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„Bauryna Salu“ – Coming of Age trifft Tradition

“Bauryna Salu“ erzählt die Geschichte von Yersultan, der gemäß einer alten Stammestradition bei seiner Großmutter aufwächst. Das Coming-of-Age-Drama feierte am 25. April auf dem 24. goEast-Filmfestival in Wiesbaden Deutschlandpremiere.

„Bauryna Salu“ von Askhat Kuchinchirekov ist ein einfühlsammes Coming-of-Age-Drama (Photo bereitgestellt von goEast – Festival des mittel- und osteuropäischen Films)

“Bauryna Salu“ erzählt die Geschichte von Yersultan, der gemäß einer alten Stammestradition bei seiner Großmutter aufwächst. Das Coming-of-Age-Drama feierte am 25. April auf dem 24. goEast-Filmfestival in Wiesbaden Deutschlandpremiere.

Mit seinem schmerzhaft-berührenden Coming-of-Age-Drama „Bauryna Salu“ ist dem kasachstanischen Regisseur Ashkat Kuchinchirekov ein beeindruckendes Langfilmdebüt gelungen. Der Film erzählt die Geschichte des 12-jährigen Yersultan, der bei seiner Großmutter aufwächst und nach deren Tod in seine Familie zurückehrt, zu der er aber keine Bindung hat. Der Film, der im Rahmen des 24. goEast-Filmfestivals seine Deutschlandpremiere feierte, konnte dort gleich einen großen Erfolg verzeichnen. Die Wahl des goEast-Medienpartners 3sat, der jedes Jahr einen Spielfilm des Wettbewerbs für den Ankauf auswählt, fiel 2024 auf „Bauryna Salu“.

Der Titel des Films bezeichnet eine alte nomadische Stammestradition, der gemäß der älteste Sohn nach seiner Geburt Verwandten übergeben wird, damit diese ihn erziehen. Ashkat Kuchinchirekov übt mit seinem Film vehemente Sozialkritik an eben jener Tradition, indem er am Beispiel Yersultans bewegend erzählt, was diese bei den betroffenen Kindern auslöst. Der Regisseur, der gemäß dieser Tradition selbst bei seinen Großeltern auswuchs, verarbeitet dabei auch eigene Kindheitserfahrungen.

Ein warmer Sommer

Schon mit der ersten Einstellung lässt der Film die Zuschauenden an der Härte von Yersultans Leben teilhaben. In einer Salzmine leistet der 12-jährige harte körperliche Arbeit, um etwas Geld zurückzulegen. Mit seiner Großmutter lebt der Junge in einem bescheidenen Lehmhaus in einem Dorf. Auch abseits der Mine ist sein Leben von Arbeiten auf dem Feld oder am Haus der Großmutter geprägt.

Seine Großmutter liebt Yersultan innig, dennoch denkt er insbesondere nachts an seine Eltern, die er nur von einer Fotografie kennt. Mit eben jenem Foto steht er abends vor dem Spiegel und betrachtet, inwieweit sich seine Gesichtszüge mit denen der Abgebildeten ähneln.

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Trotz der familiären Umstände und den Bedingungen seines Alltags wirkt Yersultans Leben glücklich und beim sommerlichen Baden oder dem Raufen mit seinem Freund Damir scheint er eine unbeschwerte Kindheit zu durchleben. Kuchinchirekov gelingt es dabei, mit stillen und langsamen Einstellungen diese Momente einzufangen und das kasachstanische Dorfleben in warmen und erdigen Farben zu porträtieren.

Yersultans Leben nimmt jedoch eine schmerzhafte Wendung als die Großmutter stirbt. Der Junge, der damit die wichtigste Bezugsperson in seinem Leben verliert, kämpft mit der Trauer und muss gleichzeitig einen Schritt zum Erwachsenwerden machen. Als einziger Verwandter der Toten kommen ihm bei der Beisetzung wichtige Aufgaben zu. Beispielsweise inspiziert er das ausgehobene Grab der Großmutter von innen.

… und ein kalter Winter

Der Film macht einen Sprung in den Winter. Yersultan ist zu seiner Familie „zurückgekehrt“. Gemeinsam mit seinem jüngeren Bruder Yerkyn muss er seinem Vater bei den ebenfalls harten Arbeiten auf dem Hof unterstützen. Zu seiner Familie hat Yersultan keine Bindung, dennoch versucht er eine Beziehung zu seinen Eltern, insbesondere zu seinem Vater, aufzubauen. Dieser bevorzugt aber Yerkyn und sieht an seinem Ältesten vor allem das Unvermögen die anfallende Aufgaben zufriedenstellend zu erledigen. Tätigkeiten, die Yersultan aber fernab des elterlichen Hofs nie erlernt hat. Eine besonders symbolträchtige Rolle spielt dabei das in Kasachstan wichtige Reiten, das Yersultan so gerne erlernen möchte.

