Georgy Mamedov, Intellektueller und Verfechter der LGBT-Bewegung in Kirgistan, wurde für seine Arbeit vom Kultusministerium Frankreichs ausgezeichnet. Mit Novastan hat er über die soziokulturelle Situation in Kirgistan und die Arbeit seiner Organisation gesprochen.
Die Überraschung war perfekt, als Georgy Mamedov, Artdirector der Schule für Aktivismus und Theorie in Bischkek (STAB), erfuhr, dass ihn das französische Kultusministerium zum „Chevalier de l’Ordre des Arts et des Lettres“ ernannt hatte. Georgy selbst weiß nicht, wie es zu der Entscheidung kam, ihm den Ehrenorden zu verleihen, das Ministerium hat dazu keine Auskünfte gegeben. Gleichviel, er ist stolz. Das von Fleur Pellerin, der Kultusministerin, unterzeichnete Diplom, hat er eingerahmt.
STAB hat sich seit der Gründung vor vier Jahren in Bischkek etabliert und große Erfolge verbucht. Mit der Unterstützung diverser Stiftungen arbeitet STAB vor allem im Bereich zeitgenössischer Kunst und Menschenrechtsschutz, insbesondere der Rechte von LGBT.
Georgy, was war Ihre Reaktion als Sie den Orden erhalten haben?
Ich hatte das überhaupt nicht erwartet. Ich weiß nicht, nach welchen Regeln der Orden vergeben wird. Ich hoffe nur, dass ich ihn nicht dem Zufall verdanke oder man mich mit jemandem verwechselt hat. Vor längerer Zeit habe ich zwar das von Frankreich unterstütze Kulturzentrum Bactria in Duschanbe geleitet, aber meine Arbeit dort hatte nichts mit der französischen Kultur zu tun. Es stimmt allerdings, dass ich mich sehr für die französische Philosophie der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts interessiere.
Auch wenn die französische Philosophie in Kirgistan kein besonders prominentes Thema ist, stellt das kritische Denken im Frankreichs des 20. Jahrhunderts einen wichtigen Teil unserer Kultur dar und die Arbeiten der Philosophen haben einen großen Einfluss auf das heutige kritische Denken. STAB als Vereinigung wirkt aktiv an der Gestaltung einer kritischen Kultur mit, wir beziehen uns oft auf Texte dieser Autoren, sei es im Rahmen von Seminaren oder in unseren Forschungsarbeiten.
Was ist das „Manifest des queeren Kommunismus“, das auf der STAB-Website veröffentlicht ist?
Das Manifest steht für eine Gesellschaft, die nicht mehr auf der Trennung nach sozialen Klassen, dem Geschlecht oder der sexuellen Orientierung beruht, eine Gesellschaft, in der absolute Gleichheit herrscht. In unserer heutigen Gesellschaft sind Frauen die häufigsten Opfer von Gewalt und Erniedrigung. Zu vielen Berufen haben sie keinen Zugang, man gibt ihnen nicht die Wahl. Wenn ein Beruf zu riskant für eine Frau ist, warum ist er das nicht auch für einen Mann? Die ganze Welt, alle Gender, sollten sich vereinigen, damit niemand in Tätigkeiten ausüben muss, die unsere Gesundheit oder Leben gefährden.
Unter welchen Bedingungen arbeiten Sie hier in Kirgistan?
Kirgistan ist ein offenes Land, in dem wir sehr einfach arbeiten können. Leider wird die Staatsmacht immer autoritärer, doch das breite zivile Engagement und der politische Protest, sowie einige nach der Revolution 2010 geschaffene demokratische Institutionen ermöglichen es, sich dem entgegenzustellen.
Verstehen Sie sich als die Erben dieser Revolution?
