Die ältesten Bewohner von Nisour erinnern sich noch an den schönen Wald, der vor über 50 Jahren an das Dorf grenzte und heute zu kargem Land geworden ist. Fehlende Elektrizität zwang die Bewohner Nisours, die Vegetation zu dezimieren, aber nun befinden sie sich auf verlassenem Terrain und sind gezwungen, Öko-Aktivisten zu werden.
Dieser Artikel wurde im Original auf Living Asia veröffentlicht und wurde Novastan freundlicherweise zur Verfügung gestellt.
Tadschikistan könnte theoretisch an der achten Stelle der weltweiten Stromproduktion stehen, wenn man das Wasserkraftpotenzial des Landes betrachtet, welches sich auf 527 Milliarden kWh/Jahr beläuft. Allerdings ist das Land momentan nicht in der Lage, im Durchschnitt mehr als 16,5 Milliarden kWh/Jahr zu produzieren. Deshalb besteht in Tadschikistan ein Stromdefizit, vor allem im Winter. Die Dorfbewohner – 70% der Bevölkerung des Landes – sind die ersten, die von diesem Mangel betroffen sind: manche Dörfer sind sogar komplett ohne Strom
Nisour, ein abgelegenes Dorf ohne Ressourcen
Nisour ist ein Dorf im Bartang-Tal auf 2640 Meter Höhe und inmitten der Berge des Pamir gelegen. Mit ein wenig Glück schafft man es in 10 Stunden Fahrt, ins Zentrum der autonomen Region Berg-Badachschan (GBAO) zu gelangen. Doch die Straße ist oft wegen Steinschlägen abgeschnitten und im Winter können Lawinen das Dorf für mehrere Wochen komplett von der Welt abschneiden.
Zu Sowjetzeiten lebten die Menschen in Nisour gut. Das gesamte Bartang-Tal profitierte von der Erdöllieferung aus verschiedenen Regionen der UdSSR. Doch nach der Unabhängigkeit wurde die Situation schwieriger, da die Lieferungen ausgesetzt wurden. Resultat: die Bevölkerung musste massiv Bäume rund um das Dorf abholzen.
Hier gibt es keine Firmen oder Fabriken, wo die Leute ausreichend Geld verdienen könnten, um die wichtigsten Einkäufe zu realisieren: ein Auto, Holz und 2 Tonnen Kohle für den Winter. All dies würde ungefähr 4900 Somoni (entspricht etwas mehr als 570€) kosten; hierbei ist anzumerken, dass sich der Mindestlohn in Tadschikistan auf 400 Somoni (50€) beläuft. Aufgrund eines Mangels an Ressourcen müssen Alte und Junge jeden Tag die Berge besteigen, um Holz zu sammeln; dies kann bis zu 8 Stunden in Anspruch nehmen.
Solarenergie als Alternative
Ein lokaler Aktivist, Rozik Yaftaliev, ist einer der ersten, die vor 7 Jahren angefangen haben, Solarenergie zu benutzen und von den anderen Dorfbewohnern als Glückspilz angesehen wird. Rozik und seine Familie besitzen nicht nur einen Solarofen, sondern ebenfalls ein „luxuriöses“ Objekt: ein energieeffizientes Gewächshaus. Im Inneren hat er Gemüse und Kräuter angepflanzt. Die Bepflanzung beginnt trotz der extremen Kälte im Februar.
Rozik präsentiert uns mit Stolz sein energetisches Arsenal. So besitzt er Solarpaneele auf dem Dach des Hauses. Diese produzieren 1000 Watt Strom am Tag. Das ist ausreichend, um die Glühbirnen in den 4 Zimmern des Hauses zu versorgen, den Fernseher und einen Kühlschrank, ebenfalls energieeffizient, zu betreiben. Neben den Paneelen ist ein Solarboiler mit einer Kapazität von 170 Litern angebracht. Dieser erlaubt es 5 Familienmitgliedern, einmal am Tag zu duschen, der Frau des Hauses, 3 Mal am Tag das Geschirr zu waschen sowie am Abend eine Wäsche zu waschen. Unten im Hof befindet sich ein Solarofen. Für jeden „Tag“ kochen spart die Familie 10 Kilogramm Holz.
„Vorher war es nicht leicht, zu leben. Im Herbst wurde es besonders schwer, wenn man Vorräte für den Winter beschaffen musste. Man sammelte Holz und „Teresken“ [Anm. d. Redaktion: Pflanzenart, die in der Bergregion des Pamir wächst; ein Wüstenstrauch] für das Feuer um 6 Uhr morgens und kehrte nur zum Mittagessen zurück. Und dies tat man einen Monat lang jeden Tag. Der Dachboden, 10m x 20m groß, war vollkommen mit Holz und Pflanzen gefüllt. Aber am Ende war es immer ungenügend. Man musste zusätzlich Kohle kaufen, und ich versichere Ihnen, dass das nicht gratis ist: 1 Kilo kostet 1 Somoni und 20 Diram (15 Cent). Mein Lehrergehalt beträgt 600 Somoni (75€), damit konnte ich nicht viel kaufen. Es war schwer, über die Runden zu kommen,“ erinnert sich Rozik.