Auch in der Schule findet Yersultan keinen Anschluss. Alltäglich erfährt er die Gewalt seiner Mitschüler, die den verschlossenen Neuankömmling drangsalieren. Die Klassenkameraden und ihre gezielten Schläge setzen damit einen Gegenpol zu Damir und dem freundschaftlichen Raufen, an dem sich Yersultan so gern beteiligt hatte. Immer öfter schwänzt er daher die Schule, was zu neuen Konflikten mit seinem Vater führt.

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Dieser versucht mit der Zeit, das Verhältnis zu seinem Sohn zu verbessern, indem er ihm ein Pferd kauft, damit er reiten lernen kann. Er scheitert jedoch mit diesem Versuch auf ganzer Linier, da er die Angst des Jungen angesichts des wild galoppierenden, halbgezähmten Tieres ignoriert. „Ich werde runterfallen“, sagt Yersultan, worauf der Vater lachend entgegnet, dass das alle beim ersten Mal tun. Da Yersultan sich weigert, das Pferd zu besteigen, muss er als Strafe zu Fuß nach Hause gehen.

Der ewige Streit in der Schule endet damit, dass Yersultan nach einer weiteren Attacke seines Mitschülers diesen mit einem Stein an den Kopf schlägt und ihn damit fast tötet. Als sein Vater davon erfährt schlägt er den Sohn, da er die Ehre der Familie verletzt habe. Yersultan fordert den Vater auf, ihn fester zu schlagen, da er ihn nicht liebe und weggegeben habe. Er wirft seinem Vater vor, dass er das Geld aus der Salzmine gespart habe, um zu seinen Eltern fahren zu können, während sie ihn nicht ein einziges Mal besucht hätten. Der Vater, der sich nach einer Zigarette an der frischen Luft der eigenen Verfehlungen bewusst wird, versucht seinem Sohn die versagte Liebe zu geben und ihn zu umarmen. Doch Yersultan wehrt sich. Das Verhältnis von Vater und Sohn scheint unumkehrbar zerstört.

Ein eindrückliches Porträt

Mit „Bauryna Salu“ hat Ashkat Kuchinchirekov einen einfühlsamen Film geschaffen, der den Zuschauenden die tiefsten Gefühle des Hauptcharakters offenlegt und seine persönlichen Konflikte spüren lässt. Den tiefen Schnitt, den der Tod der Großmutter und die Rückkehr zu den Eltern, in Yersultans Leben hinterlässt, untermalt der Regisseur, indem er in langen, dokumentarisch anmutenden Bildern beide Phasen im Leben des Protagonisten gleichberechtigt gegenüberstellt. Dabei heben die Farbstimmungen das Fiktionale hervor und setzen die erdigen, warmen Töne des Sommers in bewussten Kontrast zum Eisblau des Winters.

Dabei ist „Bauryna Salu“ ein eindrückliches Porträt des kasachstansichen Landlebens, dessen Lebensweisen und Traditionen Kuchinchirekov mit Respekt darstellt und gleichzeitig die karge Schönheit der Landschaft und Menschen einfängt. Gerade hieran zeigt sich aber auch, dass der Film in erster Linie an ein westliches Publikum gerichtet ist. Denn obwohl „Bauryna Salu“ mit seiner Kritik an der Stammestradition eine klare Botschaft an kasachstanische Zuschauende hat, kann der Film mit seinen langsamen Bildern des im Land hinlänglich bekannten Dorflebens hier nicht verfangen. Ähnlich wie auch die Filme Ädilhan Erjanovs kann „Bauryna Salu“ also beim europäischen Festivalpublikum punkten, ohne dabei im eigenen Land nennenswerte Spuren zu hinterlassen.

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Dass Kuchinchirekov aber mit seiner Entscheidung, der eigenen Linie treu zu bleiben, genau richtig lag, zeigt sich in der Auszeichnung, die „Bauryna Salu“ während des 24. goEast-Filmfestivals erhielt. Der goEast-Medienparter und Fernsehsender 3sat wählte den Film für den Ankauf aus. „Das stille und kraftvolle Langfilmdebüt „Bauryna Salu“ von Ashkat Kuchinchirekov bietet in seiner schmerzhaft-berührenden Auseinandersetzung mit der gleichnamigen Stammestradition in Kasachstan authentische Einblicke in eine fremde Welt und ihre Lebens- und Arbeitspraktiken“, heißt es in der Begründung. Wer also „Bauryna Salu“ dieses Jahr in Wiesbaden verpasst hat, wird spätestens im April 2025 die Gelegenheit haben, diesen sehenswerten Film vor dem heimischen Endgerät zu schauen.

Robin Roth für Novastan

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