In der im Süden Tadschikistans gelegenen Stadt Chorugh ist es an mehreren Tagen infolge zu Protesten gekommen, bei denen zwei Personen getötet und weitere verletzt wurden. Auslöser war der Tod eines Dorfbewohners, der während seiner Festnahme von Sicherheitskräften erschossen worden war. Mittlerweile endeten die Proteste, nachdem die Behörden am 28. November in Verhandlungen mit den Demonstrierenden getreten waren. Eine Chronik der Ereignisse.
In Chorugh, der Hauptstadt der im Süden Tadschikistans gelegenen Autonomen Provinz Berg-Badachschan, sind bei Protesten zwei Menschen getötet und mehrere verletzt worden. Wie das auf Zentralasien spezialisierte Nachrichtenportal Fergana News berichtete, hatten sich Einwohner:innen aus Chorugh und Umgebung am 25. November zu einer Kundgebung im Stadtzentrum versammelt, bei der sie forderten, jene Sicherheitskräfte vor Gericht zu stellen, die am Morgen desselben Tages einen Dorfbewohner während seiner Festnahme erschossen hatten.
Der Auslöser
Auslöser der Proteste war der Tod des 29-jährigen Gulbiddin Sijobekow aus dem Dorf Tawdem im Bezirk Roschtkala. Sijobekow war beschuldigt worden, im Jahr zuvor den Assistenten des Bezirksstaatsanwalts, Abdusalam Abirsoda, geschlagen und als Geisel genommen zu haben.
Wie das tadschikische Nachrichtenportal Asia-Plus mit Verweis auf einen Augenzeugen berichtet, kamen Vertreter der Strafverfolgungsbehörden am Vormittag des 25. November zum Haus von Sijobekow, um ihn festzunehmen. Dieser habe sich aber gewehrt und sei mit Fäusten auf sie eingegangen. Darauf habe die Polizei das Feuer eröffnet, wobei neben Sijobekow zwei weitere Personen verletzt worden seien. Sijobekow sei von den Sicherheitskräften in ein Auto gesetzt worden. „Und dann gaben sie seinen Tod bekannt“, so der Augenzeuge.
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Die offizielle Darstellung weicht hingegen erheblich von den Augenzeugenberichten ab. Wie die staatliche Nachrichtenagentur Khovar unter Berufung auf die lokale Staatsanwaltschaft berichtet, leistete Sijobekow „bewaffneten Widerstand gegen Polizeibeamte [und] eröffnete das Feuer aus einer Makarow-Pistole, die er illegal bei sich trug.“ Im Weiteren erklären die Behörden, Sijobekow sei durch Gegenfeuer verletzt worden, seinen Tod erwähnen sie nicht.
Teilnehmer der Kundgebung, die mit dieser Vorgeschichte vertraut sind, bestätigten gegenüber Fergana News, dass Abirsoda tatsächlich von Einwohner:innen des Dorfes festgehalten wurde, weil er zuvor eines der einheimischen Mädchen belästigt haben soll. Sijobekow und andere Männer „forderten eine Entschuldigung von ihm“.
Die Proteste eskalieren
Nach Sijobekows Tod zogen die Protestierenden mit seiner aufgebahrten Leiche durch die Straßen von Chorugh und versammelten sich dann vor dem Sitz der Provinzverwaltung. Wie Radio Free Europe berichtet, habe laut Angaben der Behörden ein Teil der Menge versucht, das Gebäude zu stürmen. Dabei seien fünf Angehörige des Sicherheitspersonals verletzt worden. Daraufhin schossen die Sicherheitskräfte in die Menge. Dabei wurde laut Asia-Plus der 21-jährige Tutischo Aslischojew tödlich verwundet. Weitere Personen wurden verletzt, eine von ihnen erlag ihren Verletzungen im Krankenhaus.
