In der Region Chatlon in Tadschikistan, etwa 250 Kilometer südlich von Duschanbe, gibt es einen einzigartigen Ort, der für seinen natürlichen Komplex aus rötlichen Felsen berühmt ist. Die Felsformation Tschilduchtaron (aus dem Tadschikischen mit „vierzig Mädchen“ übersetzt) ist mit seiner ungewöhnlichen Schönheit so faszinierend, dass es nichts Vergleichbares auf der ganzen Welt zu geben scheint. Folgender Artikel erschien im russischen Original bei Fergana News, wir übersetzen ihn mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.
Es stellt sich heraus, dass es nicht einfach ist, nach Tschilduchtaron zu gelangen. Von Duschanbe aus können verschiedene Bezirke der Region Chatlon mit dem Taxi erreicht werden. Die Taxifahrer weigern sich jedoch, zur Felsformation Tschilduchtaron zu fahren.
„Unsere Autos werden es nicht schaffen, dort hinzukommen. Es ist möglich, in die Mitte des Bezirks zu gelangen, dann beginnt eine raue, kurvenreiche und vor allem unbefestigte Straße. Um sie zu befahren, braucht man einen Jeep oder eine Art Geländewagen„, sagte Opel-Fahrer Saiwali.
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Der Weg muss demnach in Abschnitte aufgeteilt werden. Man kommt zunächst in die Stadt Kulob und dann in das Zentrum des Bezirks Muminobod. Im örtlichen Verwaltungsgebäude werden wir vom ersten stellvertretenden Bezirksleiter Askarscho Amirsoda empfangen. Und dann stellt sich heraus, dass ich zu spät bin. Es ist 15:00 Uhr, ein Taxi aus dem Dorf Tschilduchtaron ist bereits zurückgekehrt, und bis morgen wird es keine weiteren Mitfahrgelegenheiten geben. Den Ort werde ich demnach heute nicht mehr erreichen. Aber Amirsoda beruhigt mich. „Kein Problem. Ich werde um eine Mitfahrgelegenheit nach Tschilduchtaron bitten. Der Schulleiter der Schule Nr. 33, Ramason Nurow, wird Sie dort treffen. Sie können bei ihm zu Hause übernachten„, versichert er.
Schlechte Straßen und sengende Hitze
Machmadali, der Neffe von Amirsoda, nimmt mich nach Tschilduchtaron mit. Obwohl die Entfernung formal gesehen nur 28 Kilometer beträgt, haben wir sie erst nach anderthalb Stunden bewätigt. Die Hügel, das Gelände, die ständigen Auf- und Abfahrten überhitzen den Kühler so stark, dass das Wasser während der Fahrt zweimal kocht. Nach der Reaktion des Fahrers zu urteilen, ist dies jedoch für die Gegend durchaus üblich.
„Das ist nicht weiter schlimm, das hört wieder auf“, bemerkte er mit der Gelassenheit des biblischen Königs Salomo. „Es wird eine Zeit kommen, in der unsere Straßen geebnet und gepflastert sein werden. Es ist zu hoffen, dass Tschilduchtaron sehr bald regelmäßig von unseren und ausländischen Touristen besucht wird. Dann wird die Straße definitiv ausgebessert werden…“
Vom Dorf Tschilduchtaron aus fahren wir etwa einen weiteren Kilometer und befinden uns am Fuße der gleichnamigen Felsformation. Vor meinen Augen eröffnet sich ein unglaubliches Schauspiel: Dutzende von majestätischen Felsgipfeln von ungewöhnlicher Form, die sich wie aufgetürmt über das felsige Tal erheben. Das einzige, was man bedauern muss, ist, dass es bereits anfängt dunkel zu werden, und dass nur sehr wenig Zeit für die Aufnahmen bleibt.
Die Geheimnisse der vierzig Mädchen
Es ranken sich viele Legenden um die Felsformation Tschilduchtaron. Eine von ihnen wurde vom Orientalisten Safar Mirsojon erzählt.
„Das Chowaling-Tal, in dem sich Tschilduchtaron befindet, liegt 1600 Meter über dem Meeresspiegel. Das Tal wurde von tapferen tadschikischen Ureinwohnern bewohnt, die es den nomadischen Eroberern nicht erlaubten, sie zu unterwerfen oder zu versklaven. Einer Legende zufolge, die von Generation zu Generation weitergegeben wurde, überquerte die Armee der Mongolen im 13. Jahrhundert den örtlichen Fluss und begann, die hiesige Festung zu stürmen. Die Einheimischen verteidigten sich verzweifelt. In den vierzig Tagen, die sie der Belagerung standhielten, starben fast alle Männer, mit Ausnahme von vierzig jungen Soldaten, die Frauen, Mädchen und Kinder schützen sollten. Sie brachten ihre Mündel in die Berge von Sangdara (Steinschlucht) und Sangwor (felsig) und kehrten dann zurück, um sich mit ihren Feinden eine letzte Schlacht zu liefern.