Wir haben nichts mit der Revolution von 2010 zu tun, aber wir fühlen uns diesem Volksaufstand nahe. Kirgistan ist das einzige Land auf der Welt, das weiterhin an jedem 7. November (der 25. Oktober nach dem julianischen Kalender, Anm. d. Red.) die Große Sozialistische Oktoberrevolution feiert. Das zeigt, dass Kirgistan ein demokratisches Land ist, andernfalls wären die zwei Revolutionen und der Umsturz der Regierung unmöglich gewesen. Die Oktoberrevolution erinnert die Menschen daran, dass man sein Schicksal in die Hand nehmen kann, dass man ein bestehendes Regime in Frage stellen und auf ein besseres Leben hoffen kann. Und wenn die Staatsgewalt dem Volk diese Hoffnung nimmt, ist es in der Lage, diese zu stürzen.
Was denken Sie über die Entwicklung der Kunst in Kirgistan?
Das ist schwer zu sagen. Um ein Beispiel zu geben: die Akademie der Schönen Künste bildet jedes Jahr ungefähr 50 Architekten aus. Aber wenn man sich die Architektur in Bischkek ansieht kann man sich fragen, ob das eine gute oder schlechte Sache ist. Der Bau des neuen Campus der Amerikanischen Universität (AUCA) – das größte Projekt der letzten Jahre – wurde von einem amerikanischen Architekten umgesetzt.
Lange war es unmöglich, mit Diplomen aus der Zeit der Sowjetunion eine Arbeit zu finden. Was in den 90er Jahren passiert ist, hat die Bevölkerung überrascht und schockiert. Zu Beginn der 2000er war es die liberale Utopie, die dominiert hat. Die Leute hatten das Gefühl, dass alle Schwierigkeiten, denen sie sich hatten stellen müssen, ihre Wünsche und ihre Leben vergeblich waren. Sie haben eine falsche Richtung eingeschlagen, im Austausch für das Versprechen einer Welt der Freude, des kapitalistischen Reichtums und des Wohlstands, der Zugehörigkeit zu einer zivilisierten Welt.
Aber diese Hoffnungen sind verschwunden. Man hat ihr Streben und ihre Identität in Frage gestellt, ohne etwas im Gegenzug zu bieten.
Und die Demokratie? Die letzten kirgisischen Wahlen scheinen transparent abgelaufen zu sein…
Ja, die Wahlen waren relativ demokratisch. Aber trotz der vielen politischen Parteien, die angetreten sind, gibt es in Kirgistan keinen wahren Pluralismus. Die Parteien an der Macht sind alle konservativ und nationalistisch. Wir haben an einer Kampagne gegen das homophobe Gesetzesvorhaben teilgenommen, das dem Parlament vorlag und von allen großen Parteien unterstützt wurde.
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Stellen die Gruppen, welche das Gesetz unterstützen, für Sie eine echte Bedrohung war?
Alle aggressiven und xenophoben Gruppen sind natürlich eine Bedrohung für die Gesellschaft. Sie zögern nicht, ihre homophoben, nationalistischen und sexistischen Meinungen offen kundzutun. Aber sie sind Minderheiten. Wenn die schweigende Mehrheit diese Gruppen auch nicht unterstützt, so missbilligt sie sie auch nicht. Niemand ist bereit, ihnen ideologisch und politisch zu widersprechen. Die Menschen können ihre Unzufriedenheit zum Ausdruck bringen, das ist ihr Recht, aber die Frage ist, was ihre Argumente sind. Sie haben das Recht für ihre Werte zu kämpfen. Aber man muss auch wissen, welche Werte in einer bestimmten Gesellschaft dominieren.
Am Ende unseres Treffen spricht Georgy mit uns über die Konferenz des Therapeuten und Schriftstellers John Gray, Autor des Beststellers „Männer sind vom Mars, Frauen sind von der Venus“, die Anfang November auf dem Campus der Amerikanischen Universität stattfand. Georgy zufolge sind die Ansichten des Starautors offen sexistisch. Um ihen Unmut zu zeigen, betraten die STAB-Aktivisten während der Konferenz den Saal betreten und entrollten Banner mit der Aufschrift „Die Erde ist empört über Pseudowissenschaft und Sexismus“, was dem Gastredner offensichtlich missfiel. Kurz darauf wurde das Banner von Sicherheitskräften entzwei gerissen.
Dariya Kulova, Journalistin in Bischkek
Aus dem Französischen übersetzt von Luisa Podsadny