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Laut Fergana News wurden einige der Protestierenden am Abend des 25. November von Alischer Mirsonabot, dem Verwaltungschef der Provinz Berg-Badachschan, empfangen. Er versprach, den Vorfall sowie die Schüsse auf dem Platz in den nächsten 2-3 Monaten untersuchen zu lassen, konnte so aber die Proteste nicht beruhigen.
„Wir wissen bereits, wer Gulbiddin festgenommen und das Feuer auf die Menschen auf dem Platz eröffnet hat. Diese Untersuchung wird nicht länger als 10 Tage dauern, daher fordern wir kategorisch eine Untersuchung und Festnahme der Verantwortlichen“, sagte einer der Demonstrierenden.
Vier Tage des Protests
In den folgenden Tagen wuchs die Zahl der Protestierenden auf mehrere Tausend an. Am 26. November veröffentlichten Aktivist:innen eine Petition auf Change.org, in der sie unter anderem eine Entmilitarisierung Berg-Badachschans sowie den Abbau einiger Check-Points forderten. Darüber hinaus wurden die Särge der am Vortag getöteten Demonstranten zur Kundgebung gebracht.
Die Gewalt dauerte indes an. Als Mirsonabot am 27. November einen weiteren Schlichtungsversuch unternahm und den Demonstrierenden versprach, den Tod Sijobekows zu untersuchen, wurden Steine auf ihn geworfen. Mirsonabot und der ihn begleitende Abgeordnete Asis Gijosoda wurden laut Angaben von Fergana News dabei verletzt. Wie Asia-Plus berichtete, fanden vom 26. bis zum 28. November in einer Reihe von Städten weltweit Kundgebungen zur Unterstützung der Proteste in Chorugh statt – unter anderem in Moskau und New York, aber auch in Bonn und Dortmund.
Rückkehr zur Normalität
Nach vier Tagen des Protestes vermeldete Khovar am Morgen des 29. November, dass am Vorabend um 20 Uhr „die illegale Kundgebung, die am Nachmittag des 25. November in Chorugh von einigen interessierten Gruppen begonnen wurde“ beendet worden sei.
Wie Radio Free Europe mit Verweis auf lokale Quellen berichtet, hatten Regierungsbeamten und Vertreter:innen der Demonstrierenden sieben Stunden lang verhandelt. Während der Gespräche versicherten die Behörden, keine strafrechtlichen Ermittlungen gegen die Demonstrierenden einzuleiten. Die Telefon- und Internetverbindung, die mit Beginn der Proteste unterbrochen wurde, würde wiederhergestellt werden.
Auch eine Untersuchung von Sijobekows Tod sei zugesagt worden. „Die Vorschläge und Forderungen der Demonstranten wurden angenommen und sie haben den Platz verlassen. Ihre Hauptforderung war, den Mörder von Gulbiddin Sijobekow vor Gericht zu stellen. Im Namen des Vorsitzenden wurde eine Sonderkommission eingesetzt und eine Untersuchung eingeleitet“, erklärte Golib Nijatbekow, Pressesprecher der Regionalverwaltung, gegenüber Asia-Plus.
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Darüber hinaus meldete Fergana News am 29. November, dass in Chorugh mehrere militärische Kontrollpunkte abgebaut wurden, welche in den Tagen zuvor errichtet worden waren. Diese bestanden aus gepanzerten Fahrzeugen und einer großen Anzahl von Militärangehörigen. Mehrere Kontrollpunkte, die bereits 2018 eingerichtet wurden, als auf Anweisung von Präsident Emomali Rahmon die Region von Waffen und Kriminalität „gesäubert“ werden sollte, wurden jedoch nicht entfernt.
Berg-Badachschan ist immer wieder von gewalttätigen Auseinandersetzungen betroffen. Von 1992 bis 1997 war die Region eines der stark umkämpften Gebiete im tadschikischen Bürgerkrieg. Auch wenn sich nun die Lage in Chorugh beruhigt haben sollte und die Stadt zur Normalität zurückkehrt, bedarf es nach wie vor den guten Willen aller beteiligter Seiten, um die Region dauerhaft zu befrieden.
Robin Roth, Redakteur für Novastan
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