Nach dem Tod der 40 jungen Helden pflanzten die Mädchen und Frauen, die in die Berge geflohen waren, 40 Platanen zum Gedenken an sie. Von hier aus entstand ein weiteres Toponym – Tschilchanor (vierzig Platanen). Statt der toten Männer bewaffneten sich vierzig Mädchen und gingen hin, um ihre Heimat vor dem Feind zu verteidigen. Der Kampf mit den Mongolen erwies sich als unausgeglichen, und die Mädchen mussten sich in die Berge zurückziehen. Sie wussten, dass sie Opfer mongolischer Vergewaltiger werden könnten und wollten sich nicht gefangen nehmen lassen. Im letzten Moment wandten sie sich an den Allmächtigen, damit dieser sie in Steine verwandele und sie so vor Scham und Gewalt bewahre. Die Gebete der Mädchen wurden erhört, und sie wurden zu Felsen.
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Wenn man sich diese Berge ansieht, scheint es, als hätte tatsächlich ein großer Bildhauer die Körper von vierzig schlanken Mädchen, die in einer Reihe stehen, aus dem Stein herausgemeißelt. Jede dieser Figuren drückt den einen oder anderen Zustand aus. Besonders deutlich wird dies bei Sonnenuntergang: Die eine scheint den Kopf mit einem Schal zu bedecken, die andere neigt den Kopf, erschöpft von den Wunden, die dritte streckt den Arm aus und so weiter“, meint Mirsojon.
Tschilduchtaron bewahrt noch immer seine Geheimnisse. Auf mystische Weise behalten alle vierzig Steinblöcke ihre Unversehrtheit und wurden seit Jahrhunderten nicht durch Wind, Wasser oder Kälte beschädigt. Es lohnt sich, den schwierigen Weg zu überwinden und hierher zu kommen, um dieses steinerne Wunder zu sehen.
Keine Infrastruktur
Nachdem wir die wunderbare Aussicht genossen hatten, kehrten wir zum Haus von Ramason Nurow zurück. Ende September ist es abends auf dem Hof bereits kühl, aber wir sind so tief in ein Gespräch über die aktuellen Probleme des Dorfes Tschilduchtaron vertieft, dass wir bis spät in die Nacht beieinandersitzen.
Die einzige örtliche Schule besuchen 270 Kinder. Leider ist das Schulgelände nicht gut ausgestattet – es gibt keine Heizung, keine Aula, keinen Sportplatz, es fehlt an Musikinstrumenten und Sportgeräten. Die Hoffnungen der Bewohner ruhen auf dem neuen zweistöckigen Schulgebäude, das sich im Bau befindet – es soll bis zum Beginn des nächsten Schuljahres in Betrieb genommen werden.
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Es gibt über 150 Haushalte im Dorf. Das Haupteinkommen der lokalen Bevölkerung stammt aus der Viehzucht. Aber das Dorf ist ziemlich arm. Es gibt kein Kulturhaus, kein Kino, keine Bankfiliale, kein Schuh- und Kleidergeschäft. Es gibt auch weder einen Markt oder ein Restaurant, noch andere ähnliche öffentliche Einrichtungen. Hochzeiten werden gewöhnlich im Hof der Neuvermählten abgehalten.
Über Elektrizität verfügt das Dorf jedoch schon. Aber die Ausrüstung ist veraltet, die Masten der Stromleitungen halten sich gerade noch aufrecht. Schon bei einer leichten Brise kann es zu einem Kurzschluss kommen, wonach die Bewohner für einige Zeit ohne Strom auskommen müssen.
Träumereien für die Zukunft
Ein langjähriger Traum der Einheimischen ist der Ausbau der Straße, die Tschilduchtaron mit den benachbarten Gebieten verbindet. Die Hoffnungen darauf haben sich jedoch bereits verflüchtigt. Die Asphaltierungsarbeiten vom Bezirk Chowaling aus haben jedoch bereits begonnen. Bis zur Fertigstellung sind die wichtigsten Transportmittel hier Pferde und Esel. Für Touristen ist dies sogar gut – sie können hier reiten gehen.
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Wenn der Frühling kommt, füllt sich der örtliche Fluss Jachsu mit Wasser und die Umgebung des Tschilduchtaron-Gebirges ist mit frischem Grün bedeckt. Hier befindet sich das gleichnamige Naturschutzgebiet, in dem mehr als 60 endemische Pflanzenarten wachsen, von denen 22 in den Roten Listen Zentralasiens aufgeführt sind. Insbesondere findet man hier viele Arten von Heilpflanzen. Laut Ramason Nurow würde ein solcher Überfluss die Eröffnung eines pharmazeutischen Unternehmens im Dorf erlauben – Arbeitskräfte gäbe es dafür genug.
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Am nächsten Tag stehen wir in der Morgendämmerung auf und kehren zum Fuß des Tschilduchtaron-Gebirges zurück. Egal, wie intensiv man die örtlichen Schönheiten bewundert, egal, wie viel man fotografiert, es scheint alles nicht genug, um den Zauber des Ortes einzufangen. Aber die Uhr tickt – bald kehrt das einzige örtliche Taxi zum Bezirkszentrum zurück. Wir müssen uns also beeilen.
Aus dem Russischen von Hannah Riedler
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