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Ferganatal: Omas erzählen faszinierende Geschichten

Ein Workshop namens „Frag deine Oma“ praktiziert Oral History mit einer jungen Generation des Ferganatals. Was steckt hinter dem Namen? Novastan sprach mit dem Organisator des Projekts und Lektor der Bosch Stiftung, Alexander Barth, über besondere Begegnungen in Geschichten der Migration.

gregorb 

Ein Workshop namens „Frag deine Oma“ praktiziert Oral History mit einer jungen Generation des Ferganatals. Was steckt hinter dem Namen? Novastan sprach mit dem Organisator des Projekts und Lektor der Bosch Stiftung, Alexander Barth, über besondere Begegnungen in Geschichten der Migration.

Novastan: Was ist „Frag deine Oma“?

A. Barth: Frag deine Oma ist ein Bildungsprojekt, das sich darum dreht, dass zentralasiatische Studenten, die deutsch lernen, Interviews mit ihren Großeltern führen und diese journalistisch aufbereiten. Also praktizierte „Oral History“.

Warum haben Sie gerade das Ferganatal als Grundlage genommen?

Ein paar meiner Kollegen und ich arbeiten im Ferganatal. Als wir ankamen, tauchte die Bezeichnung Ferganatal immer wieder auf. Das war über Jahrhunderte ein gemeinsamer geographischer Raum, der sich jetzt aber über drei Staaten erstreckt. Es ist eine sehr interessante, ethnisch sehr heterogene Region.

Frag deine Oma

Identifizieren sich die Bewohner des Ferganatals miteinander oder eher separat entlang der nationalen/ethnischen Grenzen?

Eine Identifikation mit dem sehr alten geographischen Raum Ferganatal habe ich nicht gespürt. Es besteht eher eine Identifikation mit Nationalitäten. Als Kirgise, als Tadschike, als Usbeke definiert man sich.

Aber man rekurriert doch in seiner Familiengeschichte auf die erlebte Migration. Das existiert nebeneinander – der stolze Verweis auf eine nationale Identität und das Wissen darum, dass die Familiengeschichte meist eine Geschichte der Migration ist.

Auffälliger sind aber die nationalen Identitäten. Im Stadtbild von Dschalalabat oder Osch erkennt man die nationale Zugehörigkeit an den Hüten. Der Kalpak für die Kirgisen und andere typische Hüte für Usbeken oder Tadschiken.

Ihre Studenten waren gemischter Nationalitäten. Wie haben sie auf die Zusammenarbeit und das Konzept reagiert? Gab es Widerstände?

Nein, Widerstände gab es nicht. Die Familiengeschichte bearbeitet man gerne. Familie ist immer ein Thema, das im Spracherwerb relativ früh kommt. So war es auch für nicht fortgeschrittene Deutsch-Lernende ein gutes Thema.

Die Darstellungsform des Portraits gab auch die Möglichkeit, sich auszuleben. Es gab auch ein Interesse daran, Studierende von anderen Nationen kennenzulernen.

Man hat eigentlich wenig miteinander zu tun. Man wohnt zwar in einem heterogenen gemeinsamen Raum, aber man wohnt eben relativ separat. Zu Beginn des Projektes war es ein komisches Gefühl. Es gab sowohl Interesse als auch Skepsis untereinander.

Frag deine Oma

Wurde die Skepsis überwunden?

Natürlich war das ein brisantes Thema. Es gibt Spannungen zwischen den Ländern wie Usbekistan und Kirgistan. Deshalb haben wir uns auch entschlossen, den Einführungsworkshop des  Projekts nach Almaty in Kasachstan zu verlegen.

Ein wichtiger Bestandteil des einwöchigen Workshops war es, dass sich die Teilnehmer auch kennenlernen. In den ersten Minuten blieben alle natürlich in ihren Gruppen, aber durch die Arbeit am Projekt hat sich das sehr schnell aufgeweicht. Beim Abendessen konnte man beobachten, wie sich die Gruppen durchmischten und wie sich Sympathien entwickelten.

Zu den Ergebnissen der Interviews: Gab es Geschichten, die Ihnen besonders in Erinnerung geblieben sind?

