund sexueller Orientierung und Geschlechtsidentität, von Irene Khan, Sonderberichterstatterin der Vereinten Nationen zur Meinungs- und Redefreiheit, von Mary Lawlor, Spezialberichterstatterin zu Lage der Verteidiger der Menschenrechte, Gina Romero Rodriguez, Sonderberichterstatterin zum Recht auf Versammlungsfreiheit und von Farida Shaheed, Sonderberichterstatterin zum Recht auf Bildung.

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Ihnen zufolge steht das Verbot der sogenannten LGBT-Propaganda im Widerspruch zur administrativen Prozessordnung Kasachstans. Diese verbietet der Regierung, Petitionen zu prüfen, deren Umsetzung in einem Verstoß gegen die Menschen- und Freiheitsrechte resultieren würden. Wenn die Regierung auf die Petition eingeht und ein Gesetz erlässt, dass die öffentliche Meinungsäußerung von LGBT-Menschen verbietet, verstößt sie damit gegen zahlreiche Rechte, allen voran gegen das auf freie Meinungsäußerung und die Rechtsgleichheit. Diese sind durch die administrative Prozessordnung Kasachstans gesichert.

Kein sicheres Umfeld

Seit Anfang 2024 sehen sich LGBT-Aktivisten und -Gruppen immer mehr Diskriminierung ausgesetzt. Die Behörden heizen diese Anti-LGBT-Stimmung dabei weiter an. „Im Februar sperrten sie eine Website, die LGBT-Kinder und -Jugendliche informieren sollte. Im März verwehrten die Behörden in Almaty Feministinnen, eine Frauenversammlung zu organisieren, Sie rechtfertigten ihre Entscheidung mit LGBT-phoben Äußerungen aus der Bevölkerung.

Im April versuchten mehrere Mitglieder des kasachstanischen Parlaments, ein gesetzliches Verbot der Erwähnung von LGBT-Menschen in den Medien einzuführen. Darüber hinaus schlugen zwei weitere Abgeordnete die Einführung einer strafrechtlichen Verantwortlichkeit für die sogenannte LGBT-Propaganda vor, wobei sie auf Freiheitsstrafen von bis zu sieben Jahren hinauswollten. Auf diese Versuche folgten eine Reihe von Razzien der Polizei gegen LGBT-Clubs und -Partys in den Großstädten, bei denen Hunderte von LGBT-Personen rechtswidrig inhaftiert wurden“, erinnern die Aktivisten in ihrem Pressemitteilung.

In Russland weht ein ähnlicher Wind

Kasachstan fördert die Zensur der Meinungsäußerung von LGBT-Bewegungen und Einzelpersonen und ist damit in Zentralasien nicht allein. In Kasachstan ist es unmöglich, LGBT-Vereine zu anzumelden, und das Ehe- und Familiengesetzbuch sichert derweil das Verbot der Ehe für alle. Die Gegner der Anerkennung der LGBT-Rechte werden nicht müde zu betonen, die „Propaganda“ ziele darauf ab, westliche Werte durchzusetzen, die den traditionellen kasachischen Werten widersprächen.

Bagila Baltabaeva, Autorin der Petition und Vertreterin der Elternvereinigung Kasachstans, verwies auf die russischen Gesetze als positiv zu beurteilenden Präzedenzfall, um die „Propaganda für nicht-traditionelle sexuelle Beziehungen“ zu verbieten. Tatsächlich verabschiedete Russland 2013 in Russland ein solches Gesetz.

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In diesem Zusammenhang machte Baltabaeva auch mit kontroversen Aussagen zu Frauenrechten auf sich Aufmerksam: „Das kleine Kind von heute kann morgen der Führer des Landes werden. Und heute sagen diese acht- oder neunjährigen Mädchen, die an Kundgebungen teilnehmen: „Meine Vagina ist meine Sache“, „Nieder mit dem Patriarchat, wo bleibt die Revolution!“ Diese jungen Mädchen rufen gleich zu einer Revolution auf. Welche Sorte Menschen wird in zwei oder drei Generationen unser Land regieren?“

Indira Ramírez für Novastan

Aus dem Französischen von Arthur Siavash Klischat

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