Am 9. Juli finden in Usbekistan vorgezogene Präsidentschaftswahlen statt. Das Central Asian Bureau for Analytical Reporting (CABAR) stellt die Kandidierenden und ihre Programme vor und befragt Expert:innen zu dem Urnengang.
Am 9. Juli finden in Usbekistan vorgezogene Präsidentschaftswahlen statt. Dies gab Amtsinhaber Shavkat Mirziyoyev unmittelbar nach der Ergebnisbekanntgabe des Verfassungsreferendums bekannt, welches am 30. April dieses Jahres stattgefunden hatte.
Expert:innen erklärten auf Anfrage von CABAR, dass diese Eile auf Mirziyoyevs Wunsch zurückzuführen sei, trotz sinkenden Vertrauens lange an der Macht zu bleiben. Bis zum Ende seiner Amtszeit wären noch 3,5 Jahre geblieben. Unmittelbar nach Bekanntgabe der Ergebnisse des Verfassungsreferendums wurden jedoch Änderungen im Wahlgesetz vorgenommen. In diesem Zusammenhang kündigte der Präsident vorgezogene Neuwahlen an.
Mirziyoyev selbst erklärte, dass er die verbleibenden dreieinhalb Jahre seiner derzeitigen Amtszeit aufgibt, um so seinem Volk besser dienen zu können. Er versprach, dass „die Wahlen in voller Übereinstimmung mit dem Gesetz, offen und transparent abgehalten werden, dass Parteien und Präsidentschaftskandidaten neue Ideen und Initiativen vorbringen werden, die dem Frieden und dem Wohlstand des Landes und dem Wohlergehen der Menschen dienen.“ Gemäß den Gesetzesänderungen sollen die Wahlen innerhalb von zwei Monaten stattfinden.
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In Usbekistan können Präsidentschaftskandidat:innen nur von politischen Parteien nominiert werden. Am 2. Juni stellten die Parteien alle Dokumente der Zentralen Wahlkommission zur Verfügung, einschließlich der notwendigen Unterschriften von Unterstützer:innen. Am 7. Juni registrierte die Wahlkommission alle Kandidierenden und der Wahlkampf begann.
Gemäß dem Gesetz über Präsidentschaftswahlen mussten die zur Teilnahme an den Wahlen zugelassenen politischen Parteien Unterschriften sammeln – 1 Prozent aller Wahlberechtigten. Es ist jedoch noch unklar, ob die Kandidierenden die erforderliche Anzahl gesammelt haben. Anstelle konkreter Zahlen berichtet die Wahlkommission, dass die Anzahl der gesammelten Unterschriften ausreichend sei.
Was über die Kandidierenden bekannt ist
Neben dem 65-jährigen Shavkat Mirziyoyev selbst, der von der regierenden Liberaldemokratischen Partei Usbekistans nominiert und von der Demokratischen Partei Milliy Tiklanish (Nationale Wiederbelebung) unterstützt wurde, gibt es drei weitere Kandidat:innen.
Einer von ihnen ist die 65-jährige Senatorin Robahon Mahmudova, die von der sozialdemokratischen Partei Adolat (Gerechtigkeit) nominiert wurde. Es ist das erste Mal, dass sie an den Präsidentschaftswahlen teilnimmt. Bis 2008 war sie Richterin am Obersten Gerichtshof. Von 2017 bis 2020 arbeitete sie als Leiterin des Volksempfangsbüros des Präsidenten in der Provinz Fargʻona. Im Januar 2020 wurde sie zur ersten stellvertretenden Vorsitzenden des Obersten Gerichtshofs ernannt. Laut Gesetz sind Richter:innen nicht berechtigt, sich politisch zu betätigen, daher wurden Mahmudovas richterliche Befugnisse ausgesetzt.
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Der 61-jährige Fraktionschef Ulugbek Inoyatov bewirbt sich für die Volksdemokratische Partei. Von 2013 bis 2018 war er Minister für öffentliche Bildung und seit 2020 ist er stellvertretender Sprecher der gesetzgebenden Kammer des Oliy Majlis.
Für die Ökologischen Partei kandidiert ihr Vorsitzender, der 50-jährige Agrarwissenschaftler Abdushukur Xamzaev. Der breiten Öffentlichkeit ist er praktisch unbekannt. Xamzaev widmete sich viele Jahre lang dem Studium der Ökologie sowie der Land- und Forstwirtschaft. Im Jahr 2021 wurde er Vorsitzender des Landesausschusses für Ökologie und Umweltschutz.
Mirziyoyev beginnt mit seinen Errungenschaften, die anderen mit ihren Biografien
Ab dem 7. Juni finden in allen Regionen des Landes Wahlkampfveranstaltungen der Kandidierenden oder ihrer Stellvertreter:innen statt. Nach Angaben der Zentralen Wahlkommission beläuft sich der Wahlfonds jedes einzelnen auf 5 Milliarden Sum (437.000 US-Dollar).