Es war sehr spannend, auf diese Zeitreise zu gehen. Für mich war als erster Leser interessant zu sehen, wie Geburten ohne jegliche medizinische Hilfe vonstatten gingen, die Situation im Zweiten Weltkrieg, Bräuche wie Brautraub beispielsweise, die ganz selbstverständlich in den Geschichten vorkommen. Das fordert einen als Leser auch heraus. Die Geschichten nehmen einen mit in eine durch viele Umbrüche gekennzeichnete Zeit.

Auch die plötzlichen Abtrennungen von den eigenen Wurzeln, wenn Menschen migriert sind und plötzlich, nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion, auf der anderen Seite der Grenze wohnen als ihr Geburtsort.

Besonders traurig sind auch Geschichten der Unruhen von 1990 und 2010, die sich im Zuge der Grenzkonflikte ausgeweitet haben. Es gibt auch zwei Interviews, die diese Unruhen thematisieren.

Was hat Sie überrascht?

Erfreulich und überraschend war für mich, dass kein Groll sichtbar wurde. Die Erinnerung an die Unruhen waren in der Gruppe nicht mit Schuldzuschreibungen an die andere Seite verknüpft. In der anderen Nation wurde kein Buhmann oder Schuldiger gesucht.

Überrascht hat mich auch, dass sich vieles um Liebe dreht. Die Studierenden waren frei, ihre Geschichten zu wählen. Und vieles hat sich dann doch auf die schwierige Partnerwahl bezogen.

Frag deine Oma

Gibt es sonst noch Überschneidungen bei den Familiengeschichten? Ein roter Faden, der sie verbindet?

Zum einen natürlich die Migration. Zum anderen tauchte oft das Motiv auf, dass sich jemand bei der Heraushebung einer heroischen Eigenschaft trotz Widrigkeiten im Leben behauptet habe.

Der Stolz, sich trotz Unwägbarkeiten seinen Weg geebnet und dabei seinen moralischen Kompass nicht aufgegeben zu haben. Dieses Narrativ tauchte immer wieder auf.

Sind Generationenkonflikte zum Vorschein gekommen?

Ja. Vor allem beim Verständnis der Ehe. Es gab bei den Interviews einen Spruch: „Liebe kommt mit der Ehe.“ Und das sieht die jüngere Generation nicht mehr so.

Wie hat sich das Leben über die Generationen denn geändert?

Ganz deutlich die Grenzziehung. Das starre Verharren auf Nationalitäten, auf nationaler Zugehörigkeit ist eine extrem neue Entwicklung. In der ersten Hälfte der 1990er wurden aus den administrativen Grenzen innerhalb des Ferganatals geschlossene Staatsgrenzen.

Frag deine Oma

Die Probleme der heutigen Generation sind mit den starren Grenzen verbunden. Es zeigen sich politische und wirtschaftliche Probleme in einer eigentlich auf Interdependenz fußenden geographischen Region – also was die Rohstoffe oder Handelswege angeht. Da sind die Grenzen ein großes Hindernis.

Probleme früher waren eher der Zweite Weltkrieg oder auch erzwungene Umsiedlungen.

Also gibt es einerseits eine sich entfernende Bewegung der Nationen, aber auch versöhnliche Töne. Wie sehen Sie der Zukunft des Zusammenlebens im Ferganatal entgegen?

Das kann man schwer beantworten. Die nationale Identifikation ist in der Region doch sehr stark. Unabhängig davon, wie man dazu steht, wird das zum Problem, wenn es zur Abwertung des anderen führt. Wenn sich Vorurteile entwickeln. Momentan ist auch nicht abzusehen, dass sich das ändern wird.

Deshalb sind solche Projekte wichtig. Wenn Studierende sich kennenlernen, merken, dass sie eigentlich ganz ähnliche Familiengeschichten haben, dass es nur die künstliche Zuschreibung der Nation ist, die sie trennt, dann werden Abwertungen und Vorurteile aufgeweicht.

Wer die Geschichten selbst erforschen oder mehr über das Projekt erfahren möchte, findet die Projektseite hier.

Alexander Barth

Alexander Barth ist Lektor der Robert Bosch Stiftung in Dschalalabat. Er initiierte mit weiteren Kollegen benachbarter Standorte das Projekt „Frag deine Oma“, durch das sich Studenten aus dem Ferganatal mit ihrer Familiengeschichte auseinandergesetzt haben.

Das Interview führte Gregor Bauer
Chefredakteur

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