Mit dem Aufkommen der Solarenergie haben sich die Ausgaben der Familie Rozik halbiert. Er hat nicht komplett aufgehört, Kohle zu kaufen und Holz sammeln zu gehen, da die Solargeräte an Tagen mit schlechtem Wetter nicht funktionieren, aber er kann es sich erlauben, wesentlich weniger Vorräte anzusammeln, als zuvor. „Jetzt kann ich meine Schwester, die in der Stadt studiert, finanziell unterstützen, ein wenig mehr an Lebensmitteln kaufen und hierbei sogar Abwechslung reinbringen, Geld für die Kleidung meiner Kinder ausgeben und sogar Geräte für mein Haus, wie ein Telefon, einen Fernseher etc., erwerben,“ erzählt Rozik.
Aber es sind die Einsparungen an Kräften und Zeit, die sie am meisten erfreuen. Vorher hatte Nisso, die Schwester von Rozik, an einem halben Tag keine Zeit, mehr als nur ein paar Sträucher nach Hause zu bringen, bevor sie das Essen vorbereitete. Heute ist in der selben Zeit das Frühstück zubereitet, der Hof gefegt, die Bettwäsche gewaschen, die Suppe fertig, der grüne Tee gezogen und Nisso hat Zeit, fernzusehen und Brot im Solarofen zu backen.
Das Verschwinden von Teresken, eine Gefahr für das Ökosystem
Die ältesten Bewohner von Nisour erinnern sich, dass sich noch vor knapp 50 Jahren ein schöner Wald nicht weit entfernt von ihnen befand. An dessen Stelle befindet sich heute nackter Boden. „Sie dafür zu verurteilen ist nicht richtig,“ sagt Rozik. „Es gab keine andere Wahl. Sie mussten ihren Wald opfern, um sich vor Hunger und Kälte zu retten.“
Zusätzlich zu den Bäumen wurden auch die Tereskensträucher ausgerissen, obwohl sie eine besondere Rolle in der Erhaltung des lokalen Ökosystems einnehmen. Der exzessive Gebrauch dieser Pflanze als Brennmaterial hat zu einer deutlichen Verschlechterung der Böden geführt. Doch das schlimmste ist, dass das Vieh unter diesem Verschwinden leidet, da es sich hierbei um die Grundlage ihrer Ernährung handelte.
Laut Rozik ist die Anzahl des geernteten Teresken unbekannt, doch die Fläche, wo die Pflanze wächst, reduziert sich sichtlich von Jahr zu Jahr. Konnte man sie vor 2 Jahren noch 15 Kilometer entfernt von den Wohnstätten finden, muss man heute 30 Kilometer dafür gehen. „Ich weiß nicht, wieviel Zeit es in Anspruch nehmen wird, diese Flora wiederherzustellen, aber eine Sache ist sicher: um ihr Wachstum abzuschließen, benötigt Teresken 40 Jahre. Und bei uns pflückt man sie jeden Tag, obwohl die Tereskenpflanzen noch jung sind.“
Aus diesem Grund arbeitet er mit der Umweltorganisation Malenkaya Siemla (Kleine Erde) zusammen. Diese Organisation wurde 1997 gegründet und hat verschiedene Projekte zur Sensibilisierung von GMO, hinsichtlich der Risiken von Naturkatastrophen oder der Erhaltung von Biodiversität durchgeführt. Momentan sind die Schwerpunkte der Arbeit der Klimawandel, die „Umwelterziehung“, der Auf- und Ausbau der Nutzung von erneuerbaren Energien sowie die Unterstützung von ökologischen Bewegungen unter Jugendlichen.
Eine teure Baustelle
Wieviel Geld wird nötig sein, um ein Dorf mit Solarenergie zu versorgen? Laut der Vertreter der Organisation „Kleine Erde“ ist dies eine teure Baustelle. Seit 7 Jahren werden im Bartang solarenergiebetriebene Geräte montiert. Man bräuchte noch ca. 1,2 Millionen Dollar, um Nisour und die Nachbardörfer mit Solarenergie und ökologischen Geräten auszustatten.
„Es ist ganz einfach teuer, da der Markt für erneuerbare Energie in Tadschikistan nicht ausreichend entwickelt ist, man muss alles im Ausland bestellen. Ein Solarofen kann für 120€, ein guter Boiler für 1100€, ein Solarpaneel-Set einer Stärke von 2 kW (bestehend aus 2 oder 4 Paneelen, 2 Akkumulatoren und 1 Konverter) für 1000€ erworben werden. Dies ist nicht für jeden zugänglich.“, erklärt die Vertreterin der Organisation Natalia Idrissova.
Während der gesamten Arbeiten hat die Umweltorganisation „Kleine Erde“ mehr als 70 solarenergiebetriebene Geräte in das Bartang-Tal gebracht. Unter ihnen auch mehr als 10 Solarpaneel-Sets, die auf Schulen und Gebäuden öffentlicher Einrichtungen angebracht wurden. Im Rahmen des Projekts „50/50“ haben 40 Familien aus verschiedenen Dörfern Solaröfen erhalten. Im vergangenen August war vorgesehen, zusätzlich 20 Öfen und 20 kleine Solarpaneel-Sets zu verteilen.
Makhpora Kiromova für Living Asia
Aus dem Russischen übersetzt von Agnes Lüdicke