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Der Klimawandel und Hochwasser: Ist Kasachstan gewappnet für neue Katastrophen?

Kasachstan wurde von einem derart starken Frühlingshochwasser getroffen, dass in zehn Regionen des Landes der Ausnahmezustand verhängt wurde. Expert:innen sind sich einig: Das Ausmaß der diesjährigen Überschwemmungen ist Folge des menschengemachten Klimawandels. Um weiteren Katastrophen vorzubeugen, sind neue, regionale Ansätze notwendig.

Der Norden Kasachstans ist in diesem Jahr von einem außergewöhnlichen Frühlingshochwasser betroffen, Photo: Aq Orda

Kasachstan wurde von einem derart starken Frühlingshochwasser getroffen, dass in zehn Regionen des Landes der Ausnahmezustand verhängt wurde. Expert:innen sind sich einig: Das Ausmaß der diesjährigen Überschwemmungen ist Folge des menschengemachten Klimawandels. Um weiteren Katastrophen vorzubeugen, sind neue, regionale Ansätze notwendig.

Mehr als 6.000 überflutete Häuser, über 117.000 evakuierte Anwohner:innen, Ausnahmezustand in zehn Regionen des Landes, sieben Todesopfer – das sind die Folgen der beispiellosen Überschwemmung in Kasachstan [Stand 19. April 2024]. Ökolog:innen und Klimatolog:innen bringen dies mit dem globalen Klimawandel in Verbindung und warnen: Überschwemmungen, Dürren und andere Naturkatastrophen könnten in Kasachstan zum Dauerzustand werden.

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Solch große und zerstörerische Überschwemmungen wie im Jahr 2024 hat es in den letzten 80 Jahren in Kasachstan nicht gegeben. Expert:innen für Wasserressourcen meinen, dass die Ursachen große Niederschlagsmengen im Winter und ein ungewöhnlich warmer März waren, welcher zu einer starken Schneeschmelze führte. Der mit Feuchtigkeit übersättigte und stellenweise noch gefrorene Boden konnte das Schmelzwasser nicht aufnehmen. Das gesamte Wasser gelangte in die Flüsse, die infolgedessen über die Ufer traten.

Mehr Überschwemmungen und Dürren

Die auf Hochwasserrisiko spezialisierte Ingenieurin Renata Sadrtdinova untersucht den Zustand der Wasserressourcen in Kasachstan. Sie ist überzeugt, dass der Hauptgrund für den schneereichen Winter und den ungewöhnlich warmen März der globale Klimawandel ist. Die aktuelle Flut sei nur ein Vorbote zukünftiger Katastrophen.

„Der Klimawandel wird bestehende Probleme, insbesondere Überschwemmungen und Dürren, weiter verschärfen“, erklärt Sadrtdinova. „Im letzten Jahrzehnt wurden viele Studien veröffentlicht, […] die den Klimawandel bis 2050 und bis 2100 vorhersagen. Prognosen zufolge werden die Temperaturen in ganz Kasachstan bis zum Jahr 2100 voraussichtlich um 7 Grad Celsius ansteigen. Gleichzeitig ist in sehr feuchten Regionen wie Ost- und Nordkasachstan mit verstärkten Niederschlägen zu rechnen, in trockenen Regionen wie dem Gebiet Mañğystau hingegen werden wir Dürreperioden beobachten, ähnlich denen, die bereits 2021 aufgetreten sind.“

Als Hauptursache für den Klimawandel nennt die Expertin den Faktor Mensch: Schadstoffemissionen in die Atmosphäre hätten die Prozesse des Klimawandels deutlich beschleunigt. „Ohne menschliches Zutun würde sich das Klima auch ändern, allerdings viel langsamer“, ist Sadrtdinova überzeugt.

Regionale Ansätze notwendig

Kann man sich auf solche Katastrophen vorbereiten? Laut Quralaı İahieva, Expertin für Klimawandel und Koordinatorin des öffentlichen Fonds „Wasserpartnerschaft Kasachstans“, haben Wissenschaftler:innen bereits vor 10 bis 15 Jahren Alarm geschlagen. Die aktuellen Überschwemmungen seien nichts anderes als eine Folge mangelnder Aufmerksamkeit der Behörden gegenüber Umweltproblemem.