Shavkat Mirziyoyev begann seinen Wahlkampf als Präsidentschaftskandidat in Nukus. Es war sein erstes Treffen mit Bewohner:innen der Region seit der Niederschlagung der Massenproteste in Karakalpakstan gegen den angeblichen Entzug des Autonomiestatus der Republik. Dabei starben im Juli 2022 mindestens 18 Menschen, Dutzende Demonstrierende wurden festgenommen.
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Mirziyoyev versprach, Verbesserungen im sozialen Bereich und insbesondere im Bildungsbereich einzuleiten. „Von Karakalpakstan aus wurde die Einführung kostenloser Mahlzeiten für Grundschüler gestartet. Die Einführung von Schulbussen für Kinder in abgelegenen Dörfern wird in derselben Region beginnen“, sagte der Präsident in Nukus.
Im Wahlkampf verspricht der Amtsinhaber ein zweistufiges Bildungssystem, Vorteile für die Familien von Arbeitsmigrant:innen bei der Zulassung zu Universitäten und kostenlose Kindergärten für Kinder aus einkommensschwachen Familien. Seine Tochter Saida Mirziyoyeva, die in der Präsidialverwaltung arbeitet, unterstützt ihn im Wahlkampf. In sozialen Netzwerken setzt sie sich für Reparaturen an ländlichen Schulen ein.
Mirziyoyev plant außerdem, das BIP des Landes zu verdoppeln, das Monopol in der usbekischen Autoindustrie zu beenden, alle Dörfer mit Trinkwasser und Internet zu versorgen und die Internet-Geschwindigkeit um das Zehnfache zu erhöhen. Die gleiche Aussage machte er in Bezug auf das Internet bereits bei der letzten Wahl. Damals versprach er jedem Schüler 5 GB kostenloses Internet, lieferte es aber nie.
Im Wahlprogramm von Robahon Mahmudova stehen vor allem Parteiwerte und die Grundsätze des Aufbaus eines sozialdemokratischen Rechtsstaates im Vordergrund – unter anderem Schutz der Arbeitnehmerrechte und die Schaffung von Arbeitsplätzen.
Konkrete Vorschläge betreffen das Justiz- und Rechtssystem. Mahmudova plädiert insbesondere für eine Erhöhung der Zahl der Richter:innen, eine Ausweitung ihrer Spezialisierung und eine Stärkung des Anwaltsberufs. Sie verspricht außerdem die bedingungslose Umsetzung von Gesetzen gegen häusliche Gewalt.
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Ulugbek Inoyatov ist neben Mirziyoyev der einzige Kandidat, der in seinem Wahlkampf aktiv soziale Medien nutzt. Er verfügt über einen persönlichen Telegram-Kanal mit über 84.000 Abonnent:innen und seine Beiträge werden sehr oft aufgerufen. Im Vergleich zu den Telegram-Kanälen anderer Parteien, die rund 300 Abonnent:innen haben, ist das ein deutlicher Unterschied.
Aber im Allgemeinen beschränkt sich sein Wahlprogramm auf das Programm seiner Partei, das auf die Schaffung einer starken Sozialpolitik abzielt. Inoyatov bringt aber auch seine eigenen Ideen ein. Er plant den Bau von bezahlbarem Wohnraum zu verstärken und im Falle des Todes von Ehepartner:innen mit höherem Rentenbezug soll diese Rente auf den Witwer oder die Witwe übertragen werden. Darüber hinaus will er eine Institution für Geschworenenprozesse schaffen, lokalen Investoren nicht weniger Vorteile bieten als ausländischen, eine Steuer auf Luxus sowie auf das Einkommen von Blogger:innen und anderen Medienschaffenden einführen, falls diese überdurchschnittliche Löhne mit Werbung im Internet verdienen.
Abdushukur Xamzaev entwickelte das Programm Grünes Usbekistan 2023, das darauf abzielt, alle Industrien und Provinzen auf der Grundlage der grünen Wirtschaft zu entwickeln. Ökologie- und Umweltthemen sind bei den Usbek:innen nicht sehr beliebt. Der Vertreter der Ökologischen Partei erhielt bei den letzten Wahlen nur 4,1 Prozent der Stimmen.
Als konkrete Initiativen schlägt Xamzaev Folgendes vor: Verzicht auf den Einsatz von Pestiziden sowie die schrittweise Reduzierung der Verwendung von Kunststoff-Verpackungen und von Einweggeschirr aus Kunststoff. Um die Folgen der Aralsee-Katastrophe zu bekämpfen, schlägt er die Schaffung von Waldflächen auf dessen Boden und die Ausweitung von Grünflächen rund um Städte wie Nukus, Buchara, Urganch, Xiva, Navoiy und Moʻynoq vor. Er beabsichtigt außerdem, die Zahlungen für Schadstoffemissionen um das Fünf- bis Zehnfache zu erhöhen. Bei der letzten Präsidentschaftswahl war einer der mutigen Vorschläge der Partei, Land in Privatbesitz zu überführen. In diesem Jahr werden Landressourcen nur im Zusammenhang mit der Ökologie erwähnt.