„Kasachstan ist ein sehr großes Land. Wir haben Wälder, Steppen und Berge. Daher muss die Anpassung an den Klimawandel umfassend angegangen und für jede Region ein eigener wissenschaftlicher Ansatz entwickelt werden“, meint İahieva.

Sie erinnerte daran, dass Kasachstan an großen Konferenzen zum Klimawandel teilgenommen und Konventionen und Protokolle zum Thema Wasser unterzeichnet hat, sodass die Regierungsebene sich dieses Problems bewusst sein sollte. Allerdings wechselt die Leitung der für Gewässer zuständigen Regierungsbehörden sehr häufig.

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„Im Jahr 2020 haben wir ein staatliches Programm zur Bewirtschaftung der Wasserressourcen vorbereitet. Aber aufgrund der Tatsache, dass der Ausschuss für Wasserressourcen von einem Ministerium zum anderen übertragen wurde, musste dieses Programm mehrmals neu genehmigt und die damit verbundenen Aktivitäten überarbeitet werden. All dies führte dazu, dass die von 2020 bis 2024 geplanten Aktivitäten nicht umgesetzt wurden. Wenn die Arbeiten im Rahmen dieses Programms rechtzeitig durchgeführt worden wären, hätte vieles vermieden werden können“, so die Expertin.

Laut İahieva hat sich aufgrund des Klimawandels auch die Hochwassersaison in Kasachstan verschoben: „Das Hochwasser wurde immer im April erwartet. Im März ließ man Wasser aus den Stauseen ab und bereitete sich so auf das Hochwasser vor. Jetzt beginnen die Überschwemmungen Ende März, was bedeutet, dass im Januar und Februar Wasser aus den Stauseen abgelassen werden muss. Daher ist es zunächst notwendig, die gesamte Hydrologie der Flüsse Kasachstans erneut zu untersuchen, das System der Stauseen unter Berücksichtigung des Klimawandels zu überarbeiten und sich auf der Grundlage wissenschaftlicher Forschung auf weitere Naturkatastrophen vorzubereiten.“

Was macht die Regierung?

Renata Sadrtdinova spricht von einem ähnlichen Problem: „Das Klima wird sich weiter verändern, insbesondere in Regionen wie Kasachstan, weil wir viel Methan und Kohlendioxid ausstoßen. Aber ich sehe nicht, dass die Regierung sich damit überhaupt beschäftigt.“

Dennoch wird auf Regierungsebene regelmäßig über den Klimawandel gesprochen und der Wille bekundet, die Emissionen zu reduzieren. Im Dezember 2023 bewertete Kasachstans Minister für Ökologie und natürliche Ressourcen, Erlan Nysanbaev, das Ausmaß der Bedrohung durch den Klimawandel. Er erklärte, Kasachstan unternehme Schritte, „um seinen Verpflichtungen nachzukommen und dem allgemeinen globalen Trend zur Reduzierung des Einsatzes fossiler Brennstoffe zu folgen“.

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„Das Klima hat sich verändert. Und natürlich kann dieser Prozess […] gestoppt werden, wenn wir den Klimawandel beziehungsweise den Anstieg der Lufttemperatur auf dem Planeten Erde bei bis zu 1,5-2 Grad belassen. Heute verstehen die Staaten, dass dieses Problem eine Bedrohung für die Existenz der gesamten Menschheit darstellt. Da wir in der Vergangenheit große Mengen an fossilen Brennstoffen verbraucht haben, müssen wir in dieser Richtung sehr vorsichtig vorgehen, aber gleichzeitig die nachhaltige Entwicklung unserer Wirtschaft sicherstellen“, erklärte der Minister.

Kasachstan arbeitet mit vielen internationalen Organisationen zusammen, um die Folgen des Klimawandels zu minimieren. Das Land hat sich zur Erreichung der Ziele für nachhaltige Entwicklung verpflichtet und das Rahmenübereinkommen der Vereinten Nationen über Klimaänderungen (UNFCCC) und das Pariser Abkommen ratifiziert. Im Jahr 2023 wurde die Strategie zur Erreichung der CO2-Neutralität bis 2060 verabschiedet.

Ahmet Isaev für CABAR

Aus dem Russischen von Robin Roth

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