Keine wirkliche Opposition
Der begonnene Wahlkampf verläuft laut Beobachter:innen ohne Intrigen und Überraschungen. Der Politologe und Analyst der Carnegie-Stiftung Temur Umarov sagt, Mirziyoyev habe keine wirkliche Konkurrenz, weil es in Usbekistan keine Opposition gebe.
Unter der Herrschaft des vorherigen Präsidenten Islom Karimov wurde jegliche Opposition und Kritik an den Behörden streng unterdrückt. „Die Opposition kann bei den bevorstehenden Wahlen nicht aus dem Nichts auftauchen. Drei Jahrzehnte lang wurden alle „Sprösslinge“ der Opposition schwer unterdrückt. In Usbekistan durften sich nicht nur keine Anwärter auf die Macht bilden, sondern auch solche nicht, die einfach unterschiedlicher Meinung waren. Daher konnte es in den wenigen Jahren der Herrschaft Mirziyoyevs nicht zu einer Opposition kommen“, sagt der Politologe.
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Angesichts der Tatsache, dass Systemgegner:innen ihren Wahlkampf nur schleppend führen und keine wirkliche Opposition darstellen, sind Expert:innen zuversichtlich, dass Mirziyoyev im Präsidentenamt bleiben wird.
Umarov glaubt, dass die vorgezogenen Wahlen angekündigt wurden, damit Mirziyoyev seine Macht legitimieren und festigen kann, solange er beim Volk beliebt ist: „Angesichts der zunehmenden Protestorientierung der usbekischen Gesellschaft hat der Staat Angst, irgendwann die Kontrolle über die Hauptnarrative zu verlieren. Natürlich werden in Großstädten Vorzeige-Wahllokale eingerichtet, die ausländischen Beobachter:innen gezeigt werden. Aber man muss bedenken, dass die Wahlen tatsächlich voller Verstöße sein werden.“
Auch ein anderer Carnegie-Experte, der Politikwissenschaftler Rafael Sattarov, glaubt, dass Mirziyoyevs Macht bereits an Stabilität verliert. „Es gibt natürlich keine spezifische Soziologie, aber ich denke, Mirziyoyev ist kaum noch beliebt. Die Menschen [in Karakalpakstan nach den Nukus-Protesten] waren von ihm desillusioniert, ich kann das sogar bei den Karakalpak:innen bemerken, die den Behörden treu gedient haben. Deshalb glaube ich nicht, dass die Leute dort jetzt die Wahllokale stürmen“, meint Sattarov.
Die Medienkritikerin und Mitbegründerin des unabhängigen Mediums Hook Darina Solod meint, die Wahlen seien im Land ein recht beliebtes Ereignis. In abgelegenen Gebieten des Landes finden an diesen Tagen in der Regel Feste statt, da Wahlen ein Element der Sozialisierung seien, „wo es als solche kaum Sozialisierung gibt“. „Um zu verstehen, warum wir eine relativ hohe Wahlbeteiligung haben, muss man die regionalen Standorte erkunden und sehen, wie sie dies feiern“, meint Solod.
Allerdings gebe es auch einen kleinen Teil der Gesellschaft, der versucht, die Wahlprogramme und das Geschehen zu verstehen. „Hier sind sie in einer nicht optimistischen Stimmung. Sie bemerkten unangenehme Momente in Form von Luftverschmutzung, Wasserausfällen und endlosen Staus. Alltägliches hat großen Einfluss auf die Popularität des Präsidenten. Es ist eine Sache, den Leuten auf der Tribüne zuzuhören, dass wir in einer Renaissance leben, und eine andere Sache zu verstehen, dass dies keine Renaissance ist“, merkt Solod an.
Sie fügt hinzu, dass dies zu Misstrauen gegenüber den Behörden führt und einige Bürger:innen möglicherweise gegen alle oder ungültig stimmen werden. „Aber natürlich wird dieselbe Person gewinnen, was mich auch nicht überrascht, da die Programme der anderen Kandidierenden nicht realisierbar sind“, erklärt Solod.
Einige junge Usbek:innen geben auch zu, dass sie von den bevorstehenden Wahlen nichts Neues erwarten. „Es war viel interessanter, die Präsidentschaftswahlen in der Türkei zu verfolgen“, sagte ein 24-jähriger Einwohner Taschkents, der nicht namentlich genannt werden möchte.
Luiza Atabeyeva für CABAR
Aus dem Russischen von Robin Roth
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